Für viele Menschen klingt es nach einem verlockenden Angebot: "Babypause verlängern & bei vollen Bezügen ein Jahr länger zu Hause bleiben". Mit diesem Slogan bewirbt die Website "Babypause-verlängern" ihre Angebote, die sich "speziell an Mamis" richten, deren Kinderbetreuungsgeld innerhalb der kommenden sechs Monate endet. Und wie sie es schaffen können, noch länger zu Hause zu bleiben? Der Trick: Der Babykarenz folgt gleich eine Bildungskarenz. Hinter der Website steht das Trainingszentrum Rossi Roth, das den Müttern nach eigenen Angaben neben Deutsch- auch Englischkurse und Weiterbildung in gängigen PC-Programmen anbietet. Praktischerweise können die Kurse online absolviert werden, 15 Stunden frei eingeteilt. Einmal pro Woche gibt es einen fixen Onlinetermin für fünf Stunden.

An diesem Angebot lässt sich die Debatte über Sinn und Unsinn der Bildungskarenz in Österreich ganz gut auf den Punkt bringen. Für Kritiker funktioniert das System Bildungskarenz, so wie es aktuell aufgesetzt ist, nicht. Statt echter Fortbildung für den Arbeitsmarkt nutzen zu viele die Karenzzeit, um Reisen zu machen, ihren Hobbys nachzugehen oder als Kinderkarenz durch die Hintertür. Gegenargument: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Chance auf bezahlte Weiterbildung zu geben wird immer wichtiger. Gerade junge Eltern sind eine interessante Zielgruppe und warum nicht auch Sprachkurse fördern?

Bei Akademikern ist die Bildungskarenz beliebt, sie wird auch für Auslandsaufenthalte genutzt
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Dieser Streit tobt schon lange, gewinnt aber aktuell an Brisanz. Das liegt daran, dass sich immer mehr Menschen für eine Bildungskarenz entscheiden. Die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher hat sich seit dem Jahr 2000 etwa auf 20.000 Personen verdoppelt. Ums Zehnfache gestiegen ist die Zahl der Menschen, die eine Elternkarenz an eine Bildungskarenz anhängen. Parallel dazu sind die Kosten auf das Doppelte gestiegen, auf 357 Millionen Euro im Jahr 2023 laut neuen Zahlen des AMS. Rechnet man ein, dass das AMS auch Versicherungsbeiträge zahlt, summieren sich die Kosten laut einer Auswertung von Agenda Austria, einem arbeitgebernahen Thinktank, auf mehr als eine halbe Milliarde.

Kurz arbeitslos, viel in Karenz

In Perspektive gesetzt: Das AMS gibt für die gesamte aktive Arbeitsmarktpolitik, hierunter fallen alle übrigen AMS-Kurse, Weiterbildungen und Stipendien, 981 Millionen Euro aus. Die Bildungskarenz ist also ein Geldfresser.

Unklar ist, was genau sich die Versicherten mit ihren Beiträgen, die hier eingesetzt werden, erkaufen. Die ursprüngliche Idee hinter dem Konzept war bestechend: Wer sich fortbildet, profitiert nicht nur individuell davon, sondern senkt seine Risiken, später einmal arbeitslos zu werden. Ein Win-win-Geschäft also im Idealfall, weil damit die Kosten für alle Versicherten sinken. Doch sind es vor allem Personen mit höheren Abschlüssen, die eine Bildungskarenz absolvieren. Personen ohne Matura, mit Pflichtschule, Lehre oder mittlerer Ausbildung, sind unterrepräsentiert, wie schon der Rechnungshof in einer Analyse im Herbst 2023 festgehalten hat.

Die Zahlen auszuwerten ist nicht einfach, weil das AMS nur bei Zwei Dritteln der Bildungsgeldbezieher weiß, welche Ausbildung sie haben. Rechnet man diese Zahlen auf alle Teilnehmer hoch, ergibt sich folgendes Bild: Nur 16 Prozent der Personen in Bildungskarenz 2023 hatten als höchste Ausbildung einen Pflichtschulabschluss. Dagegen waren 24 Prozent Akademiker, wie eine Auswertung des AMS für den STANDARD zeigt. Rechnet man Leute mit Hak-Abschluss und Matura dazu, haben mehr als 50 Prozent der Bildungsgeldbezieher bereits eine höhere Ausbildung.

Bildungskarenz erfreut sich immer größerer Beliebtheit

Das Problem: Der Arbeitsmarkt ist zweigeteilt. Die Arbeitslosenquote bei Pflichtschulabsolventen liegt laut Wifo-Institut bei 20 Prozent. Bei anderen Gruppen sind es zwei bis sechs Prozent. Die Chancen stehen gut, dass ein Akademiker, der die maximale Bildungskarenz von einem Jahr nutzt, nie in seinem Leben so lange arbeitslos sein wird.

Aktuell unternimmt die ÖVP einen Vorstoß, das System zu reformieren. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) will Verschärfungen durchbringen, in den kommenden Wochen soll ein Vorschlag vorliegen. In den vergangenen Wochen hat sein Ministerium die Sozialpartner zu ihren Vorschlägen angehört. Dabei gibt es zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sogar gewisse Schnittmengen.

Alles außer Yoga

Als Kernproblem gilt, dass die Vorgaben dazu, welche Ausbildungen absolviert werden können, lax sind und kaum kontrolliert werden. "Der berufsförderliche Charakter ist gering bis vernachlässigbar", sagt die Ökonomin Carmen Treml von der Agenda Austria beispielsweise im Hinblick auf viele der Angebote, die Elternkarenz mit einer Bildungskarenz zu verlängern. Tatsächlich ergibt sich aus dem Gesetz und aus Erlässen des Ministeriums, dass nur Kurse mit Hobbycharakter wie Yoga nicht besucht werden können.

Die Fortbildung muss aber nichts mit dem Job zu tun haben, Sprachkurse, auch auf Anfängerniveau, können besucht werden. Meist reicht eine Teilnahmebestätigung, außer bei Studien, wo nach einem halben Jahr die Absolvierung von vier Semesterstunden bescheinigt werden muss. Laut AMS-Beratern hat sich eine ganze Kursindustrie aufgebaut, die maßgeschneiderte Angebote macht.

Wie könnte eine Reform aussehen? Mehr Kontrolle beim Zugang, mehr Angebote für Niedrigqualifizierte, lautet die Formel von Wifo-Ökonom Helmut Mahringer. Die Arbeitnehmervertreter wären bereit, eine Reform mitzutragen, die den Ausbildungscharakter der Bildungskarenz stärkt. So könnten geforderte Präsenzzeiten verlängert werden.

Auch die Idee, Angebote vermehrt darauf zu prüfen, ob sie arbeitsmarktpolitisch Sinn machen, hält man für richtig. Eine Reform, die nur auf eine Verschärfung der Zugangsregeln abziele, sei der falsche Weg, sagt Silvia Hofbauer, Arbeitsmarktexpertin der Arbeiterkammer.

Grüne skeptisch

So müsste die Bildungskarenz für die eigentliche Zielgruppe, Menschen ohne hohen Bildungsabschluss, interessanter werden. Das würde heißen: mehr Geld für diese Leute.

Das Weiterbildungsgeld entspricht dem Arbeitslosengeld, gerade bei Niedrigqualifizierten sind das in vielen Fällen nicht viel mehr als 1000 Euro. Mehr Geld an sie via AMS auszuzahlen ist aber eine Forderung, die aus den Arbeitgeberreihen wenig Zustimmung bekommt. Sinken die Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik, können auch die Versicherungsbeiträge der Unternehmen sinken. Die Unternehmer pochen auf deutliche Zugangsverschärfungen. Auf Dauer seien Ausgaben in Höhe von einer halben Milliarde nicht tragbar, sagt Carmen Treml von Agenda Austria.

Ob eine Reform gelingt, hängt auch von den Grünen ab, ohne sie geht in der Regierung nichts. Dort hat man wenig Lust auf Verschärfungen, die die eigene, studentische Klientel verprellen können, noch dazu im Wahljahr. Die Grünen verweisen auch darauf, dass rund die Hälfte der Bezieher von Weiterbildungsgeld drei Jahre nach der Karenz mehr verdient als davor. Das hat die erwähnte Analyse des Rechnungshofes gezeigt. Dass der Rechnungshof auch kritisiert, dass zwei Drittel der Beziehenden ein Jahr nach der Bildungskarenz ihr Einkommen nicht verbessert hatten, und der Rechnungshof deshalb sagt, dass der Ausstieg aus der Arbeitstätigkeit sich "ungünstig" für Betroffene auswirke, sagt man nicht dazu. "Für Verbesserungen im Sinne der Betroffenen stehen wir natürlich zur Verfügung, für eine Verschärfung beim Zugang zur Bildungskarenz allerdings nicht", sagt Markus Koza, arbeitsmarktpolitische Sprecher der Grünen. (András Szigetvari, 13.3.2024)