Lisa Macheiner von Ärzte ohne Grenzen.
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Wien – Politiker und Expertinnen sind ja schön und gut, aber niemand kann jene Menschen ersetzen, die vor Ort sind und dem Publikum authentisch schildern, was sich in Kriegsgebieten ereignet. Einer dieser bewundernswerten Menschen ist Lisa Macheiner, Projektkoordinatorin bei Ärzte ohne Grenzen. Sie ist erst vor kurzem aus der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifen, zurückgekehrt, wo sich eine humanitäre Katastrophe abspielt. Die noch größer werden könnte, wenn Israel seine Ankündigung wahrmacht und dort einmarschiert, um die Zerstörung der Hamas-Bataillone abzuschließen, wie es Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu formulierte. In Rafah, einst eine Stadt mit 300.000 Einwohnern, leben derzeit rund 1,5 Millionen Menschen, zusammengepfercht auf engstem Raum.

"Ganz, ganz viel Angst und Unsicherheit"

Macheiner war Donnerstagabend zu Gast in der "ZiB 3", um im Interview mit Christiane Wassertheurer über die Situation in Rafah zu berichten. Sie war einen Monat in der Stadt und hat "sehr viel Verzweiflung und großes Leid" gesehen und "ganz, ganz viel Angst und Unsicherheit". Ärzte ohne Grenzen betreibe ein Feldspital mit der Kapazität, 80 Patientinnen und Patienten stationär aufzunehmen oder sie ambulant zu betreuen. "Das sind hauptsächlich Frauen und Kinder mit schwerem Trauma als auch Brandverletzungen." Die medizinischen Bedürfnisse seien "so riesig", dass die Versorgung nicht ausreiche.

Die größten Probleme sind der Mangel an Hilfsgütern, so Macheiner, sowie die große Unsicherheit. "Wir haben mehrmals unsere medizinische Infrastruktur evakuieren müssen." Die Kapazitäten reichten für die Anzahl der Verletzten nicht aus. "Wunden, die operiert sind, entzünden sich", weil die Lebensbedingungen so schwierig seien. "Es gibt keine sanitären Einrichtungen." Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung hätte keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Nahrungsmittel fehlten an allen Ecken und Enden. Das alles mache die Wundversorgung so schwierig: "Wir sehen viele Infektionen, die dann noch einmal operativ versorgt werden müssen."

Zu wenige Hilfsgüter

Die Frage, ob genügend Hilfslieferungen ankommen, verneint Macheiner mit einem plastischen Vergleich: "Ich erlebe das wie einen Tropfen. Es ist ein Wasserhahn, und es tropft raus. Mal ist es ein Tropfen, mal sind es zwei, drei. Was wir aber brauchen, wäre ein ganzer Wasserstrahl." Was reinkommt, sei nicht ausreichend, um die Menschen zu versorgen. Weder auf der medizinischen Ebene noch in Bezug auf Wasser oder Nahrungsmittel. Die angekündigte Großoffensive der israelischen Armee werde zu einer noch größeren Katastrophe mit noch mehr zivilen Opfern führen, so Macheiner.

Die prekäre Lage hindert Macheiner aber nicht daran, wieder nach Rafah zu fahren. Ganz im Gegenteil: Sie werde am Samstag retour kommen. Wie sie mit der lebensbedrohlichen Lage umgehe, wenn auch noch Israel einmarschiere? "Für mich ist es ganz klar. Die humanitären Bedürfnisse sind so groß. Es ist unglaubliches Leid dort. Es ist eine humanitäre Katastrophe, wie ich sie nur selten gesehen habe." Die Zivilbevölkerung werde in die Enge getrieben. Sie sehe es als ihren Beruf, medizinische Hilfe zu leisten – so gut es eben gehe. Man kann nur hoffen, dass auch Leute wie Macheiner Hilfe bekommen, wenn sie welche brauchen. (Oliver Mark, 15.3.2024)