EU-Flaggen in einer Reihe
Nach zähen Verhandlungen haben sich die EU-Länder auf ein Lieferkettengesetz verständigt. Jetzt ist das EU-Parlament am Zug.
REUTERS/Yves Herman

Beim letztmöglichen Anlauf haben sich die EU-Staaten am Freitag doch noch auf die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie verständigt. Zuletzt waren mehrere Abstimmungen im EU-Rat verschoben worden. Einige Staaten, allen voran Deutschland, Italien und Österreich, wollten nicht zustimmen, obwohl es bereits im Dezember eine vorläufige politische Einigung gegeben hatte.

Wie DER STANDARD berichtete, hatte die belgische Ratspräsidentschaft kürzlich einen neuen Kompromissentwurf vorgelegt, über den die Mitgliedsstaaten am Freitag in Brüssel diskutierten. Der Vorschlag sah vor allem längere Übergangsfristen vor und sollte bestimmte Unternehmen von den Pflichten der Richtlinie ausnehmen.

Für diesen Kompromiss fand sich jetzt offenbar die notwendige qualifizierte Mehrheit unter den EU-Staaten, Deutschland und Österreich enthielten sich. Beschlossene Sache ist die Richtlinie aber noch nicht. Zwar hat es bereits vergangenes Jahr eine vorläufige Einigung unter den EU-Institutionen gegeben, aufgrund der weitgehenden Änderungen könnte das EU-Parlament allerdings noch einmal Gegenvorschläge machen.

Abgeschwächter Kompromiss

Die EU-Lieferkettenrichtlinie soll Unternehmen dazu verpflichten, ihre Zulieferer auf Verstöße gegen Umwelt- und Menschenrechte zu kontrollieren und Abhilfemaßnahmen zu setzen. Bei der Einigung der EU-Staaten am Freitag dürfte es im Wesentlichen bei dem von Belgien vorgeschlagenen Kompromiss geblieben sein.

Das Größenkriterium für Unternehmen, die direkt von der Richtlinie betroffen sind, könnte demnach auf 1.000 Mitarbeitende bzw. 450 Millionen Euro Jahresumsatz erhöht werden. Laut dem ursprünglichen Entwurf waren Unternehmen ab 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro erfasst. Niedrigere Grenzen für besonders sensible Bereiche wie die Textil- oder Lebensmittelbranche werden offenbar gänzlich gestrichen.

Längere Übergangsfristen

Zudem dürfte es für die betroffenen Unternehmen deutlich längere Übergangsfristen geben. Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitenden und mehr als 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz müssten die Vorgaben erst drei Jahre nach Inkrafttreten der nationalen Gesetze einhalten, Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 900 Millionen Euro nach vier Jahren und jene mit mehr als 1.000 Mitarbeitern nach fünf Jahren. Für viele Betriebe würde die Richtlinie damit erst Anfang des nächsten Jahrzehnts schlagend werden.

Auch inhaltlich dürfte es Änderungen geben. Schon im bisherigen Entwurf sollte die geplante zivilrechtliche Haftung für Menschenrechtsverstöße und Umweltschäden nur in Ausnahmefällen greifen. Laut dem Kompromissvorschlag sollen die EU-Staaten bei der Umsetzung der Richtlinie nun einen noch größeren Spielraum haben. Boni für Manager sollen sich, anders als zunächst vorgesehen, zudem nicht mehr an den EU-Klimazielen orientieren müssen.

Deutschland überstimmt

Bei der informellen Abstimmung im EU-Rat sollen sich am Freitag zehn Länder enthalten haben, darunter auch Deutschland und Österreich. Sie dürften aber von anderen Staaten überstimmt worden sein. Dem Vernehmen nach hat etwa Italien seine Zustimmung an Zugeständnisse in der neuen Verpackungsverordnung geknüpft, über die am Freitag ebenfalls positiv abgestimmt wurde.

Der Kompromiss im Ausschuss der ständigen Vertreter der EU-Staaten (AStV) muss nun formal abgesegnet und an das EU-Parlament übermittelt werden. Dem Vernehmen nach könnte sich der zuständige Parlamentsausschuss Ende März oder Anfang April mit der Richtlinie befassen. Ist das EU-Parlament mit dem Vorschlag einverstanden, könnte die Richtlinie noch vor der EU-Wahl im Juni formell beschlossen werden.

Zwiespältige Reaktionen

Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) teilte in einer Aussendung mit, dass bei der Richtlinie "in den letzten Wochen viele Verbesserungen" erreicht wurden. Es gebe jedoch "immer noch zu viele Vorbehalte, um dieser zustimmen zu können". Man teile die Grundziele, glaube aber, dass diese Ziele mit weniger bürokratischem Aufwand für Unternehmen erreicht werden könnten.

Sehr ähnlich sieht das die Industriellenvereinigung (IV). Die Entscheidung sei "unverantwortlich", weil die Richtlinie Regularien vorsehe, die "jenseits jeglicher unternehmerischer Realitäten stehen", befürchtet IV-Präsident Georg Knill. Aufgrund der vertraglichen Weiterbindung von Pflichten rechnet er mit einer starken Belastung für Klein- und Mittelbetriebe.

Grundsätzlich positiv reagierten mehrere NGOs auf die Einigung, auch wenn sie "Schlupflöcher" bzw. die "Verwässerung" der Richtlinie kritisierten. Global 2000 ortet einen Sieg von "Vernunft und Menschlichkeit gegen die Interessen der Konzernlobbys". WWF Österreich spricht von einem "Fortschritt", allerdings würden "die vielen Verwässerungen der Richtlinie" das Gesamtbild "trüben". (Jakob Pflügl, 15.3.2024)