Polizisten
Mehr Arbeit für die Polizei: Von 2013 bis 2022 hat sich die Summe der jährlichen Tatverdächtigen im Alter von zehn bis unter 14 Jahren fast verdoppelt.
APA/FLORIAN WIESER

Die nackten Zahlen klingen ebenso schockierend wie die Schlagzeilen über Vergewaltigungen, Messerstechereien und andere Gräueltaten. Geht es nach der Statistik des Innenministeriums, dann ist die Jugendkriminalität geradezu explodiert. Von 2013 bis 2022 hat sich die Summe der jährlichen Tatverdächtigen im Alter von zehn bis unter 14 Jahren von 4821 auf 9543 nahezu verdoppelt. Ein satter Anstieg – von 24.800 auf 33.964 – zeigt sich auch bei den Jugendlichen von 14 bis unter 18 Jahren.

Geraten also immer mehr junge Menschen auf die schiefe Bahn? Man dürfe die Statistik nicht blind als Beleg hernehmen, sagt eine warnende Stimme – und die stammt aus der Polizei selbst. Dass die Zahlen steigen, erläutert Heinz Holub-Friedrich vom Bundeskriminalamt (BK), müsse noch nicht bedeuten, dass die Jugendlichen immer krimineller werden.

Nur Verdacht gezählt

Dazu muss man wissen, wie die zitierte Kriminalstatistik zustande kommt. Erfasst werden die von der Polizei angezeigten und den Justizbehörden übermittelten Straftaten. Das heißt nicht, dass es in all diesen Fällen tatsächlich zu einer Verurteilung kommt. Gerichte bewerten Sachverhalte häufig anders als die Exekutive, Verdächtigungen können sich als unhaltbar herausstellen. Um etwaige Freisprüche wird die Statistik aber nicht nachträglich bereinigt. Was liegt, das pickt.

Die Zahlen des Innenministeriums zeigen also nur, wie viele unbewiesene Delikte gemeldet werden. Ein Anstieg kann, muss aber nicht an tatsächlich gestiegener Kriminalität liegen. Anzeigen nähmen auch dann zu, wenn die Bevölkerung genauer hinschaut und öfter zur Polizei geht, sagt Holub-Friedreich – und das sei in den vergangenen Jahren passiert. Früher habe es etwa nach einem blauen Auge am Schulhof maximal einen Eisbeutel und eine Standpauke durch den Direktor gegeben. Heute setzte es oft eine Anzeige.

Neue Phänomene

Als weiteren Faktor führt der BK-Sprecher die Digitalisierung an. Früher hätten gewalttätige Drohungen unter Jugendlichen oft unter der Wahrnehmungsschwelle stattgefunden. In Zeiten, wo verfängliche Worte leichtfertig vor Publikum auf Whatsapp abgesondert werden, sei das anders. Wenn obendrein jeder Bursche und jedes Mädchen ein teures Smartphone besitzt, endeten auch Diebstähle öfter vor Gericht als früher der Fall.

Überdies forsche die Polizei mehr mutmaßliche Täter aus, fügt Holub-Friedreich an: Die im Bereich der Jugendkriminalität um zehn Prozent gesteigerte Aufklärungsquote schlage sich ebenfalls in der Statistik nieder.

Schon allein der Umstand, dass den Leuten heutzutage viel rascher etwas auf die Nerven gehe, treibe die Zahlen nach oben, knüpft Birgitt Haller vom Institut für Konfliktforschung (IFK) an. Sie hält die Polizeistatistik deshalb nur für sehr begrenzt aussagekräftig: "Dass es ein wachsendes Problem gibt, lässt sich daraus allein nicht schließen."

Weniger verurteilte Jugendliche

Ein anderes Bild offenbaren auch jene Daten, die bei der Statistik Austria zu finden sind. Hier werden nicht die Anzeigen gezählt, sondern jene Fälle, in denen es tatsächlich zu strafrechtlichen Verurteilungen kommt.

Für unter 14-Jährige sind daraus keine Schlüsse zu ziehen, denn unter dieser Altersgrenze sind Menschen in Österreich nicht strafrechtlich verfolgbar. Sehr wohl gibt es aber Erkenntnisse über die Jugendlichen bis unter 18 Jahren – und da zeigt sich ein gegenläufiger Trend. Seit 2013 bis 2022 ist die Zahl der rechtskräftigen Verurteilungen von 2.248 auf 1.679 gesunken. Der Anteil der jugendlichen Fälle an allen Verurteilungen insgesamt ist damit im Wesentlichen konstant.

Der Standard

Allerdings bedarf auch diese Statistik eines Beipacktexts. Denn als Alternative steht der außergerichtliche Tatausgleich als gelinderes Mittel zur Verfügung. In derartigen Fällen liegt sehr wohl ein Delikt vor, nur wurde von einer formellen Verurteilung abgesehen.

Rechnet man solche Diversionen mit den Verurteilungen zusammen, ergibt sich folgende Bilanz: Mit knapp 7.000 Fällen lag das Ausmaß 2022 niedriger als in den fünf Jahren davor (bis zu 8.200 Fälle), jedoch um rund 900 höher als 2014.

Ausländer überrepräsentiert

In einem Punkt decken sich aber beide Statistiken: Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft sind überrepräsentiert. In der Altersgruppe zehn bis 13 Jahre entfallen 38,4 Prozent der Anzeigen auf "Fremde", bei den 14- bis unter 18-Jährigen sind es 33,6 Prozent; gemessen an der Gesamtbevölkerung beträgt der Ausländeranteil lediglich jeweils etwas über 20 Prozent. Verurteilungen (nur 14- bis unter 18-Jährige) betreffen zu 39 Prozent nichtösterreichische Delinquenten.

Die Polizei betont allerdings: Mitgezählt werden auch "reisende" Tätergruppen. Nicht alle dieser Menschen leben tatsächlich auf Dauer in Österreich. (Gerald John, 20.3.2024)