Francesco Calzona
Am 16. November des Vorjahres, nach dem 4:2 über Island, war Francesco Calzona, der Coach der Slowaken, im siebenten Himmel.
IMAGO/Alex Nicodim

Wien – Der slowakische Fußball wächst und wächst. Peter Hlinka kennt sich diesbezüglich aus. Der 45-jährige Slowake aus Presov wurde einst mit Rapid Meister, es war 2005, ist also eine gefühlte Ewigkeit her. Hlinka hatte das defensive Mittelfeld in Hütteldorf vorbildlich organisiert, so nebenbei hat er mit dem damaligen Coach Josef Hickersberger nach dem Training ab und zu Schach gespielt. Man befand sich am Brett auf einem durchaus hohen Niveau mit ganz leichten Vorteilen für Hlinka. 2010 wurde er mit Sturm Graz Cupsieger. Er spielte 28-mal für die slowakische Nationalmannschaft, erzielte ein Tor, am 8. Oktober 2005 das goldene in der WM-Qualifikation gegen Estland.

Locker in Deutschland

Hlinka lebt in Wien, er ist Trainer. Am Samstag wird er in Bratislava vor Ort fürs Fernsehen analysieren, natürlich nicht für den ORF. Hlinka spricht im Vorfeld im STANDARD von einer Partie, "in der es für mich keinen Favoriten gibt. Es geht auch darum, ob die Teamchefs viele Dinge ausprobieren wollen, es ist ja ein Test."

Peter Hlinka
Peter Hlinka lebt in Wien und analysiert Fußballspiele.
Privat

Die Slowakei hat sich ebenso locker wie Österreich für die EM 2024 in Deutschland qualifiziert. Rang zwei hinter Portugal, Bosnien-Herzegowina, Island, Luxemburg und Liechtenstein wurden locker auf Distanz gehalten. Gegen Portugal setzte es zwei knappe Niederlagen (2:3, 0:1), aber die Portugiesen sind nicht nur in Europa ein richtiges Kaliber.

Kaffeehändler am Ruder

In der Weltrangliste sind die Slowaken die Nummer 48, die Österreicher die 25. "Tabellen lügen nicht, aber meiner Meinung nach sind die Teams knapper beisammen." Hlinka ortet einige Parallelen. Da wären einmal die Teamchefs Ralf Rangnick beziehungsweise Francesco Calzona, ein 65-jähriger Deutscher und ein 55-jähriger Italiener. Es ist nach wie vor eher selten, dass Fußballverbände auf Ausländer setzten. In der Slowakei wollte man neue Wege gehen, nicht mehr länger im eigenen Saft braten.

Am 30. August 2022 löste Calzona den erfolglosen Stefan Tarkovic ab, ein 0:1 gegen Kasachstan übersteht man in Bratislava nicht. Calzona, eigentlich ein unbeschriebenes Blatt (im Gegensatz zu Rangnick), hat voll eingeschlagen. Zuvor war er Co-Trainer bei Napoli, noch früher übte er den Beruf des Kaffeehändlers aus. Hlinka sagt: "Er sorgte für einen Aufbruch, ist sozial kompetent und fachlich hervorragend. Er ist einfach ein großartiger Mensch. Die Spieler kommen wahnsinnig gerne und mit viel Energie zum Team, es ist eine Wohlfühloase."

Verband als Passagier

Wohlfühloase und Energie treffen auf Rangnick und Österreich zu. Es gibt freilich einen slowakischen Haken. Seit 19. Februar 2024 ist Calzona vorerst interimistischer Cheftrainer von Napoli, er ist quasi Nebenerwerbsteamchef (trotz Vertrags bis 2025). Noch ist das lösbar, der slowakische Verband hat zugestimmt, er ist jedoch nur mehr Passagier. Es liegt an Napoli. Sollten die Italiener Calzona langfristig binden wollen, wird es laut Hlinka "wohl nach der Europameisterschaft zu einer Trennung kommen. Leider."

Das slowakische Nationalteam lebt wie das österreichische von Legionären. Martin Dubravka ist Tormann bei Newcastle, Denis Vavro (Kopenhagen), Laszlo Benes (Hamburger SV), Stanislav Lopotka (Napoli) sind nur einige Beispiele für Spieler, die es zu Stützen bei ihren Vereinen im Ausland gebracht haben. Hlinka: "Vielleicht ist Österreich noch breiter aufgestellt, wenn man schaut, wie viele Spieler ihr in der deutschen Bundesliga habt."

Auf Klubebene gab es jüngst einen direkten Vergleich, Sturm Graz traf in der Conference League auf Slovan Bratislava, setzte sich deutlich mit 4:1 und 1:0 durch. "Die Grazer waren sicher besser, aber sie hatten auch das Spielglück auf ihrer Seite." Hlinka stellt die österreichische Bundesliga ein Stückerl über die oberste Spielklasse in der Slowakei. "Es ist mehr Geld vorhanden, bei uns gibt es erst seit zwei Jahren einen Fernsehvertrag. Der ist weit niedriger." Österreich hat rund neun Million Einwohner, die Slowakei 5,8 Millionen. "Ihr habt mehr Auswahl. Die Nachwuchsarbeit wird auch bei uns immer professioneller. “

Idente Träume

Die Träume seien wiederum nahezu ident. "Man träumt von einem Transfer ins Ausland." Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass man bisher nur zwei der drei EM-Gegner kennt, die Playoffs stehen noch an. Die Slowakei wurde Belgien und Rumänien zugeteilt, Österreich Frankreich und den Niederlanden. Die Erwartungen sind wiederum ident, beide wollen unbedingt die Gruppenphase überstehen und dann so richtig überraschen.

Am Samstag wird man ab 18 Uhr etwas mehr wissen. Das schmucke Nationalstadion in Bratislava fasst 22.500 Zuschauer, es wird nicht ganz ausverkauft sein, Österreich ist zwar ein netter Nachbar, aber nicht der Straßenfeger. Trotz der geografischen Nähe sind die fußballerischen Beziehungen recht lose, die Zahl der Legionäre ist mehr als überschaubar, praktisch nicht vorhanden. Hlinka war die Ausnahme. Die Bilanz ist ausgeglichen, je ein Sieg und drei Unentschieden. Er freut sich auf das "offene und interessante" Match. Nachfolger von Francesco Calzona wird Peter Hlinka sicher nicht. (Christian Hackl, 21.3.2024)