Die Crocus City Hall in Flammen.
Die Crocus City Hall in Flammen.
EPA/VASILY PRUDNIKOV

Es waren schreckliche Bilder, die am Freitagabend durch die Sozialen Medien gingen: sie zeigten Männer, die mit gezückten Sturmgewehren durch die Moskauer Konzerthalle Crocus City Hall schritten. Man hört Schüsse und Schreie, und sieht leblose Körper und lodernde Flammen.

Am Tag nach dem tödlichsten Anschlag in Russland seit 20 Jahren ist noch einiges offen. Alle paar Stunden werden die Opferzahlen nach oben korrigiert – zuletzt auf 133 Tote, darunter drei Kinder, und auf mehr als 100 Verletzte. Unklar ist auch noch, wer genau die inzwischen festgenommenen Angreifer sind. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat den Angriff für sich reklamiert. Der STANDARD hat die wichtigsten Fakten zur Horrornacht zusammengetragen:

Der Schrecken begann am Haupteingang, am Freitagabend kurz vor Konzertbeginn der russischen Rockgruppe Piknik. Wie Augenzeugen berichten, fuhr gegen 20 Uhr lokaler Zeit vor der am Moskauer Stadtrand gelegenen Crocus City Hall in Krasnogorsk ein weißer Van vor. Berichten zufolge stiegen bis zu fünf Männer aus, die tatsächliche Zahl ist noch nicht offiziell bestätigt, und eröffneten sogleich das Feuer auf wartende Menschen vor der Konzerthalle. Dann stürmten sie das Gebäude und schossen weiter um sich.

Schock und Trauer nach dem Anschlag.
Schock und Trauer nach dem Anschlag.
IMAGO/Kirill Kallinikov

Zu diesem Zeitpunkt dürften sich bis zu 6.200 Personen in der ausverkauften Crocus City Hall aufgehalten haben. Videos zeigten volle Zuschauerränge auf der aus rotgepolsterten Sitzreihen bestehenden Tribüne. Nach Augenzeugenberichten war die Situation zunächst unübersichtlich, erst allmählich breitete sich die Information über bewaffnete Angreifer wie ein Lauffeuer aus. Videos zeigen, wie Menschen schließlich in alle Richtungen um ihr Leben rannten. Einigen gelang der Ausweg über den Hintereingang hinter der Bühne, wie eine sichtlich geschockte Frau einem russischen Staatssender erzählte.

Im Anschluss legten die Angreifer einen Brand. Bald darauf standen große Teile des Gebäudes in Flammen. Gegen 20.45 Uhr (Ortszeit) zeigten unzählige Bilder in den Presseagenturen, eine riesige Rauchsäule aufsteigen. Unbestätigten Berichten zufolge verzögerte sich der Löscheinsatz wegen des verspäteten Eintreffens der Spezialkräfte. Russischen Medienberichten zufolge waren unzählige Menschen in dem Gebäude ohne Fluchtweg gefangen. Erst kurz nach Mitternacht war das Feuer eingedämmt, zuvor waren Teile des Dachs eingestürzt. Auch Löschhubschrauber waren im Einsatz.

Löschhubschrauber im Einsatz.
Löschhubschrauber im Einsatz.
AFP/OLGA MALTSEVA

Über den Verbleib der Angreifer und ihre Identität war zunächst wenig bekannt. Gegen 22 Uhr (Ortszeit) hatten diverse russische Medien berichtet, dass die Angreifer in einem weißen Fahrzeug entkommen seien. Am Samstagvormittag informierte der Geheimdienst FSB den russischen Präsidenten Wladimir Putin darüber, dass vier "Terroristen" und sieben weitere Personen festgenommen wurden. Später sagte Putin in einer kurzen Ansprache am Samstagnachmittag, die Verantwortlichen für den Anschlag seien gefasst und in Haft. Auch er sprach von insgesamt elf Festgenommenen.

Zuvor hatte der Abgeordnete Alexander Khinshtein "vorläufige Informationen" zitiert, wonach die festgenommenen Angreifer in einem Renault-Fahrzeug saßen, das von der Polizei in der Region Brjansk, etwa 340 Kilometer südwestlich von Moskau, am Freitagabend entdeckt wurde und im Zuge einer wilden Verfolgungsjagd gestoppt werden konnte. Zwei der Angreifer seien in den Wald geflüchtet. Sie dürften laut den Kreml-Angaben nun in Gewahrsam sein.

In dem Fahrzeug wurden laut Khinshtein außerdem Waffen sichergestellt, und auch tadschikische Pässe. Tadschikistan hatte zuvor Meldungen, wonach die Angreifer Tadschiken seien, jedoch als "fake" zurückgewiesen. Später hieß es aus der Hauptstadt Dushanbe, dass man mit Moskau in Verbindung stehe.

Ermittler fanden diese Kalashnikov in der Konzerthalle.
Ermittler fanden diese Kalashnikov in der Konzerthalle.
EPA/RUSSIAN INVESTIGATIVE COMMIT

Zu dem Anschlag bekannte sich noch am Freitagabend die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), wie das IS-Sprachrohr Amak am Freitag im Internet unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen meldete. Experten gehen davon aus, dass das Bekennerschreiben echt ist. US-Geheimdienste sollen nach Angaben von US-Beamten ebenfalls Informationen dafür haben, dass der IS für den Anschlag verantwortlich ist.

Die USA und unzählige Länder, auch Österreich, haben den Angriff verurteilt. Die US-Botschaft hatte zuvor vor Terroranschlägen in Moskau gewarnt. Man verfolge Berichte über Extremisten, die "unmittelbar bevorstehende Pläne" für Angriffe auf große Versammlungen in Moskau hätten - "darunter auch Konzerte", hieß es Anfang März. Stunden vor dieser Warnung hatte der russische Inlandsgeheimdienst nach eigenen Angaben einen Anschlag der mit dem IS verbündeten Miliz "Islamischer Staat Provinz Khorasan" (kurz IS-K) auf eine Synagoge in Moskau vereitelt. Nach Angaben des Experten Colin Clarke von der Denkfabrik Soufan Center hat sich der IS-K in den letzten Jahren "in seiner Propaganda stark auf Russland eingeschossen, und Putin häufig kritisiert".

Die Crocus City Hall am Tag danach.
Die Crocus City Hall am Tag danach.
AFP/RUSSIAN EMERGENCY MINISTRY/H

Trotz IS-Bekennerschreiben wurden am Freitagabend im Internet dennoch zahlreiche wilde Spekulationen und auch antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet, die unter anderem eine Verwicklung der Ukraine sahen. Auch vom russischen Geheimdienst wird die Theorie verbreitet: Die Verdächtigen, die in der Region Brjansk festgenommen wurden, hätten die Absicht gehabt, in die Ukraine "überzutreten" und würden über "Kontakte auf ukrainischer Seite" verfügen, hieß es. Russlands Präsident Putin sprach ebenfalls davon, dass die Angreifer in Richtung Ukraine hätte flüchten wollen.

Das ukrainische Außenministerium wies die Vorwürfe entschieden zurück. Auch die USA mahnten in einer ersten Reaktion, keinen Zusammenhang mit der Ukraine herzustellen. "Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ukraine oder Ukrainer mit den Schüssen zu tun hatten", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, in Washington.

Russland in Trauer.
Russland in Trauer.
AFP/STRINGER

Infolge des Anschlags bleiben am Wochenende alle Theater und Museen in Moskau geschlossen. Im ganzen Land sagten die Behörden Massenveranstaltungen ab.

Am Samstag herrschte in Russland tiefe Betroffenheit. Zahlreiche Menschen folgten Aufrufen, Blut für die Verletzten zu spenden. Reklamebildschirme in diversen Regionen Russlands verbreiteten Trauermeldungen – auch vor der Crocus City Hall, wo die Band Piknik am Vorabend eigentlich ihren neuen Song "Afraid of Nothing" darbieten wollte. (Flora Mory, 23.3.2024)