Was sind die größten Schwächen moderner Bodenreinigungsroboter? Erstens: Die Wischfunktion sorgt mangels guten Anpressdrucks für unbefriedigende Ergebnisse. Zweitens: Kleinere Kanten können die Geräte zwar überwinden, doch wer auf mehreren Etagen wohnt, muss die smarten Putzhilfen entweder herumtragen oder mehrere davon anschaffen.

Das Unternehmen Migo Robotics verspricht Abhilfe für beides. Mit 17 Newton Anpressdruck, laut Hersteller dem Dreifachen typischer Saugroboter mit Wischaufsatz, will man Flecken zuverlässig Herr werden. Mit 9.700 Pascal Saugleistung will man ebenfalls rund das Doppelte vieler Konkurrenten liefern. Der große Clou ist aber ein anderer: Mit zwei seitlich angelegten "Beinen" soll der Migo Ascender Treppen steigen und dabei auch die Stufen reinigen können.

Die Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter läuft erfolgreich. Rund 2.000 Unterstützer haben bereits 1,7 Millionen Dollar beigetragen (Stand: 26. 3., 15.30 Uhr), über einen Monat lang wird noch Geld gesammelt. Für 850 Dollar sagt man Unterstützern zu, ihnen voraussichtlich ab Juli einen solchen Roboter nebst Absaugstation zu liefern. Es ist allerdings Vorsicht angebracht.

Featureflut zum Sparpreis

Auch die weiteren Angaben klingen auf dem Papier vielversprechend. Der rechteckige Roboter soll Stufen mit einer Höhe von bis zu knapp 22 Zentimetern nehmen und dabei auch mit Kurven umgehen können. Dem nicht genug, er soll die Stufen auch gleich reinigen können. Bürste und Mopp sollen zudem bis an die Wand kommen und damit ein "randlos" sauberes Ergebnis garantieren.

Dazu kommen ein Lidar-Sensor, ein Time-of-Flight-Sensor sowie KI-gestützte Erkennung per Kamera von über 100 Gegenständen, um sich zu orientieren und auch nicht versehentlich Socken oder Rucksackgurte einzusaugen. Teppiche werden wie von vielen anderen Staubsaugrobotern auch erkannt, und der Mopp wird dann angehoben. Und dank des integrierten 12.000-mAh-Akkus soll der Ascender während einer Tour eine Fläche von bis zu 500 Quadratmetern säubern können.

Mit eine Bauhöhe von weniger als zehn Zentimetern soll der smarte Sauger auch unter vielen Möbelstücken verkehren können. Und das natürlich nach dem Kennenlernen der Wohnung auf einem optimierten Reinigungspfad. Per App hat man außerdem Zugriff auf Funktionen wie die Reinigung einzelner Räume oder die Festlegung von No-Go-Zonen, die künftig umfahren werden. Die Basisstation kann den Roboter entleeren und auch das Wischtuch reinigen und trocknen. Über Apple Homekit, Alexa, Google Home und Matter soll er sich in bestehende Smart-Home-Systeme integrieren lassen.

Unter der Hauptseite findet sich die Frontpage eines Shopsystems, Fülltext inklusive.
Migo Robotics

Das klingt alles in Summe nach einem vielversprechenden Produkt, noch dazu zu einem fantastischen Preis. Kosten doch Highend-Saug-Wisch-Roboter für den privaten Bereich auch gut und gerne um die 1.000 Euro, ohne an den Funktionsumfang des Migo Ascenders heranzureichen. Doch das sollte als erste von mehreren "Red Flags" gesehen werden, auch wenn der Crowdfunding-Preis laut der Firma einen 40-prozentigen Nachlass darstellt.

Junge Firma und Fülltext auf der Website

Migo Robotics wurde nach eigenen Angaben im Jahr 2022 gegründet. Dass namhafte Köpfe aus der Branche an der Gründung oder Führung beteiligt sind, wird nirgends angegeben. Die Website besteht praktisch aus der Prelaunch-Unterseite für den Ascender, wo sich zwar Spezifikationen und Werbetexte, aber keine weiteren Informationen über die Firma finden.

Auf der Hauptdomain gibt es lediglich die Ankündigung, dass "der Store bald eröffnet wird", begleitet von einem Auszug aus einem "Lorem ipsum"-Fülltext. Es handelt sich um die erste Kickstarter-Kampagne des Unternehmens. Auch eine Web-Recherche fördert wenig zutage. Während die Kickstarter-Seite den Standort der Firma mit Kalifornien angibt, verortet Pitchbook.com das Gründungsdatum im Jahr 2023 und die Adresse in Peking. Allerdings war die Richtigkeit der dortigen Angaben nicht verifizierbar, zumal es mehrere Firmen namens Migo Robotics gibt. "China-Gadgets" berichtet allerdings von einem Investment-Event in China im Jahr 2023 und davon, dass ehemalige Mitarbeiter von Google und Ecovacs das Unternehmen gegründet haben sollen.

Immerhin: Vom Roboter selbst gibt es mehr als nur schicke Renderings, sondern auch Fotos und Videos. In einem solchen wird die Reinigung eines ganzen Hauses mit Erdgeschoß und erstem Stock demonstriert, Treppe inklusive. Der Clip zeigt zwar, dass der Steige-Mechanismus an sich recht ausgereift erscheint, aber an anderen Stellen Fragen aufwirft.

Real-life Whole-house Cleaning
Migo Robotics

Seltsames Fahrverhalten

Die zu Beginn vorgeführte App zeigt ein 3D-Modell einer Wohnung, die im Grundriss der zu sehenden Umgebung nicht zu entsprechen scheint. Dabei wird auch darauf hingewiesen, dass man den Roboter auch manuell per Touchscreen-Joystick steuern kann. Anschließend wird der eigentliche Reinigungsvorgang gezeigt. Zahlreiche nicht nachvollziehbare Schwenkbewegungen auf offener Fläche – gut sichtbar insbesondere im Schlafzimmer circa ab Minute 4:30 – werfen den Verdacht auf, dass der Roboter hier händisch gesteuert wurde und nicht selbstständig gefahren ist, ohne dass auf diesen Umstand hingewiesen wurde.

Begründen lässt sich dies damit, dass Staubsaugerroboter offene Flächen üblicherweise in parallel verlaufenden, gerade Linien abfahren, um optimale Abdeckung zu erzielen. Dass das auch beim Migo Ascender der Fall sein sollte, legt ein Bild auf der Kickstarter-Seite nahe, das illustrieren soll, wie der Reinigungspfad über zwei Stockwerke geplant werden kann.

Die zu sehenden Bewegungen sind nicht nur ein potenzielles Transparenzproblem, denn es geht nicht nur um einen fehlenden Hinweis. Der Clip wurde Anfang Februar hochgeladen, laut Projekt-Timeline befindet sich der Roboter aber schon seit Jänner in Probeproduktion. Das Geld aus dem Crowdfunding soll nur noch für Massenfertigung, Qualitätskontrollen und Lieferlogistik gebraucht werden. Folglich müsste der Ascender schon seit Jahresanfang "feature complete" sein und somit ein fast unverstelltes Schlafzimmer problemlos autonom abfahren können.

Die Wegplanung des Migo Ascenders als Illustration auf der Kickstarter-Projektseite.
Migo Robotics

"Garantierte" Lieferung

Migo betont auf der Kampagnenseite, dass es auf den letzten Metern noch zu Verzögerungen kommen könne, garantiert aber in der Beschreibung der Beitragsbelohnungen die Lieferung der Roboter. Die Durchsetzbarkeit dieser Garantie ist aber zumindest anzuzweifeln. Kickstarter selbst schreibt auf einer Supportseite: "Es ist wichtig, im Kopf zu behalten, dass unterstützen nicht kaufen bedeutet und Belohnungen nicht garantiert sind." Spätestens nach Auszahlung des gecrowdfundeten Geldes dürfte die Plattform also auch kein Druckmittel gegenüber Migo Robotics mehr haben.

Abseits der genannten Warnzeichen für einen möglichen Scam gibt es auch noch genug andere Risiken, die auch zutreffen, wenn es keine Betrugsabsichten geht. Hardwareherstellung ist selbst für etablierte Unternehmen eine beachtliche Herausforderung, und selbst wenn das Gerät fertig entwickelt ist, sind das Aufstellen von Massenfertigung und Logistik keine Kleinigkeiten. Einem Umstand, dem man mit einem Einblick in die Fabrik begegnet, wo die Roboter zusammengebaut werden sollen. Laut einer Pressemitteilung wird man bei der Massenfertigung von einem "namhaften Hersteller von Reinigungsrobotern" unterstützt.

Es wäre voreilig, die Migo-Ascender-Kampagne als Betrugsversuch zu bezeichnen. Allerdings versammeln sich hier übliche Risiken größeren Ausmaßes und mehrere andere "Red Flags" zu einem Gesamteindruck, der skeptisch stimmt. So verheißungsvoll der Next-Gen-Reinigungsroboter auf dem Papier erscheinen mag, sollte man doch umfangreiche Überlegungen zur eigenen Risikobereitschaft und Budget anstellen, ehe man dem Projekt knapp 800 Euro an Unterstützung zusagt. (gpi, 27.3.2024)