Das Containerschiff Dali unter Überresten der Brücke in Baltimore
Aufgrund eines beladenen Frachtschiffs brach die Francis-Scott-Key-Bridge – benannt nach dem Autor der US-amerikanischen Nationalhymne – in Baltimore zusammen.
IMAGO/Benjamin Chambers/Delaware

In der Stadt Baltimore im Osten der USA ist am vergangenen Dienstag eine vierspurige Brücke zusammengebrochen. Mittlerweile wurden zwei Menschen lebend aus dem Patapsco River geborgen, sechs Vermisste sind auch mit Blick auf die starken Strömungen im 15 Meter tiefen Fluss und die Wassertemperaturen um acht Grad Celsius vermutlich gestorben. Die Ursache war eine Kollision eines Transportschiffs mit einem Brückenpfeiler gegen 1.30 Uhr Ortszeit. Wie konnte es zu diesem Vorfall an der Francis-Scott-Key-Brücke kommen?

Brücken-Einsturz in Baltimore: Suche nach Vermissten eingestellt
AFP

Derzeit gehen die Behörden davon aus, dass es sich um einen Unfall aufgrund technischer Probleme handelte und nicht um einen Terrorakt. Der unversehrten, 22-köpfigen Crew des Containerschiffs Dali zufolge habe es kurz vor dem Crash einen Stromausfall gegeben. Einem ermittelnden Geheimdienst zufolge konnte die Besatzung den Antrieb nicht mehr steuern. Dadurch dürfte es zum Zusammenstoß mit dem Pfeiler gekommen sein.

Doch weshalb sorgte ein solcher Crash dafür, dass ein großer Teil der 2,6 Kilometer langen, vierspurigen Brücke einstürzen konnte? Nach Einschätzung von Josef Fink, Leiter des Instituts für Tragkonstruktionen und des Forschungsbereichs Stahlbau an der Technischen Universität Wien, dürfte dies mit den relativ schwachen Pfeilern der Brücke zusammenhängen. "Auslöser für den Einsturz waren die ungewöhnlich filigran konstruierten Betonstützen", sagte er auf Nachfrage des STANDARD. Diese dürften einer besonders leicht wirkenden architektonischen Gestaltung geschuldet sein.

Mehrfache Absicherung fehlt

Erstaunlich sei auch, dass die Leiteinrichtungen 100 Meter vor der Brücke offenbar nicht funktioniert haben, die Schiffe für gewöhnlich von den Pfeilern dieser Brücke fernhalten. Womöglich habe sich das Schiff aber im unmanövrierten Zustand so ungewöhnlich bewegt, dass es dennoch den Pfeiler streifte. Stergios Mitoulis von der Universität Birmingham in Großbritannien, der mit anderen Fachleuten die Lage für das britische Science Media Centre bewertet hat, gibt aber zu bedenken: "Der Einsturz eines Pfeilers würde in jedem Fall zum Einsturz der Brücke führen." Auf ein vollständiges Versagen einer Stütze könne man das Design einer solchen Brücke nicht auslegen.

Außerdem sei es verwunderlich, dass die ganze Brückenkette in Folge des Aufpralls einstürzte, sagt Fink. "Es ist ein Zeichen, dass die Gesamtkonstruktion wenig redundant ausgebildet ist." Diese Ansicht teilen auch andere Fachleute: Redundante Strukturen, die beim Ausfall eines wichtigen Bestandteils den Fortbestand gewährleisten, fehlen oft, sagt Bauingenieurdozent Raffaele De Risi von der University Bristol in Großbritannien. "Wenn also eine der Stützen versagt, folgt das gesamte System hintennach."

Baltimore Brücke Einsturz Containerschiff
Ein großer Teil der Brücke stürzte infolge des angefahrenen Pfeilers ein.
IMAGO/DAVID TULIS

Heutzutage werden Brückenpfeiler in Flüssen in der Regel besonders geschützt und so konstruiert, dass die Last beim Einsturz eines Pfeilers umverteilt wird. Dies dürfte bei der 1977 erbauten Brücke in Baltimore aber nicht der Fall gewesen sein.

Alte Brücke, neue Anforderungen

Finks Vermutung lautet: Wenn die Betonpfeiler der Stahlbrücke massiver gewesen wären, wäre es womöglich nicht zum Gesamtkollaps gekommen. So wäre das Unglück vielleicht vermeidbar gewesen.

Dem Gouverneur von Maryland, Wes Moore, zufolge habe die Brücke den Vorschriften entsprochen. Zu bedenken sei dennoch, dass die Brücke bei ihrem Bau in den 1970er-Jahren anderen Anforderungen entsprechen musste und derartige Zusammenstöße wohl nicht berücksichtigt wurden. Zumindest fuhren dort damals keine so großen Containerschiffe wie die 300 Meter lange Dali. Sie war zum Zeitpunkt des Unfalls unterwegs von Baltimore nach Colombo in Sri Lanka und kann 10.000 Container tragen. Beladen war sie etwa mit der Hälfte.

Darüber hinaus schließt Infrastrukturprofessor Sotirios Argyroudis von der Brunel University London nicht aus, dass Wetter und Flusswasser die Materialien im Laufe der Zeit angegriffen haben. In welchem Zustand sich die Brücke befand, sei aktuell noch unklar.

Kollision mit Donaubrücke

In Österreich kam es ebenfalls schon zu Zusammenstößen von Schiffen und Brückenpfeilern, freilich nicht in dieser Größenordnung. Ein solcher Fall ereignete sich etwa im Dezember 2005 an der Kremser Eisenbahnbrücke über die Donau. Gegen halb vier Uhr Morgens kollidierte ein Transportverband aus fünf Schiffen mit dem mittleren Brückenpfeiler. Die Schiffe waren mit etwa 3.500 Tonnen Eisenerz und Sonnenblumenkernen beladen. Weil der Kapitän ohnmächtig geworden war, hatte sich die Fahrtrichtung der Schiffe geändert. Durch den Aufprall wurde der Pfeiler um zwei Meter verschoben.

Schiff Zusammenstoß Brücke Krems
Das Schubschiff Ybbs prallte am 17. Dezember 2005 gegen einen Pfeiler der Eisenbahnbrücke in Krems. Verletzt wurde niemand.
HERBERT PFARRHOFER / APA / picturedesk

Die Tragwerke der mehr als 100 Jahre alten und 1991 generalüberholten Eisenbahnbrücke waren nicht einmal heruntergefallen, weil der Pfeiler so massiv war, erklärt Konstruktionsexperte Fink. Die alten Brücken waren freilich nicht auf so hohe Schiffslasten ausgelegt wie neue Konstruktionen. Doch das damalige Ingenieurverständnis, das bei den Donaubrücken grazilere Konstruktionen vermied und auf massive Pfeiler setzte, erweist sich noch immer als vorteilhaft.

Es lag aber auch an der Geistesgegenwart eines Zugführers, dem dennoch ein Knick in den Schienen aufgefallen war, dass beim Unfall an der Kremser Brücke niemand verletzt wurde. Es kam nur zu Sachschäden, die Brücke konnte für ungefähr ein Jahr nicht mehr von der ÖBB überfahren werden. Eine Klage auf Schadenersatz wurde allerdings abgewiesen, weil die Brücke nach Stand der Bauvorschriften über einen Anfahrschutz hätte verfügen sollen.

Der Betonpfeiler der Kremser Eisenbahnbrücke wurde durch den Aufprall um zwei Meter verrückt.
HERBERT PFARRHOFER / APA / picturedesk

Katastrophe nie auszuschließen

Auch in Deutschland würden Brücken meist so gebaut, dass eine Kollision sehr unwahrscheinlich sei, sagte Massivbau-Experte Josef Hegger von der RWTH Aachen gegenüber der deutschen Presseagentur dpa. Dafür sorgen Pylonen im Fluss, die die Schiffe entsprechend ablenken und somit etwa die Pfeiler der Rheinbrücken schützen. Eine solche Wucht, wie sie beim Unfall in Baltimore auf den tragenden Pfeiler einwirkte, wäre also nicht zu erwarten. Am Nord-Ostsee-Kanal sind die Pfeiler so angeordnet, dass die Schiffe sie kaum treffen können, sondern "dort eher auf Grund laufen würden", sagt Hegger.

Alle drei bis sechs Jahre werden die Brücken in Österreich geprüft. Saniert wird beispielsweise die Mauterner Brücke, die 1885 eröffnet wurde und unter Denkmalschutz steht. Die Pfeiler werden ertüchtigt, um einem Anprall durch Schiffe standhalten zu können und die Wahrscheinlichkeit eines Kollapses zu minimieren. Eine hundertprozentige Sicherheit sei dadurch aber nicht gegeben, sagt Fink: "Bei einer sehr außergewöhnlichen Situation kann trotzdem eine Katastrophe passieren." Aber eine so filigrane Betonstütze wie bei der Brücke in Baltimore einzusetzen sei sehr ungewöhnlich. (Julia Sica, 27.3.2024)