Einem Bericht der Vereinten Nationen zufolge wurden – und werden – Geiseln der Hamas im Gazastreifen zu Opfern von "konfliktbedingter sexueller Gewalt" – dafür gebe es "klare und überzeugende Informationen". Monatelang bestritt die Hamas, dass Menschen im Zuge des Terrorüberfalls vom 7. Oktober 2023 sexuell missbraucht worden seien. Und auch danach sei es bei Gefangenen bzw. Geiseln im Gazastreifen nicht zu solchen Handlungen gekommen. Das allerdings wird im Bericht der Vereinten Nationen in Zweifel gezogen oder sogar widerlegt. Die erste Frau, die schon zu Jahresbeginn öffentlich von sexueller Gewalt gegen ihre Person berichtete, ist die israelische Rechtsanwältin Amit Soussana. Ausführlich schreibt am Dienstag nun auch die "New York Times" über Soussanas Erfahrungen.

Amit Soussana sprach schon im Jänner von ihren Erfahrungen in Geiselhaft – und nun sehr ausführlich in der "New York Times".
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Die 40-Jährige wurde zusammen mit 105 anderen Geiseln während einer bilateral vereinbarten Waffenruhe Ende November 2023 freigelassen. Zunächst hatte sie sich in der Öffentlichkeit nur vage über ihre Behandlung im Gazastreifen geäußert; sie habe sich anfangs gescheut, von ihren konkreten traumatischen Erfahrung zu berichten, so die "New York Times". Als sie Minuten vor ihrer Freilassung von der Hamas gefilmt wurde, gab sie vor, gut behandelt worden zu sein, obwohl das nicht stimmte – sie habe Angst gehabt, ihre Freilassung im letzten Moment doch noch zu gefährden.

Soussana war bei dem brutalen Angriff der Hamas aus dem Kibbuz Kfar Aza verschleppt worden. Sie wurde nach eigenen Angaben von mindestens zehn Männern entführt, geschlagen und in den Gazastreifen gebracht.

Video: Ehemalige Hamas-Geisel berichtet von sexuellem Missbrauch
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"Mit vorgehaltener Pistole"

Die US-Zeitung schildert recht detailliert, wie es Soussana in ihrer Geiselhaft eigenen Angaben zufolge tatsächlich ergangen war. Sie sei allein und angekettet in einem Kinderzimmer, meist in Dunkelheit, festgehalten worden. Nur einige wenige Tage habe sich die Israelin der sexuellen Misshandlung durch ihren Bewacher namens Muhammad erwehren können. Mit vorgehaltener Pistole sei sie Ende Oktober schließlich von dem Mann gezwungen worden, "sexuelle Handlungen an ihm zu vollziehen", erzählte sie der "New York Times" Mitte März im Zuge eines achtstündigen Interviews, das nun in Auszügen veröffentlicht wurde.

Soussana beschrieb in dem Interview, dass sie bis zu ihrer Freilassung nach knapp zwei Monaten Geiselhaft an etwa einem halben Dutzend Orten festgehalten worden sei: das seien sowohl Privatwohnungen als auch ein Büro gewesen, aber auch ein unterirdischer Tunnel. In einer späteren Phase ihrer Haft sei sie von ihren Entführern zwischen zwei Sofas gehängt und dort geschlagen worden.

Monatelang habe sie gebraucht, um sich dazu durchzuringen, der Öffentlichkeit von ihren Erfahrungen als sexuell missbrauchte Geisel der Hamas zu berichten, sagte Soussana der Zeitung. Doch mit einer Gynäkologin und einer Sozialarbeiterin habe sie schon nach wenigen Tagen gesprochen. Besagte Frauenärztin, Julia Barda, bestätigte dies der "New York Times": "Amit (Soussana) sprach sofort, zusammenhängend und ausführlich nicht nur über die erlebten sexuellen Übergriffe, sondern auch über die vielen anderen Torturen, die sie erlebt hat." Auch ein forensischer Mediziner der Universität von Tel Aviv wusste der Zeitung Ähnliches zu berichten: Soussanas Schilderungen seien glaubwürdig und "konsistent" gewesen.

Hamas zweifelt an

Von der "New York Times" um eine Stellungnahme ersucht, versicherte Hamas-Sprecher Basem Naim, dass man die Anschuldigungen untersuchen wolle – dies sei aber wegen der "aktuellen Umstände" (der Krieg, Anm.) zurzeit unmöglich. "Für uns ist der menschliche Körper, insbesondere der der Frau, heilig", sagte Naim dem Blatt zufolge. Es gehöre zu den religiösen Überzeugungen der Hamas, "jede Misshandlung eines Menschen, unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Religion oder seiner ethnischen Zugehörigkeit, zu verbieten". Gleichzeitig zweifelte er Soussanas Ausführungen an, die den eigenen früheren – noch in Gefangenschaft getätigten – widersprechen würden.

Der Bericht in der "New York Times" sorgte für große Aufmerksamkeit, berichtete Soussana doch als erste Frau ganz konkret von der sexuellen Gewalt, der Geiseln wie sie wochen- oder gar monatelang wehrlos ausgeliefert gewesen seien – und sind. Die furchtbaren Schilderungen seien "ein Weckruf", erklärte in der Nacht auf Mittwoch auch der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari: Die Welt müsse noch mehr Druck auf die Hamas ausüben und alles tun, "um unsere Geiseln zu befreien".

Von dem Zeitungsbericht erschüttert zeigte sich auch Israels Staatspräsident Yitzhak (Isaac) Herzog: "Amit Soussana spricht im Namen aller Opfer der abscheulichen sexuellen Verbrechen und Aggressionen der Hamas (...) und aller Frauen auf der ganzen Welt", schrieb er auf X (vormals Twitter). (gian, 27.3.2024)