Wenn das Silvio Berlusconi noch hätte erleben dürfen! Er, der in dutzenden Prozessen angeklagt war und Richter und Staatsanwälte generell für Psychopathen hielt. "Um dieser Arbeit nachzugehen, muss man geistig gestört sein, man muss psychische Probleme haben. Sie machen diese Arbeit, weil sie sich anthropologisch vom Rest der menschlichen Rasse unterscheiden", erklärte der vierfache ehemalige Ministerpräsident einmal, als gerade wieder neue Ermittlungen gegen ihn aufgenommen wurden. Folgerichtig hatte auch schon Berlusconi versucht, psychologische Eignungstests für Richter und Staatsanwälte einzuführen, schon im Jahr 2004. Seine Abwahl zwei Jahre später vereitelte dann das Vorhaben.

Italiens Premierministerin Giorgia Meloni und ihre Koalitionspartner – darunter Matteo Salvini (links) – wollen Richterinnen und Staatsanwälte psychologisch testen.
EPA/RICCARDO ANTIMIANI

Was dem im vergangenen Juni verstorbenen "Cavaliere" versagt blieb, will nun seine ehemalige Jugendministerin Giorgia Meloni vollenden. Ihre Regierung hat am Dienstagabend im Rahmen ihrer Justizreform beschlossen, dass sich angehende Richter und Staatsanwälte in Zukunft einem Psychotest unterziehen müssen, zwischen den schriftlichen und mündlichen Abschlussprüfungen. Meloni hatte entsprechende Absichten schon kurz nach ihrem Amtsantritt als Regierungschefin vor eineinhalb Jahren angedeutet, also noch zu Lebzeiten ihres Koalitionspartners Berlusconi. Nun will sie dessen wichtigsten politischen Lebenstraum posthum Wirklichkeit werden lassen. Die Chancen dazu stehen gut: Die parlamentarische Mehrheit der Rechtskoalition ist solide, und ein Sturz oder eine Abwahl Melonis sind ebenfalls nicht in Sicht.

"Sie machen diese Arbeit, weil sie sich anthropologisch vom Rest der menschlichen Rasse unterscheiden" – Silvio Berlusconi über die Justiz.

Melonis parteiloser Justizminister Carlo Nordio, einst selber ein renommierter Staatsanwalt, betonte nach dem Regierungsentscheid, dass der Test "keine Majestätsbeleidigung" für die betroffenen Berufsgruppen darstelle. Er erinnerte dabei daran, dass psychologische Verhaltenstests auch für angehende Ärzte, für Linienpiloten und für Polizisten und Carabinieri existierten. Die Tests würden von ausgewiesenen, unabhängigen Fachleuten entwickelt und unter der Aufsicht des Consiglio Superiore della Magistratura (CSM), dem Selbstverwaltungsorgan der italienischen Justiz, durchgeführt. Es gehe bei den Tests nicht darum, dass die Regierung Einfluss nehmen wolle auf die Auswahl der zukünftigen Richter und Staatsanwälte, versicherte Nordio.

"Keine Majestätsbeleidigung"

Nordios Versicherungen vermögen die nationale Gewerkschaft der Richter und Staatsanwälte ANM freilich keineswegs zu beschwichtigen. ANM-Präsident Giuseppe Santalucia kündigte umgehend an, dass sich sein Verband mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Tests wehren werde, notfalls auch mit Streiks. "Das Vorhaben ist verfassungswidrig, weil damit die Unabhängigkeit der Justiz verletzt wird", betonte Santalucia. Psychotests während der Abschlussprüfung seien völlig unnötig: Die psychologische Eignung von angehenden Richtern und Staatsanwälten werde im Laufe ihrer Ausbildung immer wieder bewertet, das habe es schon immer gegeben. "Das Ziel der Regierung ist offensichtlich: Man will den Leute einreden, dass es unter den Magistraten Personen gibt, die nicht ausgeglichen sind. Es geht darum, ganze Berufsgruppen in einem ungünstigen Licht erscheinen zu lassen. Das ist eine Provokation", empört sich Santalucia.

Giorgia Meloni und Justizminister Carlo Nordio beraten noch die Details der Reform. Sie sei jedenfalls keine Majestätsbeleidigung, meint er.
IMAGO/Fabio Frustaci

Ob und wie weit die Psychotests die Unabhängigkeit der Justiz tatsächlich einschränken werden, wird sich erst erweisen, wenn die Tests und die Rahmenbedingungen einmal konkret vorliegen werden. Fest steht aber, dass die italienische Justiz derzeit noch eine Unabhängigkeit genießt, wie sie in ganz Europa einzigartig ist. Es gibt so gut wie gar keine politische Einflussnahme; im Unterschied zu den meisten anderen Ländern werden in Italien Richter und Staatsanwältinnen nicht vom Parlament, sondern von ihrem eigenen Selbstverwaltungsorgan CSM gewählt. Dieses entscheidet dann auch über den Verlauf der Karrieren. Auch für die Ahndung von Dienstpflichtverletzungen ist der CSM zuständig. In der Praxis ist dies problematisch: Die Mitglieder des CSM müssten diejenigen Personen sanktionieren, von denen sie später wiedergewählt werden wollen.

Ein Staat im Staat

Die italienische Justiz ist eine Art Staat im Staat – und die extrem weitreichende Selbstverwaltung ist mit ein Grund für die chronische Ineffizienz des Systems. Zivilverfahren dauern in Italien im Durchschnitt über 1.100 Tage, dreimal so viel wie im Schnitt der OECD-Staaten. Jedes Jahr verjähren zehntausende Straftaten, weil die Strafgerichte nicht hinterherkommen. Die italienische Justiz wäre also durchaus reformbedürftig – aber die Einführung von Psychotests wird an den seit Jahrzehnten bekannten Missständen, für die nicht die einzelnen Richter und Staatsanwälte verantwortlich sind, nichts ändern. Geändert werden müssten die Justizverwaltung, die Kontrolle und das extrem komplizierte Prozessrecht – aber die rechtspopulistische Regierung zieht es vor, die bei den Bürgerinnen und Bürgern unbeliebten "magistrati" für die Misere verantwortlich zu machen. (Dominik Straub aus Rom, 29.3.2024)