Albertas Klimawiszys (Hape Kerkeling) und seine Frau sorgten in Graz für ein Spektakel.
Gepa

Für einige wenige war längst alles vorbei. Und doch trauten sie ihren Ohren nicht, als sie an diesem Montagnachmittag am 29. März 1999 kurz nach Graz die Nachrichten im Autoradio auf der Frequenz 107.5 hörten: "Klaus Augenthaler ist als GAK-Trainer zurückgetreten. Sein Nachfolger kommt aus Litauen." Vielleicht haben sich diese einigen wenigen in jenem Moment ein bisschen gefühlt wie Zoë Roth, das vierjährige Mädchen aus Mebane, North Carolina. 1999 war Roth noch nicht geboren, erst viel später wurde sie als "Disaster Girl" zu einem bekannten Meme. Auf dem weltberühmten Foto lächelt das Mädchen schelmisch in die Kamera, im Hintergrund brennt ein Haus. Und wenn an diesem Montagnachmittag Hape Kerkeling, Jochen Köstler und ihr Team Zoë Roth waren, war der österreichische Fußball und die Fußballjournalisten das brennende Haus. Denn für viele war es zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorbei.

"Das Lustigste war, als wir im Auto auf der Heimreise den Newsflash hörten. Da hatten wir doch schon alles aufgelöst", sagt Jochen Köstler heute, 25 Jahre später, dem STANDARD. Köstler leitete damals die Produktion für die deutsche Comedy-Serie "Darüber lacht die Welt". Der Protagonist, das Gesicht, der Star der Sendung war der deutsche Comedian Hape Kerkeling. Auf der Heimreise war Hape Kerkeling längst wieder Hape Kerkeling, wenige Stunden zuvor war er noch Albertas Klimawiszys aus Litauen – und sollte neuer Trainer des GAK werden. Vielleicht ahnten die einigen wenigen auf der Rückreise nach Deutschland schon, dass ihnen mit ihrer Aufzeichnung ein Coup gelungen war, über den man auch 25 Jahre später immer noch reden würde, über den man immer wieder auf Youtube stolpert. Albertas Klimawiszys wurde an nur einem Vormittag zur Legende. Wie kam es dazu? Wie konnte ein deutscher Comedian alle zum Narren halten, und warum fiel die Wahl ausgerechnet auf den GAK?

Wenige Stunden zuvor: Körösistraße im Grazer Bezirk Geidorf, nur einen Steinwurf von der Mur entfernt. Der GAK rief zu einer außerordentlichen Pressekonferenz ins Casino-Stadion. Der Zeitpunkt war überraschend: Einen Tag darauf stand das Derby gegen Sturm auf dem Plan, die Rotjacken lagen sechs Punkte hinter dem Stadtrivalen auf Platz drei der Tabelle. Das Team von Trainer Klaus Augenthaler spielte eine mehr als anständige Saison. Die Vorzeichen standen leicht zugunsten der Roten: In der Vorwoche hatte man die Wiener Austria mit 3:0 über den Wechsel nach Hause (Sturm verlor 0:2 bei Rapid) geschickt, im Gegensatz zu Sturm stand auch kein Spieler in Österreichs Aufgebot, das wenige Tage zuvor in Valencia gegen Spanien 0:9 untergegangen war. Augenthaler musste also keine Köpfchen, keine Egos streicheln. Und doch war die Stimmung beim Medientermin angespannt.

Aus einer anderen Zeit

Die Pressekonferenz fand im Klubhaus des Casino-Stadions statt. Die GAK-Heimstätte war schon Ende der Neunziger auf dem Weg zum Relikt, hatte aber ob der Nostalgie durchaus ihren Charme. Die Bänke unter der einzigen überdachten Tribüne waren aus Holz, hinter der Anzeigetafel ragte ein großer Baum in den Himmel, aus manchen Wohnungen in der Siedlung dahinter hatte man einen einwandfreien Blick auf das Spielfeld. Ein Stadion, ein Fußballerlebnis aus einer anderen Zeit. Auch das Klubhaus erinnerte mehr an ein Wirtshaus als an Infrastruktur eines professionellen Vereins: weiße Vorhänge mit klassischen Blumenverzierungen, die durchgehende Holzbank war gepolstert, der Raum zugepflastert mit Schildern des Hauptsponsors Liebherr, Trikots in verschiedenen Varianten hingen an den Wänden oder lagen willkürlich im Raum verteilt.

Präsident Peter Svetits lässt gleich zu Beginn die Bombe platzen: "Ich möchte bei dieser Gelegenheit gleich unseren neuen Trainer, oder vorerst die Gattin unseres neuen Trainers, Frau Klimavish, nein Klimawiszys, entschuldige, Klimawiszys, vorstellen. Und bitte Sie, die Fragen zu stellen." Boom, das sitzt. Rechts neben Svetits sitzt Trainer Augenthaler mit versteinerter Miene, links ein Mann mit blonder Mähne, blondem Schnauzer und einem etwas abgetragenen Sakko, er nickt höflich, hält in seiner rechten Hand eine brennende Zigarette. Noch eins weiter hat eine Frau mit Föhnfrisur, rotem Lippenstift und schickem Leopardentop Platz genommen. Den Journalisten fällt die Kinnlade herunter.

Nachdem große deutsche Vereine abgesagt hatten, fiel die Wahl über einen privaten Kontakt zu Klaus Augenthaler auf den GAK.
IMAGO/Frank Hoermann / Sven Simon

Volker Silli war damals einer von ihnen. Und doch hatte der Journalist der "Krone" einen Vorteil: Er war laut eigenen Angaben der einzig eingeweihte Pressevertreter, musste ernste Miene zum lustigen Spiel machen: "Ich hatte einen guten Draht zum GAK und zu Peter Svetits. Sie haben mich angerufen und gefragt, ob ich bei einem Spaß dabei wäre. Am Abend vor der Pressekonferenz traf ich Hape Kerkeling im Hotel Europa, sie haben mir das Skript gegeben: Ich sollte Fragen stellen, damit er seine Jokes anbringen konnte", erzählt Silli dem STANDARD.

Der GAK war für die Sendungsverantwortlichen ein Jackpot. Ursprünglich sollte Kerkeling als falscher Trainer bei einem Verein in Deutschland vorgstellt werden, laut Produktionsleiter Köstler aber ein Ding der Unmöglichkeit: "Die Vereine waren in Deutschland schon ein Stück weit professioneller, die großen Klubs sagten sofort ab, fragten uns, ob wir komplett wahnsinnig wären. Die Angst war viel zu groß." Außerdem war Kerkeling in "Deutschland viel bekannter. Wir waren uns dann schnell einig, dass das wohl nichts wird." Über einen privaten Kontakt zu Klaus Augenthaler fiel die Wahl auf den GAK: "Ein großer Vorteil, weil Augenthaler natürlich auch in Deutschland sehr bekannt war." Als Spieler wurde der Niederbayer 1990 Weltmeister.

Die Qual der Situation

Im Klubhaus in Graz nahm der Termin immer skurrilere Züge an. Kerkeling, also Klimawiszys, buchstabiert in gebrochenem Deutsch erstmal seinen Namen. Auf die Frage, ob der Trainerwechsel eine Auswirkung auf die Mannschaft habe, antwortet er: "Wir sagen in Litauen: Barauta astinkau. Das heißt, wenn der Hahn getotet ist, dann kann die Henne trotzdem immer noch Eier legen. Damit ist eigentlich alles gesagt." Das Raunen, die Unruhe unter den Journalisten wird immer größer. Sie wirken völlig überrumpelt. Aus heutiger Sicht, aus einer Sicht der digitalen Unmittelbarkeit mit Smartphones, Laptops und Möglichkeit zur blitzschnellen Recherche, ist es schon fast unvorstellbar. Aber 1999 war die Abhängigkeit von der Situation bedeutend größer, ja unüberwindbar.

Für die Hauptdarsteller wurde die Vorstellung zur Qual. Augenthaler erinnert sich heute. "Wenn ich zu lachen begonnen hätte, wäre alles aufgeflogen und wir hätten uns blamiert", sagt der 66-Jährige dem STANDARD. Er tat es nicht, seine Rolle, seine Ernsthaftigkeit hätte sich aus heutiger Sicht einen Preis verdient. Was sagt Klimawiszys über Stürmerstar Igor Pamic, der bislang noch nicht getroffen hatte? "Er hat schnelle Auto, aber Fuß ist langsam." Die Qualen nehmen kein Ende, während Klimawiszys aufsteht und ein angeblich litauisches Lied singt, huscht Svetits ein Lächeln übers Gesicht. Augenthaler kann nicht mehr, er dreht sich zur Seite, verbirgt sein Lachen hinter der vorgehaltenen Hand. Wenig später singt noch die angebliche Ehefrau, eigentlich eine deutsche Laienschauspielerin, die sowjetische Hymne. Mikrofone schnellen vor ihr stark geschminktes Gesicht. Da kann sich selbst Kerkeling nicht mehr halten.

Goalie mit Näschen

Die Show aber war noch lange nicht zu Ende. Auf dem Platz wurde der neue Trainer dem Team vorgestellt. Köstler: "Vor der Pressekonferenz mussten wir Hape unbemerkt einschleusen, damit er sich umziehen kann. Das war nicht leicht." Auf dem Platz stellte sich Kerkeling vor ungläubige GAK-Spieler, fragte Automarken ab, gab Kindergartenkommandos: "Einmal Pfeife, Boden runter, nächste Pfeifen, wieder hoch." Köstler erklärt: "Hape hat eigentlich überhaupt keine Ahnung von Fußball, er ist ihm so nahe wie mir Hochseefischen." Im Trainingsanzug sah der Trainer aus, als hätte er keinen festen Wohnsitz. Mittelfeldspieler Enrico Kulovits schickte er sofort unter die Dusche, nur Goalie Franz Almer schien den Braten zu riechen: "Ist das ernst gemeint?" Ja, aber nicht mehr lange. Wenig später wurde die Situation aufgelöst, ein Journalist gab per Telefon durch: "Jetzt bin ich der Trottel."

Die ganze Folge
Darüber lacht die Welt

Die Mühlen der Aktualität mahlten damals langsamer. Die Austria Presse Agentur vermeldete um 12.57 Uhr als Breaking News: "GAK-Coach Augenthaler überraschend zurückgetreten. Litauer Albertas Klimaviszys neuer GAK-Trainer". Wenig später, um 13.12 Uhr, musste man revidieren: "Wir ersuchen Sie, die Meldung APA238 ('GAK-Trainer Klaus Augenthaler zurückgetreten') und APA248 ('GAK-Coach Augenthaler überraschend zurückgetreten') NICHT ZU VERWENDEN. Die Pressekonferenz diente ohne Vorwarnung als Aufzeichnung einer TV-Sendung ('Darüber lacht die Welt')." In der Meldung um 13.52 Uhr konnte man den Gemütszustand der Kollegen erahnen: "Skandal bei GAK-Pressekonferenz: Hape Kerkeling war 'witzig'". Laut Köstler war die ganze Aktion ein Erfolg. Das lag auch am Humorverständnis in Österreich: "Hape liebte es, in Österreich zu drehen. Da war später niemand böse, man konnte über sich selbst lachen."

Auch Ex-Trainer Augenthaler kann noch heute über alles schmunzeln: "Wir haben dem verhältnismäßig kleinen GAK zu großer Aufmerksamkeit verholfen." Selbst die Gefahr der Unruhe bewahrheitete sich nicht: Das Derby gewann der GAK mit 1:0. Torschütze: Igor Pamic. (Andreas Hagenauer, 30.3.2024)