"Sie wollen uns die Kippa vom Kopf reißen, dafür sind sie da!", ruft Shlomo*. "Die Armee ist der verlängerte Arm des säkularen Staats, sie wollen uns alle zu Häretikern machen!" Der Mittsechziger mit langem grauem Bart und langem schwarzem Mantel ist zornig – und er zeigt es. Shlomo ist bei Regen auf die Straße gegangen, um diese mit Dutzenden anderen Ultraorthodoxen zu blockieren. Ihre Botschaft: Kein Staat kann uns zwingen, in der Armee zu dienen – schon gar nicht der Staat der Juden.

Aktivisten der Organisation "Brothers in Arms" demonstrieren mit einer Panzerattrappe vor der Knesset.
EPA/ABIR SULTAN

Anlass des Straßenprotests ist ein Gesetz, das es noch gar nicht gibt, aber bald geben könnte: Das Höchstgericht hat Israels Regierung aufgetragen, eine gesetzliche Regelung zu finden, um die Ultraorthodoxen in den Militärdienst zu integrieren. Dass die Strenggläubigen davon ausgenommen sind, sei rechtswidrig. Bis Ende März hatte die Regierung Zeit dafür – Benjamins Netanjahus Koalition hat jedoch um eine Fristverlängerung angesucht, sie gab den Gazakrieg als Grund an.

Doch das Höchstgericht sprach nun Tacheles: Die Frist endet – und damit basta. Schon ab kommenden Dienstag muss die Regierung laut Gericht Millionen an Unterstützungsgeldern an die ultraorthodoxen Gemeinschaften streichen – ein Druckmittel, um die jungen ultraorthodoxen Männer in die Armee zu schicken.

So alt wie Israel selbst

Es ist ein Thema, das den Staat Israel seit seiner Gründung begleitet: Dass alle 18-jährigen jüdischen Israelis einberufen werden, nur die Ultraorthodoxen nicht, ist ein Privileg, das 1948 den paar Hundert Strenggläubigen eingeräumt wurde, die es damals gab. Es fiel aufgrund der damaligen absoluten Zahlen nicht ins Gewicht – heute hingegen stellen die Ultraorthodoxen bereits 13 Prozent der Bevölkerung: In 40 Jahren wird schon jeder dritte Israeli ein Ultraorthodoxer oder eine Ultraorthodoxe sein. Wie soll ein permanent von Krieg und Terror bedrohter Staat wie Israel bestehen können, wenn die Armee keine Volksarmee mehr ist?

Und wie lässt es sich erklären, dass eine 18-jährige säkulare Israelin ins Gefängnis muss, wenn sie den Militärdienst verweigert, aber ein ultraorthodoxer Gleichaltriger sogar Geld vom Staat bekommt, um sich der Armee zu entziehen und stattdessen die Thoraschule zu besuchen? Diese Frage stellen sich viele Israelis schon lange. Jetzt, da der Krieg in Gaza tobt, hat ihre Geduld ein Ende.

Das merkt man auch am Rande des Straßenprotests in Jerusalem. "Mein Neffe ist in Gaza, während ihr hier die Straße blockiert!", schreit eine Passantin. Es ist kein bloßer Clash zwischen säkular und religiös, der rund um die Wehrdienstfrage aufbricht.

Ran, ein Teenager, der Kippa trägt, versucht schon seit zehn Minuten, Shlomos Redeschwall zu unterbrechen, doch der ältere Ultraorthodoxe lässt ihn kaum zu Wort kommen. "Das Thorastudium ist die wahre Selbstaufopferung!", ruft Shlomo. Jetzt reicht es Ran: „Selbstaufopferung?", fragt er. "Während die anderen im Militär schwitzen, sitzt ihr in eurer Thoraschule unter der Klimaanlage bei gutem Essen!" Das Argument, dass die Armee die Religiösen in Ungläubige verwandele, akzeptiert Ran nicht. "Alle meine Freunde und Rabbiner waren in der Armee, alle sind religiös geblieben", sagt er.

65.000 junge Männer

Für die kleine Zahl an Ultraorthodoxen, die sich – oft zum großen Missfallen ihrer Community – für den Militärdienst entscheiden, hat die Armee eigene Vorkehrungen getroffen: Trennung von Männern und Frauen, Einhaltung der strengeren Speisevorschriften. Trotzdem macht die große Mehrheit der strenggläubigen Männer von ihrem Recht Gebrauch, das Thorastudium als Befreiungsgrund anzugeben. Derzeit sind es rund 65.000 junge Männer.

Bislang ist Netanjahus Regierung daran gescheitert, ein Gesetz zu schmieden, das eine höhere Zahl dieser jungen Männer in die Armee integriert. Die zwei ultraorthodoxen Parteien in der Regierung legen sich quer, und Netanjahu kommt ihnen gerne entgegen – stößt dabei aber auch in seiner eigenen Partei auf Widerstand. Dabei verlangt der Oberste Gerichtshof erst gar nicht, dass alle Ultraorthodoxen zur Waffe greifen müssen. Es würde den Höchstrichtern schon reichen, dass das neue Gesetz eine Quote vorgibt – doch selbst dazu sah sich die Regierung bisher nicht imstande.

Längerfristig, so schätzen die Experten vom Israelischen Demokratieinstitut, könnte es auf eine Art Zivildienst hinauslaufen, um den Ultraorthodoxen wenigstens irgendeinen Beitrag zur Allgemeinheit abzuverlangen. Dafür brauche es aber "mutige Politiker", meint Shuki Friedman, Jurist beim Thinktank JPPI.

Historischer Moment?

Dieser Mut fehlt der aktuellen Regierung. Und die inneren Gräben sind zu groß, um sie mit einem Kompromiss zu überwinden: Benny Gantz, der kurz nach Kriegsbeginn von der Opposition in die Regierung gewechselt ist, hat klargestellt, dass er einer Verlängerung der Ausnahme nicht zustimmen wird. Die Ultraorthodoxen wiederum sind strikt gegen jede Aufweichung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Koalition an dieser Frage zerbricht.

"Es ist ein historischer Moment", sagt Friedman. "Wenn wir die Ultraorthodoxen nicht dazu bringen, Teil von Armee und Arbeitsmarkt zu werden, wird es für den Staat auf lange Sicht sehr schwer sein, weiter zu existieren." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 29.3.2024)