In der Nato kündigt sich in Sachen Waffenhilfe und Unterstützung für die Ukraine im Krieg gegen Russland ein ähnlicher Konflikt an, wie er innerhalb der Europäischen Union bereits seit Beginn des Kriegs im Jahr 2022 ausgetragen wird. Kaum hatte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch offiziell den Vorschlag gemacht, das Bündnis möge einen auf fünf Jahre angelegten Fonds im Volumen von 100 Milliarden Euro einrichten, um die Lieferungen an Kiew besser planbar zu machen, meldeten die ersten Länder Bedenken dagegen an.

Péter Szijjártó (li.) war zu keinen Zugeständnissen an Jens Stoltenberg (re.) bereit.
AFP/KENZO TRIBOUILLARD

Zwar wurde der Vorstoß nach den Worten des lettischen Außenministers Krišjānis Kariņš im Kreis seiner Kollegen grundsätzlich unterstützt. Er und seine 31 Kollegen hatten sich am Donnerstag anlässlich des 75. Jahrestags der Gründung im Hauptquartier des Bündnisses in Brüssel getroffen. Der ukrainische Chefdiplomat Dmytro Kuleba war sogar als Gast geladen, um die Verbundenheit der Allianz mit seinem Land zu unterstreichen.

Aber: Ungarn kündigte bereits an, das Projekt eines gutdotierten Nato-Fonds für die Ukraine abzulehnen. "Ungarn wird jeden Vorschlag zurückweisen, der zur Transformation hin zu einer offensiven Allianz führt", zitiert das Portal "Politico" Außenminister Péter Szijjártó; "das würde zur ernsthaften Gefahr einer Eskalation führen".

Orbáns Nähe zu Putin

Er ist ein enger Vertrauter von Premierminister Viktor Orbán. Der Fidesz-Chef hat 2023 lange ein (ziviles) EU-Hilfspaket für die Ukraine im Volumen von 50 Milliarden Euro per Veto blockiert und sich zunächst gegen einen EU-Beitritt des Lands ausgesprochen, ehe er im Dezember einlenkte. Orbán sucht im Gegenzug die Nähe des russischen Präsidenten Wladimir Putin – trotz EU-Sanktionen und aller EU-Beschlüsse zum Krieg.

Szijjártó fügte zu seiner Ablehnung hinzu, das sei "weder ein Krieg von Ungarn noch der Nato". Aber gemäß Beschlusslage sowohl in der EU als auch in der Nato ist es ein völkerrechtswidriger Eroberungskrieg Russlands, weshalb die Bündnispartner der Ukraine die volle Unterstützung zusagten.

Erste Vorbehalte brachte auch Spaniens Außenminister José Manuel Albares vor. Dabei ging es aber nicht um eine prinzipielle Ablehnung eines solchen Fonds, sondern um die Frage, wie man die Finanzierung aufbringe und was mit dem Geld im Detail geschehen solle. Das Konzept dazu soll laut Stoltenberg bis zum Nato-Jubiläumsgipfel der Staats- und Regierungschefs im Juli in Washington ausgearbeitet sein und dort beschlossen werden.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock im Gespräch mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba. Sie begrüßt die geplante Nato-Hilfe für die Ukraine.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock im Gespräch mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba. Sie begrüßt die geplante Nato-Hilfe für die Ukraine.
AP/Geert Vanden Wijngaert

Hintergrund ist, dass die Europäer in der Allianz dann noch mit US-Präsident Joe Biden rechnen können. Sollte im November Donald Trump zum Nachfolger gewählt werden – der die Ukraine-Hilfe bekanntlich infrage stellt –, könnte es schwieriger werden, Waffen und Munition aufzubringen. Der Nato-Fonds bis 2028 könnte auch ein Gegengewicht zu den bilateralen Waffenlieferungsgesprächen im Ramstein-Format bilden, die ganz von den USA dominiert werden.

Mehr Koordinierung

Dementsprechend begrüßte auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Brüssel eine stärkere Rolle der Nato bei der Koordinierung der Ukraine-Hilfe. Allerdings müsse man aufpassen, dass es nicht zu Verdoppelungen mit EU-Hilfen komme.

Die Nato-Außenminister betonten, dass sich die Nato-Mitglieder freiwillig zu dem Bündnis entschlossen hätten, um gemeinsam Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Generalsekretär Stoltenberg sagte in Richtung Washington, die USA hätten durch die Nato "mehr Freunde und Verbündete als jede andere Großmacht".

Russland betonte zum 75er der Nato, dass es sich "in direkter Konfrontation" mit dem Bündnis sehe, wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in Moskau sagte. Der Dialog mit der Nato sei "auf dem Nullpunkt", erklärte Vizeaußenminister Alexander Gruschko. Peskow rief Putins Lesart in Erinnerung, wonach die Nato "die Ausbreitung ihrer Infrastruktur an unsere Grenzen fortsetzt".

In Deutschland kündigte Verteidigungsminister Boris Pistorius indes eine umfassende Strukturreform für eine "Bundeswehr der Zeitenwende" an, um diese "kriegstüchtig" zu machen. Es wird ein operatives Führungskommando geschaffen, neben dem es vier Teilstreitkräfte (Land, See, Luft/Weltraum und Cyber/Informationsraum) geben soll. Diese Struktur soll mehr Effizienz bringen – auch in der Kooperation mit der Nato. Auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht sei angedacht, sagte Pistorius in Berlin. (Thomas Mayer, 4.4.2024)