Alexander Salvatore: "Wir haben mit Red Bull verhandelt, aber ihr letztes Angebot war eine violette Kapitänsbinde und violette Tormannstutzen. Das war inakzeptabel."
Sandra Bernhofer

Beruflich ist Alexander Salvatore Taxler. Doch auf der Fahrt vom Salzburger Hauptbahnhof nach Maxglan, zum Stadion der Austria, bleibt der Taxameter ausgeschaltet. Im Interview mit dem ballesterer in den schlichten VIP-Räumlichkeiten soll es nicht um seinen Beruf gehen, sondern um die UEFA-Cup-Saison 1993/94 und die Frage, welche Rolle der Erfolg von damals noch heute bei der Salzburger Austria spielt. Salvatore ist seit fast 28 Jahren Vorsänger der Kurve und Gründungsmitglied von "Union Ultra", er war schon damals dabei: bei den Spielen im Lehener Stadion, in Wien und in Mailand. Für das Gespräch hat er direkt unter einem Foto Platz genommen, das die Mannschaft aus der Saison 1993/94 zeigt. Die Spieler haben auf dem Passepartout unterschrieben.

ballesterer: Was löst es in Ihnen aus, wenn Sie auf das Bild hinter sich schauen?

Alexander Salvatore: Ich kriege Gänsehaut. Damals sind so viele Menschen zur Austria gekommen, das war etwas ganz Besonderes. Wenn wir diese Erfolge nicht gehabt hätten, würde es den Verein heute nicht mehr geben. Dann hätten die Menschen 2005 nicht so sehr um ihren Klub gekämpft.

Sie sind in Bischofshofen aufgewachsen. Das ist eine Stunde von Salzburg entfernt. Wie wird man dort Austria-Fan?

Das war halt so, die Austria war der einzige Bundesligist in der Gegend. Mein erstes Match war irgendwann Anfang der 1990er Jahre gegen Vorwärts Steyr. Ab dann sind wir zu den meisten Heimspielen gefahren, ich, mein Bruder, der Papa, manchmal auch die Mama. Zum Geburtstag und zu Weihnachten habe ich mir Fahrten zu Auswärtsspielen gewünscht. Mit 14, 15 bin ich dann alleine gefahren und habe die richtigen Leute kennengelernt. So bin ich in die Szene gerutscht.

In der Saison 1993/94 sind Sie 14 Jahre alt geworden. Welche Erinnerungen haben Sie noch?

Manche Spiele, wie das vorentscheidende 6:0 gegen Austria Wien in der Liga, vergisst man nie. Nach dem Meistertitel ist die ganze Stadt auf dem Kopf gestanden. Das kann man sich heute, wenn man sich die Feierlichkeiten von Red Bull anschaut, gar nicht mehr vorstellen. Ich war bei den Europacupheimspielen in dieser Saison, auch in Wien. Das war eine geile Geschichte, in so einem großen Stadion zu spielen. Auswärts war ich aber nur beim Finale in Mailand.

Wie war das?

Gott sei Dank war es gegen Inter, meine ganze Verwandtschaft kommt aus Mailand. Wenn das Finale in Karlsruhe gewesen wäre, wäre der Papa wahrscheinlich nicht gefahren. Die Tickets hat uns unser Verteidiger Franz Aigner besorgt, der ist auch aus Bischofshofen. Sonst wären wir vielleicht gar nicht an Karten gekommen, ich war damals ja noch in keinem Fanklub. Wir sind in zwei Autos nach Mailand gefahren, die Nachbarn sind auch mitgekommen. Zuerst sind wir zu meiner Oma gefahren, dort haben wir meinen Cousin abgeholt, der Inter-Fan ist. Gemeinsam sind wir dann zum Domplatz, da waren schon überall Austrianer.

Wie war es im Stadion?

Es war ein Erweckungserlebnis. Wir sind im Gästesektor im ersten Rang hinter dem Tor gestanden, aus dem zweiten Rang haben uns die Mailänder die Orangen auf die Schädel geworfen. Dann hat es bengalische Feuer und eine Wahnsinnschoreografie gegeben: "Milano siamo noi". Das weiß ich noch. Da hast du gemerkt, dass das Verrückte sind. Mich hat das beeindruckt. An diesem Abend habe ich begonnen, mich für Ultras zu interessieren.

Ist Ihnen von dem Spiel etwas in Erinnerung geblieben?

Der Stangenpendler von Marquinho. Ich bin überzeugt, dass er drin war. Hätte es der Schiedsrichter auch so gesehen, hätten wir es geschafft.

Hätte das etwas geändert? Wie viel mehr wäre der Titel wert gewesen?

Du wärst als einziger österreichischer Verein Europacupsieger, im Finale waren ein paar andere auch schon. Und ob wir jemals wieder dorthin kommen, ist bei allem Optimismus sehr fraglich. Deswegen beschäftigt mich dieser Schuss so. Ich denke noch sehr oft daran.

ballesterer #187 steht im Zeichen der Europacupsaison 1993/94 von Austria Salzburg. Wir fangen die Stimmung auf den Etappen bis ins Finale in Mailand ein und sprechen mit ehemaligen Funktionären, Fans und Gegnern. Außerdem besuchen wir Barbara Dunst, Verena Hanshaw und Virginia Kirchberger in Frankfurt, hoppen mit den DWIDSwoch-Podcastern, schauen an den Arabischen Golf und besuchen ein Cupfinale im italienischen Unterhaus. Die Ausgabe ist seit 29. März im Handel und im Webshop https://shop.ballesterer.at/ erhältlich.
Cover: Ballesterer

Der Erfolgslauf hat ganz Österreich in seinen Bann gezogen und eigentümliche Blüten getrieben. Der Song "Wir sind die Sieger" ist im "Wurlitzer" auf- und abgelaufen. Können Sie mit dem Lied etwas anfangen?

Ich höre es heute noch gerne. Es wird auch manchmal im Stadion gespielt. Die offizielle Hymne ist zwar "Go Go Goal", aber hin und wieder muss es sein.

Hat Sie der Hype nie genervt? Es war ja nicht nur das Lied, es hat eine ganze Palette von Merchandiseprodukten gegeben, sogar ein Shampoo von Heimo Pfeifenberger.

Ich war damals 13 Jahre alt. Heute würde ich mich fragen: "Braucht es das?" Aber es war eine Welle. Alles, auf dem Austria Salzburg gestanden ist, war einfach geil.

Sie haben gesagt, dass es ohne diese Euphorie den Verein nicht mehr geben würde. Ist die Saison 1993/94 in der Fanszene noch ein großes Thema?

Bei "Union Ultra" sind die wenigsten Mitglieder alt genug, dass sie selbst dabei waren. Da gibt es auf den Sitzplätzen sicher mehr Leute. Aber vor allem bei den Auswärtsspielen merken wir es. Von Salzburg ostwärts gibt es überall Austrianer. Das hat sicher mit den Partien im Happel-Stadion zu tun. Im Februar haben wir ein Testmatch bei der Vienna gespielt, und die Hälfte der Fans im Gästesektor war aus Wien. Komischerweise ist es Richtung Westen ganz anders. Wenn wir in Tirol spielen, siehst du selten einmal Einheimische, die zu uns halten.

Damals hat es noch keine Ultragruppe in Salzburg gegeben. Wann hat sich das geändert?

Wir haben wenig später damit begonnen. In Mailand habe ich zum ersten Mal gesehen, was Ultrakultur heißt. Spätestens, als ich dann den Führerschein gehabt habe, waren wir jedes Wochenende unten. Am Samstag hat die Austria gespielt, am Sonntag sind wir nach Italien gefahren und haben uns fortgebildet. 1996 haben wir das erste Megafon bestellt, das war der Anfang. Dann bin ich mit 16 im Stadion gestanden und habe versucht vorzusingen. Wir waren eine Randgruppe, Gleichgesinnte hat es nur sehr wenige gegeben. Richtig abgegangen ist es erst, als wir 1999 die "Union Ultra" gegründet haben.

War es egal, dass der große Erfolg schon wieder vorbei war?

Sicher sind einige Menschen weggebrochen, aber der Hype hat dafür gesorgt, dass trotzdem sehr viele Leute da waren. Das Problem war eher das Lehener Stadion. Wir waren nirgends heimisch. Hinter dem Tor hat es nur ein paar Stufen, dann sind wir zwei, drei Jahre auf der Gegengerade im Eck gestanden. Aber geträumt haben wir immer von einer echten Kurve, mit dem neuen Stadion ist das dann wahrgeworden. Kein Mensch hat gewusst, dass es der Sargnagel für die Austria werden würde.

Die Gefühle nach dem Umzug waren also positiv?

Wir haben so für dieses Stadion gekämpft, es hat sogar Demonstrationen vor dem Chiemseehof, dem Sitz der Landesregierung, gegeben. Das Lehener Stadion war etwas Besonderes, und ich werde es immer im Herzen tragen, aber der Verein sollte in die Zukunft gehen: mit einem neuen Stadion und einer gescheiten Kurve. Die Mitgliedszahlen bei der Gruppe sind mit dem Umzug durch die Decke gegangen, wir sind total gewachsen und haben bessere Choreos machen können.

Dann ist das Interesse von Red Bull gekommen. Anfänglich ist das kaum kritisiert worden. Was waren die ersten Anzeichen dafür, dass das für die Austria nichts Gutes heißt?

Als das bekannt geworden ist, hat es eine brutale Euphorie gegeben. Ich bin sogar zur nächsten Tankstelle gefahren und habe mir ein Red Bull gekauft. Wir haben uns alle gefreut und gedacht, dass wir wieder durch Europa fahren werden. Nach dem Motto: Etwas Besseres als ein Salzburger Unternehmen kann der Austria nicht passieren. Es hat ein paar Tage gedauert, bis sich die Ersten gefragt haben, ob Red Bull vielleicht einfach unsere Lizenz einhamstern und für das eigene Marketing benutzen möchte. Es ist sehr schnell in die Richtung gegangen, dann hat sich in der Fanszene die "Initiative Violett-Weiß" gegründet. Wir haben mit Red Bull verhandelt, aber ihr letztes Angebot war eine violette Kapitänsbinde und violette Tormannstutzen. Das war inakzeptabel.

Haben Sie jemals mit Dietrich Mateschitz zu tun gehabt?

Nein, weder er noch ich waren in diesen Verhandlungen. In unserer Gruppe war der damalige Capo zuständig, bei Red Bull hat sich auch jemand anderer darum gekümmert.

Auf dem Bild hinter Ihnen ist Adi Hütter zu sehen. Er ist als Trainer mit Red Bull Meister geworden. Was denken Sie sich da?

Ich denke an das Supertor gegen Sporting. Ich denke mir bei allen dasselbe, nämlich, dass das eine tolle Mannschaft und eine super Zeit war. Sicher waren wir enttäuscht, dass 2005 niemand für uns das Wort ergriffen hat. Aber sie haben wahrscheinlich, wie viele andere Menschen in Salzburg, an die großen Chancen gedacht, die der Einstieg von Red Bull gebracht hat. Wir haben das anders gesehen, wir wollten den Verein nicht sterben lassen. Das war unsere Priorität, nicht die Liga, in der wir spielen. Aber sicher hätten wir uns von dem einen oder anderen mehr erwartet.

Von wem konkret?

Heute habe ich zum Heimo ein ganz gutes Verhältnis. Ich freue mich, wenn ich ihn sehe, aber damals war er eine Galionsfigur. Wir haben eine Choreo für ihn gemacht, von ihm hätten wir uns mehr Unterstützung erwartet. Aber er war auch auf der Red-Bull-Schiene. Das hat uns enttäuscht, das Thema ist aber abgeschlossen.

Kommen wir noch zur Gegenwart: Die Austria ist in der Regionalliga West Tabellenführer, der Aufstieg ist möglich. Freuen Sie sich darauf, oder überwiegt die Angst, dass es so endet wie beim letzten Mal?

Der Verein und der Vorstand haben sicher aus der Katastrophe vom letzten Aufstieg gelernt, auf Biegen und Brechen werden wir es nicht probieren. Aber mir taugt es. Alleine der Gedanke, dass es klappen könnte, gibt uns als Kurve einen irrsinnigen Impuls. Die letzten Jahre, in denen klar war, dass wir nicht aufsteigen, haben an uns gezehrt. Es ist schwierig, wenn es sportlich um nichts geht, du aber trotzdem jedes Spiel eine gute Stimmung liefern musst.

Viel hängt am Stadion, von dem nicht klar ist, ob es zweitligatauglich ist. Seit 2022 drängt die Austria auf einen Neubau, konkretisiert hat sich das nicht. Woran scheitert es?

Vielleicht ändert sich nach der Wahl etwas, aber aktuell haben wir keine Lobby in der Stadt. Mein Eindruck ist, dass ein zweiter Verein nicht gewünscht ist. Unser Vorschlag umfasst ja nicht nur ein Stadion, sondern auch neue Wohnungen. Die wären in Salzburg ja auch notwendig, und trotzdem tut sich nichts.

Sie sind seit fast 28 Jahren Vorsänger. Wie lange wollen Sie noch weitermachen?

Gute Frage. Die Stimmbänder sind schon ein bisschen angeschlagen, das wird auch nicht mehr besser. Aber solange ich das Gefühl habe, etwas bewegen zu können, mache ich weiter. Und wenn ich aufhöre, geht die Welt nicht unter. Wir haben genug junge Leute, die gut drauf sind. (Interview: Moritz Ablinger & Simon Hirt, 5.4.2024)