78 Jahre nach seinem Selbstmord ist Diktator Adolf Hitler – hier ein Porträt bei einer Schau zum Thema Nazi-Raubkunst im Schaubergwerk der Salzwelten in Altaussee –präsent.
APA / BARBARA GINDL

Wien – "Herr Richter, ich bin eigentlich nett und friedlich, auch wenn ich was trinke", verkennt der 35-jährige Herr R. ein wenig, wer über sein strafrechtliches Schicksal entscheidet. Denn nicht der angesprochene Wolfgang Etl fungiert als Parze, er ist nur der Vorsitzende des Geschworenengerichts – über R.s Schuld oder Unschuld im Verfahren um NS-Wiederbetätigung, Nötigung und gefährliche Drohung entscheiden allein die acht Laienrichterinnen und -richter. Allzu schwer macht es ihnen der dreifach Vorbestrafte aber nicht: Er bekennt sich schuldig, am 22. Dezember die angeklagten Delikte in zwei Telefonaten mit seiner Schwester verwirklicht zu haben.

Mit mehrmaligem "Heil Hitler" soll der Angeklagte an diesem Nachmittag, zwei Tage vor Weihnachten, seine große Schwester begrüßt haben, und auch eine unmöglich zu erfüllende Vorstellung artikuliert haben: "Adolf Hitler soll deine Familie ficken!", sagte der Österreicher. Aus Sicht der Anklägerin bezog sich diese Äußerung auf seinen bosnischstämmigen Schwager, wodurch der Paragraf 3g des Verbotsgesetzes erfüllt sei.

"Sind Sie a bissl ausländerfeindlich?", will Vorsitzender Etl daher vom Angeklagten wissen. "Nein, überhaupt nicht, Herr Richter. Mein bester Freund ist Kroate!", beteuert R. daraufhin und bietet an, dem Gericht Whatsapp-Nachrichten aus seinem Bekanntenkreis vorzuzeigen, die er im Vorfeld des Verfahrens bekommen habe und in denen Menschen aus unterschiedlichen Nationen ihm viel Glück wünschen.

Ärger als angebliches Motiv

Er sei an diesem Nachmittag einfach furchtbar in Rage gewesen, verteidigt der Hilfsarbeiter sich. Er habe zuvor seinen sterbenskranken Vater besucht und von diesem erfahren, dass der Patient jeweils 70 Euro für Taxifahrten zu Behandlungen ausgeben müsse, obwohl die Schwester des Angeklagten a) Zeit und b) ein Auto habe. Das habe ihn geärgert. Noch mehr allerdings offenbar, dass die Schwester, mit der der Kontakt seit Jahren abgebrochen war, offenbar einen Schlüssel zur Wohnung des Vaters hatte. R. scheint sich um sein mageres Erbe gesorgt zu haben.

Als er erbost die Schwester anrief, schaltete diese ihr Mobiltelefon auf Lautsprecher, und die Nichte des Angeklagten filmte die Szenerie mit. Im Stakkato sind Unflätigkeiten und Drohungen zu hören. Bei den Begriffen "Fotze", "Hure" und "Schlampe" kommt man mit dem Zählen nicht mehr nach, es wird aber auch konkreter. "Ich fick die Mutter vom Karottenkopf, den Freund von deiner Tochter, in den Arsch hinein, die Schlampe!", drohte er, oder: "Dieses kleine Kind von deiner besten Freundin, diese Blonde! Ich vergewaltige sie heute noch, in meinem Alter. Ich ficke sie, diese dreijährige Hure!"

Beisitzerin Anna Marchart bohrt da nach. "Sie haben gesagt, Sie sind eigentlich eh freundlich und nett. Wie kommen Sie auf so eine Drohung? Sie drohen damit, ein Kind zu vergewaltigen!", ist sie fassungslos. "Der Vater des Kindes schuldete mir 600 Euro und ist leider verstorben. Da habe ich das in meiner Rage auch gebracht", gibt R. zu. "Aber das muss doch in einem drinnen sein! Ich meine, wenn man aufgeregt ist, sagt man vielleicht: 'Du Oarsch!' oder, oder – mir fällt ja gar nichts anderes ein!", verweist Marchart auf ihre gute Kinderstube. "Die einzige Emotion, die ich da raushöre, ist Gier!", glaubt die Beisitzerin auch R.s angebliches Motiv nicht. "Nein, nicht Gier, ich wollte nur das gleiche Recht wie meine Schwester!", entgegnet der Angeklagte.

"Arbeitsloser, spielsüchtiger Schläger"

Vorsitzender Etl interessiert noch etwas anderes: "Was hat der Adolf Hitler eigentlich mit Ihren Problemen zu tun?", kann er sich nur wundern. R. kann allein darauf verweisen, dass er damals etwas getrunken habe. "Sie werden im Akt als arbeitsloser, spielsüchtiger Schläger mit einem Drogenproblem beschrieben", hält der Vorsitzende dem bulligen 35-Jährigen noch vor. "Drogenproblem habe ich keines! Ich nehm seit zehn Jahren keine mehr!", ist dem eine Klarstellung wichtig. Einen übermäßigen Alkoholkonsum gebe es, er habe sich aber bereits um einen Therapieplatz bemüht.

Die Schwester sagt als Zeugin, sie habe nach dem Telefonat Angst bekommen, daher habe sie ihren Bruder auch angezeigt, der Polizei das Video übergeben und eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt. Für ihren Gatten und ihre Tochter habe sie beim wenige Wochen später leider notwendigen Begräbnis des Vaters sogar Personenschutz organisiert. Sie selbst habe aus Furcht gar nicht daran teilgenommen. Schließlich habe der Angeklagte in den Telefonaten mit: "Sollte bei der Beerdigung des Opas deine Familie anwesend sein, werde ich mich auf dich stürzen und dir die Goschn einhaun! Das ist mein Moment" gedroht.

Der Verteidiger hält entgegen, dass die 42-Jährige auf den Aufnahmen recht entspannt wirke, den Anrufer mehrmals auslache und kundtue, keine Angst vor ihm zu haben. "Das war ein Verlegenheitslachen", erklärt die Zeugin. "Das Telefonat hat mich überrascht, ich habe ihn davor ja zwei oder drei Jahre nicht gehört." Sie habe aber gewusst, "was er den Eltern in der Vergangenheit psychisch und physisch angetan hat", begründet sie ihre Furcht. "Er war immer schon das Problemkind!", stellt die Frau noch klar.

Angeklagter gibt sich reuig

"Herr Richter, es tut mir wirklich unendlich leid. Es ist eine Schande, was ich gemacht habe!", gibt sich R. in seinem Schlusswort reuig. Vom Vorwurf der NS-Wiederbetätigung sprechen ihn die Geschworenen dann durch einen Vier-zu-vier-Gleichstand der Stimmen frei. Für die Nötigung und die gefährliche Drohung wird der Angeklagte zu sieben Monaten Haft, zwei davon unbedingt, verurteilt, zusätzlich erhält er die Weisung zu einer Alkoholentzugstherapie. Da weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung eine Erklärung abgeben, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 8.4.2024)