Favoriten Jugendbanden Jugendkriminalität
Auf der Favoritenstraße gilt zwischen Reumannplatz und Hauptbahnhof seit Anfang April eine Waffenverbotszone.
© Christian Fischer

Dieser Tage fiel der Begriff immer dann, wenn es um Favoriten ging: "Jugendbanden". Sie sollen laut Boulevardmedien in einige der jüngsten Messerstechereien im zehnten Bezirk involviert gewesen sein. Der Innenminister sprach von ihnen, als er dort eine Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Jugendkriminalität präsentierte. Und Anrainerinnen und Anrainer nannten sie als Grund dafür, warum sie abends den Reumannplatz meiden würden – bis eine Waffenverbotszone in Innerfavoriten in Kraft trat. Aber gibt es diese Jugendbanden in Wien tatsächlich – zumindest im engeren Sinn?

In der Pressestelle der Landespolizeidirektion (LPD) Wien erklärt man immer wieder, dass es die vielzitierten Jugendbanden nicht gebe. Aber dort heißt es auch: dass es vermehrt vorkomme, dass Jugendliche in Gruppen auftreten und Straftaten begehen. Auf Nachfrage hält ein Sprecher der LPD Wien fest: Im allgemeinen Sprachgebrauch sei der Begriff Bande oder Gang üblich – ohne dass in diesem Kontext eine genaue Definition existiere. Im strafrechtlichen Sinne hingegen ist der Begriff klar festgelegt. Kriminalistisch betrachtet bedeutet Bande nämlich: ein organisierter, hierarchisch strukturierter, auf fortwährende Deliktsbegehung ausgelegter Zusammenschluss von Personen.

Und womit hat es die Polizei in Wien dann zu tun, wenn nicht mit Jugendbanden? Mit, so formuliert es ein LPD-Sprecher, "Gruppen, die sich meistens spontan zusammentun und nicht hierarchisch geordnet sind im Sinne der organisierten Kriminalität". Es seien "zumeist nicht konsistente Gruppierungen Jugendlicher, die im niederschwelligen Deliktsbereich Diebstähle oder kleinere Raubüberfälle begehen". Als Beispiel für eine Gruppe, auf die die strafrechtliche Banden-Definition zutrifft, nennt die Wiener Exekutive die Meidlinger Schutzgeldbande. Gegen diese zehnköpfige Gruppe im Alter zwischen 14 und 21 Jahren hat die Staatsanwaltschaft Wien im vergangenen März eine Anklage eingebracht.

Sie soll, so lautet der Vorwurf, im September drei Anschläge auf ein Geschäftslokal im zwölften Bezirk verübt haben, um von dessen Betreiber Geld einzutreiben. Der Handyshopbesitzer soll dabei regelrecht terrorisiert worden sein: mit Böllern, einem bewaffneten Überfall, auch an einer Bombe soll die Bande gebastelt haben. Einer der jungen Männer warf dem afghanischen Verkäufer einen brennenden Molotowcocktail ins Geschäft – und verfehlte ihn nur knapp.

Meidlinger Schutzgeldbande

Als Köpfe der Gang werden ein 17-jähriger Bosnier und ein 19-jähriger Tschetschene vermutet. Ihre Pläne sollen sie in einer Chatgruppe detailliert abgestimmt und dafür gezielt Jugendliche in einem Wiener Park rekrutiert haben. Sie nannten sich "Schutzgeld Mafia Tokarew", nach der gleichnamigen sowjetischen Pistole, die einer der Burschen auch selbst besessen haben soll. Das Kinderzimmer eines noch Strafunmündigen soll einer der Gangchefs als Waffenlager verwendet haben – im Wissen, dass dem unter 14-jährigen Burschen keine Anzeige droht. Sechs der zehn Meidlinger Teens sitzen in Untersuchungshaft.

Der Fall der Meidlinger Schutzgeldgang erinnert an einen ähnlich gelagerten: jenen der "Goldenberg"-Bande rund um den gebürtigen Tschetschenen und Kampfsportler Magamed M. Er verpasste sich den Namen "Max Goldenberg" und scharte dutzende junge Männer zwischen 14 und 21 Jahren via Facebook um sich, größtenteils Tschetschenen.

Die Bande war zwischen 2013 und 2015 vor allem in Favoriten aktiv: Sie beging Raubüberfälle, Erpressung und Drogendelikte. Die Bande wurde schließlich von der Polizei zerschlagen. Es setzte Strafen: drei Jahre Haft für Magamed M. Er soll sich als Chef nur selten unmittelbar selbst an den kriminellen Handlungen beteiligt haben. Manche seiner Mitstreiter kamen deutlich schlechter davon.

Lebensrealitäten der Jugendlichen

Und heute? Nachfrage bei Christian Holzhacker, pädagogischer Bereichsleiter beim Verein Wiener Jugendzentren: Er sagt, Jugendgangs, die sich mit dem Vorsatz treffen, kriminelle Handlungen zu begehen, wie man sie aus anderen Städten in Europa kenne, "haben wir in Wien in den seltensten Fällen".

Das Wort "Bande" werde "inflationär gebraucht", was "eine ganze Altersgruppe massiv stigmatisiert". So "dramatisch" einige Fälle der jüngeren Zeit gewesen seien: "Wir reden von wenigen Jungen, die straffällig werden", sagt Holzhacker. Er verweist darauf, dass Wiens Bevölkerung stetig wachse und viele Zugezogene jung seien.

Zugleich hätten die Krisen zugenommen: Pandemie, Kriege, Teuerung, zunehmende Polarisierung. Das erhöhe die generelle Anspannung und psychische Belastung und damit auch das allgemeine Unsicherheitsgefühl auf allen Seiten – auch auf jener der Jugendlichen. Und so komme es, dass heute "jeder Konflikt auf einem höheren Level startet als noch vor fünf Jahren".

Jugendliche, vor allem sozioökonomisch benachteiligte, würden sich eher im öffentlichen Raum versammeln. Holzhacker plädiert aber dafür, nicht auf Orte zu schauen, sondern: "Wer Kriminalität bekämpfen will, muss sich mit den Lebensrealitäten der kriminell gewordenen Personen beschäftigen."

Revierkämpfe und Drogen

Dieter Csefan, der im Bundeskriminalamt die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Jugendkriminalität, kurz EJK, leitet, verwendet den Begriff Banden: "Es entwickelt sich teilweise in diese Richtung." Mit Blick auf Gangs in Schweden, Deutschland und Frankreich sagt er: "Wehret den Anfängen. Die Aufgabe der neuen EJK ist laut Innenministerium, 'Jugendbanden noch effizienter zu bekämpfen' und 'neuartige Phänomene zu erkennen'".

Dieter Csefan Jugendkriminalität Jugendbande
Dieter Csefan leitet die neu gegründete Einsatzgruppe Jugendkriminalität.
© Christian Fischer

Eines davon beschreibt Csefan so: Gruppen, die sich oft nach ethnischer Zugehörigkeit zusammenschließen, wo sich aber auch Österreicher mit Tschetschenen oder Afghanen mischen würden. Viele davon seien hierarchisch gegliedert. Den jüngeren Burschen, die noch nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, würden zum Beispiel bestimmte Aufgaben zukommen wie das Mittragen von Drogen.

Gemeinsam würden sie etwa Parkanlagen unter ihre Kontrolle bringen, dort zumeist Cannabis oder Ecstasy verkaufen, sich Waffen besorgen und sich manchmal mit anderen Banden Revierkämpfe liefern. Es komme auch vor, dass sie in Gruppen potenzielle Opfer ausmachen und dann etwa Obdachlose ausrauben würden. Und "dieses Phänomen", sagt Csefan, nehme in Wien jedenfalls zu. (Anna Giulia Fink, Jan Michael Marchart, 9.4.2024)