Alicudi ist die östlichste und kleinste der Äolischen Inseln, im Grunde nicht viel mehr als ein alter, nicht einmal fünf Quadratkilometer großer Vulkan, bedeckt mit mediterraner Macchia und umgeben von einem kristallklaren blauen Meer. Im Vergleich zu den bekannteren und touristischeren Inseln der Gruppe – wie etwa Lipari, Stromboli und Vulcano – sind Alicudi und die Schwesterinsel Filicudi Oasen der Stille und der Ruhe. Am verträumten Hafen stehen vielleicht ein Dutzend Häuser, etwas weiter im Inneren des Eilands findet man noch eine Burg mit Kirche und einem prächtigem Panorama. Etwa 100 Menschen leben dauerhaft auf der Insel. Geteerte Straßen gibt es nicht.

Die Zahl der Ziegen übertrifft jene der Menschen auf der Insel Alicudi um das Sechsfache – das ist zu viel (Symbolfoto).
Die Zahl der Ziegen übertrifft jene der Menschen auf der Insel Alicudi um das Sechsfache – das ist zu viel (Symbolfoto).
AFP/JUAN BARRETO

Doch eigentlich ist es mit der Ruhe auf Alicudi schon seit einer Weile vorbei. Schuld daran sind verwilderte Ziegen, deren Vorfahren einst von einheimischen Hirten importiert worden waren, irgendwann ausgebüxt sind und sich seither in beachtlichem Tempo auf der Insel vermehren. Rund 600 Tiere wurden im Rahmen einer Studie der Regionalregierung von Sizilien unlängst auf der Insel gezählt – sechsmal so viele wie die menschlichen Inselbewohnerinnen und -bewohner. Die Ziegen plündern die Gärten der Einheimischen, gefährden seltene Pflanzenarten, beschädigen Trockenmauern und Brunneneinfassungen, blockieren Wanderwege und steigen auf Hausdächer. "Sie sind zu einem enormen Problem geworden, das mit konventionellen Maßnahmen nicht mehr zu bewältigen ist", betont Riccardo Gullo, Bürgermeister von Lipari – und als solcher auch zuständig für das Inselchen Alicudi.

Gratis zu vergeben!

Und so griff Gullo eben zu einer unkonventionellen Methode: Vor einigen Tagen bot er die verwilderten Ziegen per Inserat den Landwirten und Züchtern auf den übrigen Äolischen Inseln und auch auf Sizilien und dem italienischen Festland an – und zwar zum Nulltarif. Einzige Bedingung: Die neuen Besitzer müssen die Tiere selber einfangen und auf eigene Kosten auf ihren Hof transportieren; außerdem wurde die Zahl auf 50 Ziegen pro Interessent beschränkt. "Wir haben schon sehr viele Anfragen erhalten", erklärt der Bürgermeister. Die rege Nachfrage erstaunt nicht: Der Marktpreis für eine Ziege liegt bei rund 200 Euro. Schöpft man das Kontingent von 50 Tieren aus, ergibt das die nette Summe von 10.000 Euro.

Allerdings: Tierschutzorganisationen finden Gullos Ziegen-Aktion nicht wirklich kreativ und sinnvoll, sondern einfach nur empörend. "Was für ein Ende werden diese armen Ziegen nehmen, wenn sie sich erst einmal in den Händen der Tierhalter befinden?", fragt Piera Rosati, Präsidentin der Organisation Animal Protection. Sie gibt die Antwort gleich selbst: "Sie werden beim Fleischhauer landen." Und selbst wenn das nicht passieren sollte, dann würden die Tiere, die zuvor in Freiheit gelebt hätten, in ein System von Gefangenschaft und Ausbeutung geraten. Das sei "inakzeptabel", betont Rosati. Die "Massendeportation" sei zu stoppen; es gebe andere Möglichkeiten der Bestandsregulierung – zum Beispiel die Sterilisation der Ziegen.

Carolina Barnao, Gemeinderätin von Lipari, verteidigt derweil die Maßnahme ihres Kollegen Gullo. "Die Situation ist außer Kontrolle geraten, das Missverhältnis zwischen der Zahl der Einwohner und der Ziegen wurde einfach zu groß", betont Barnao. Einige der Ziegen hätten zudem ein aggressives Verhalten gezeigt und seien zu einer Gefahr für Einheimische und Touristen geworden. Befürworter der Bestandsreduktion weisen außerdem darauf hin, dass es sich bei der Ziegenplage nicht um ein natürliches Phänomen handle, da die Ziegen nicht einer einheimischen, autochthonen Rasse angehörten. In der Tat tummeln sich auf Alicudi Tibet-Ziegen (aus Asien), Saanen-Ziegen (aus der Schweiz) und Girgentana-Ziegen (aus Sizilien) – und Kreuzungen davon. (Dominik Straub aus Rom, 10.4.2024)