Simon Harris ist Irlands neuer Premier.
Applaus in den eigenen Reihen für Simon Harris.
REUTERS/Clodagh Kilcoyne

Die irische Dreier-Koalition verjüngt, wie erwartet, ihr Team: Am Dienstag wählte das Parlament, die Dáil, den 37-jährigen Simon Harris mit den Stimmen der Koalition sowie einer Handvoll unabhängiger Abgeordneter zum bisher jüngsten Taoiseach der Republik Irland. Noch am Abend wollte der neue Chef der konservativen Fine Gael (FG) sein neues Kabinett vorstellen. "Wir wollen unseren wirtschaftlichen Erfolg in echte Verbesserungen für alle Menschen umwandeln", sagte Harris.

Der bisherige Chef des Forschungs- und Wissenschaftsressorts hat einen blitzartigen Aufstieg hinter sich. Mit dem Erdrutschsieg seiner Partei 2011 im Gefolge der Bankenkrise, aus der Irland vom Internationalen Währungsfonds IWF und von der EU gerettet werden musste, zog Harris ins Parlament ein und schaffte es mit nicht einmal 30 Jahren ins Kabinett. Als der bisherige Premierminister Leo Varadkar Ende März völlig überraschend seinen Rückzug ankündigte, scheuten sämtliche Konkurrentinnen davor zurück, gegen Harris anzutreten.

Himmelfahrtskommando

Freilich gleicht dessen Aufgabe auch einem Himmelfahrtskommando. Mit welchem Mangel an Zuversicht viele seiner Kolleginnen in ihre politische Zukunft schauen, verdeutlicht die Tatsache, dass ein Drittel der FG-Fraktion zur spätestens kommenden März fälligen Wahl nicht mehr antreten will. Schon im Juni drohen der Regierungspartei sowie ihren Koalitionspartnern, der nationalliberalen Fianna Fáil (FF) und den Grünen, massive Mandatsverluste bei den Kommunal- und Europawahlen. "Er braucht Siege, aber die Zeit läuft gegen ihn", analysiert die Politologin Theresa Reidy vom University College im westirischen Cork die Situation.

Unter seinen Vorgängern Enda Kenny und Varadkar schaffte es Irland mit Rekordgeschwindigkeit aus dem EU/IWF-Rettungsprogramm, seit Jahren verzeichnet die Republik vergleichsweise robuste Wachstumsraten, Vollbeschäftigung und steigende Reallöhne. Gleichzeitig aber fühlen sich viele der 5,2 Millionen Iren von dem Boom abgekoppelt. Besonders im Ballungsraum Dublin herrscht schreiende Wohnungsnot; junge Leute sehen ihre Chance auf ein eigenes Häuschen in immer weitere Ferne rücken. Die Obdachlosigkeit hat Rekordhöhe erreicht, Hunderte von Asylbewerbern müssen mangels geeigneter Unterkünfte in Zelten untergebracht werden.

Die starke Zuwanderung der vergangenen Jahre, nicht zuletzt durch eine Welle ukrainischer Flüchtlinge seit dem russischen Angriffskrieg, hat auch auf der Grünen Insel rechtspopulistische Hassprediger auf den Plan gerufen. Im Herbst wurden Parlamentsabgeordnete in Dublin angepöbelt und tätlich angegriffen, mehrfach gab es Brandanschläge auf geplante Asylunterkünfte.

Harris verspricht mehr Empathie

In seiner kurzen Ansprache nach der Wahl sprach Harris davon, er wolle "neue Energie und Einfühlungsvermögen" in die Politik einbringen. Damit legte er Distanz zwischen sich und seinen erst 45-jährigen Vorgänger Varadkar. Dieser gilt als brillant, aber auch als ungeschickt im persönlichen Umgang mit anderen; in seinen letzten Amtsmonaten wirkte er außerdem häufig lustlos. Demonstrativ dankte der neue Taoiseach seiner Frau, einer Krankenschwester, seinen Eltern und Geschwistern für deren Unterstützung und gelobte seinen beiden kleinen Kindern, dass auch in Zukunft die Vaterrolle "mein wichtigster Job" bleiben werde.

Den Kampf gegen die Wohnungsnot nannte Harris als wichtigste Aufgabe seiner Regierung. Bereits am Wochenende hatte er die bisherige von der Regierung versprochene Anzahl geplanter Neubauten von 33.000 auf 50.000 jährlich aufgestockt. Auch das gilt unter Immobilienfachleuten noch als zu wenig. Angesichts gewaltiger Steuereinnahmen dürfte der Haushalt im Herbst Rekordinvestitionen in die öffentliche Infrastruktur, vor allem das marode Gesundheitssystem, vorsehen.

Außen- und europapolitisch will Harris am bisherigen Kurs festhalten. Für Kontinuität am Kabinettstisch sorgen hier FF-Chef Micheál Martin im Außenressort sowie der Vorsitzende der Eurogruppe, Paschal Donohoe. Erst am Montag war Harris noch in alter Funktion mit den Co-Regierungschefs in Nordirland, Michelle O’Neill und Emma Little-Pengelly, zusammengetroffen. Wie seine Vorgänger werde er als "Schutzherr und Garant" des Karfreitagsabkommens von 1998 und damit der Aussöhnung zwischen Katholiken und Protestanten agieren, beteuerte Harris. (Sebastian Borger aus London, 9.4.2024)