Vor kurzem bescherte der Aprilanfang Österreich den frühesten Hitzetag der Messgeschichte – in Bruck an der Mur wurden 30 Grad gemessen – und sommerliches Wetter inmitten des Frühjahrs. Das ist nicht nur ein weiteres Indiz für den fortschreitenden Klimawandel, sondern löst auch Besorgnis vor einem sehr heißen Sommer aus. Hitzetage und Tropennächte lassen die Nachfrage nach Ventilatoren und Klimaanlagen steigen. Doch gerade Letztere verbrauchen beachtliche Mengen an Energie.

Doch im Saarland wird an einer vielversprechenden Lösung für die Zukunft gearbeitet. Künstliche Muskeln könnten eines Tages als wesentlich effizientere Lösung klassischen Kühl- und Heizlösungen den Rang ablaufen. Die Professoren Stefan Seelecke und Paul Motzki der Universität Saarland haben kürzlich einen ersten Prototyp präsentiert.

Eine kleine Flasche hat Platz im ersten Minikühlschrank mit künstlichen Muskeln. Student Nicolas Scherer (li.) und Doktorand Lukas Ehl forschen im Team der Professoren Seelecke und Motzki an dem neuen Kühlsystem.
Oliver Dietze

EU und USA interessiert

Bei dem Gerät handelt es sich um einen Kühlschrank, in dem eine Getränkeflasche Platz hat. Das mag nicht spektakulär wirken, beweist aber die Tauglichkeit des Prinzips der Elastokalorik. Sowohl das US-Energieministerium als auch die EU-Kommission sehen in der Technologie aus Deutschland großes Potenzial, wie "Heise" zu berichten weiß. In der Entwicklung stecken auch verschiedene Förderungen, darunter auch mehr 17 Millionen Euro aus den Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen des Projekts "DEPART!Saar".

Der Prototyp ist eben das: ein grundlegendes Anwendungsbeispiel. Anwenden ließe sich das System aber auch auf viel größere Räume, und zwar zum Kühlen und auch zum Heizen. Derzeit, so die Forscher, erreiche man bereits Temperaturdifferenzen von rund 20 Grad Celsius. Der Wirkungsgrad soll ungefähr beim Zehnfachen heutiger Klimaanlagen und Kühlschränke liegen.

Smarte Drähte transportieren Wärme

Der Star hinter diesem Fortschritt ist ein "smartes" Material. Man nutzt Drähte aus Nickel-Titan, die nicht nur superelastisch sind, sondern über ein Formgedächtnis haben, also nach Ende einer Krafteinwirkung wieder ihre ursprüngliche Form einnehmen. Die Legierung besteht aus zwei festen Phasen in Form von Kristallgittern, die sich ineinander umwandeln können. Und diese Umwandlung geschieht, wenn die Drähte gestreckt werden. Dabei geben sie Wärme ab und nehmen sie wieder auf, wenn sie entlastet werden.

Der Prototyp ist 35 Zentimeter hoch und hat einen Durchmesser von 26 Zentimetern.
Oliver Dietze

Das lässt sich nutzen, um Wärme zu transportieren. Um den Effekt zu verstärken, kann man die Drähte bündeln und somit die Oberfläche vergrößern.

Die Konstruktion eines Kühlkreislaufs ist allerdings nicht ganz so einfach. Für den Demonstrationskühlschrank wurde eigens ein Nockenantrieb konstruiert. Dieser rotiert die Drähte, während sie auf einer Seite belastet und auf der anderen Seite entlastet werden. Dabei wird Luft in die Kühlkammer geleitet, auf deren Seite die Drähte entlastet werden und so der Luft Wärme entziehen. In der Kühlkammer des Prototyps gewährleistet man so eine Temperatur zwischen zehn und zwölf Grad Celsius.

Elastocaloric Continuous Heating and Cooling Unit
intelligent Material Systems Lab

Systemplanung per Software

Die Nutzung und Skalierung der Technologie auf größerem Raum ist nunmehr eine Frage kluger Konstruktion. Es gilt, die Dicke der Drahtbündel, den Weg der Luftströme und die Bewegung des Antriebs zu konzipieren, um den benötigten Kühleffekt zu erreichen. Dafür hat man mittlerweile eine Software entwickelt, mit der sich Kühl- und Heizlösungen für verschiedene Anwendungen simulieren und planen lassen. Gleichzeitig forscht man auch an Materialherstellung, Produktion und Recycling.

Man sieht ein breitgefächertes Potenzial. Elastokalorik lasse sich sowohl im Bereich der Industriekühlungen einsetzen, genauso aber auch bei Kühlsystemen für Elektrofahrzeuge oder in Haushaltsgeräten, sagt Motzki.

Die künstlichen Muskeln aus dem Saarland sollen aber auch in anderen Bereichen eine Rolle spielen. Sie versprechen auch Fortschritte beim Bau von Pumpen, Ventilen, Roboter-Armen oder Antrieben, für deren Entwicklung zur Marktreife man das Unternehmen Mateligent gegründet hat. Auf der Hannover Messe (22. bis 26. April) sollen neben dem elastokalorischen Kühlschrank auch andere Prototypen zur Schau gestellt werden. (gpi, 10.4.2024)