Julia Mayer
Julia Mayer läuft beileibe nicht nur auf Asphalt, sondern auch im Gelände. Im Trainingslager wie hier in Südafrika sowieso, aber auch beispielsweise im Grünen Prater.
Missy Julia

Eine Woche hat sieben Tage. Sagen wir. "Eine durchschnittliche Woche hat 210 Kilometer." Sagt Julia Mayer. Wobei – vergangene Woche hat sie bloß 180 Kilometer zurückgelegt, und kommende Woche werden es nur noch 110 Kilometer sein, inklusive Vienna City Marathon am Sonntag. Er ist der Grund dafür, warum sie das Pensum zurückgeschraubt hat, sonst würde ihr am Wettkampftag die Spritzigkeit fehlen. In Spitzentrainingswochen ist sie auf 240 Kilometer gekommen. 240 Kilometer. Da gab es allerdings ausnahmsweise keinen Ruhetag. Ansonsten wird am Montag meistens pausiert. Aber auch die Division 240 durch sieben ergibt noch ein schönes Stück Weg, nämlich gut 34 Kilometer. Am Tag.

Julia Mayer hält das aus, ihr Körper hält das aus. Aber wie? Sie hat ihn, sagt die 31-jährige Niederösterreicherin, die in Wien lebt, quasi dazu erzogen, indem sie jahrelang nur sehr behutsam die Laufumfänge erhöhte. Mayer ist eine Spätberufene, sie hatte sich nach etlichen Jahren im Fußball erst mit Mitte 20 für den Langstreckenlauf entschieden, trat zunächst vor allem über fünf und zehn Kilometer an. Seit 2017 holte sie insgesamt zwanzig Staatsmeistertitel. Im Marathon debütierte sie vor einem Jahr in Wien, sie lief auf Anhieb Rekord (2:30:42) und verbesserte diesen im Dezember in Valencia auf 2:26:43, womit auch die Qualifikation für die Olympischen Spiele (Paris, ab 26. Juli) unter Dach und Fach war.

Die Spätberufenheit brachte mit sich, dass Mayer anfangs gar nicht auf Teufel komm raus loslaufen konnte. Mehr als 70 oder 80 Laufkilometer pro Woche waren 2018 nicht drin, 2019 waren es nicht mehr als hundert. Progressive Belastungssteigerung, wenn man so will, aber nie zu viel auf einmal. "Hätte ich zu schnell gesteigert, so hätte das den Körper zu stark belastet." Nämlich die Gelenke, die Sehnen, die Muskeln. "Deshalb habe ich mir damals, um meine Ausdauer zu erhöhen, mit Alternativsportarten geholfen, ich war sehr oft Rad fahren, bin viele Skitouren gegangen." Die Radkilometer wurden immer weniger, die Laufkilometer immer mehr. "Der Körper muss adaptieren", sagt Mayer. "Aber das tut er nur, wenn du ihm Zeit gibst. Über Nacht geht gar nichts. Ich habe viele sehr kleine Schritte gemacht, Babyschritte." Ab 2020 hat Mayer die Anzahl der Trainingskilometer laufend immer mehr erhöht. "Ich habe nie einen ganz großen Sprung gemacht. Dafür war ich auch nie verletzt." Im Training ist sie übrigens beileibe nicht nur auf Asphalt, sondern oft im Gelände, etwa auf Waldboden, unterwegs. Es darf gerne auch leicht bergauf und bergab gehen.

Tempo und "ein langsamer Achter"

An fast jedem Trainingstag absolviert Mayer zwei Einheiten, fast immer eine lange Einheit am Vormittag und eine kürzere am Nachmittag. Am Vormittag kann das ein Dauerlauf über 25 Kilometer sein (Kilometerschnitt 4:20 bis 4:30 Minuten), zu dem am Nachmittag ein weiterer Dauerlauf über zehn bis zwölf Kilometer kommt. Oder es steht am Vormittag eine Tempoeinheit an, die mindestens 32 und maximal 38 Kilometer umfasst. Entweder in gleichmäßigem Tempo oder in längeren Intervallen, beispielsweise fünf- oder sechsmal fünf Kilometer im Marathontempo (Kilometerschnitt 3:30) oder sogar etwas schneller. Da würde am Nachmittag "ein langsamer Achter" dazu passen.

Julia Mayer Vienna City Marathon
Julia Mayer vor dem Start zum Vienna City Marathon 2023. Sie lief auf Anhieb österreichischen Rekord (2:30:42 Stunden) und verbesserte diesen im Dezember in Valencia auf 2:26:43. Am 21. April läuft sie wieder in Wien, Saisonhöhepunkt ist aber der Olympia-Marathon am 11. August in Paris.
APA/EVA MANHART

Langsam ist relativ, oder? Nein, betont Mayer, langsam sei ernst gemeint. "Das kann dann auch 5:45 Minuten für den Kilometer bedeuten. Man muss Mut zur Langsamkeit haben, viele haben den leider nicht. Auch im Hobbybereich sind viele zu schnell unterwegs." Mayers Credo: "Ich laufe wirklich nur das schnell, was ich schnell laufen muss." Im Gegensatz zu den meisten Hobbyisten weiß sie natürlich sehr genau, was sich in ihrem Körper abspielt und wann sie ihn wie stark belasten kann. Heißt? "Ich trainiere immer laktatgesteuert." Der Laktatwert im Blut zeigt ihr sozusagen, was sie sich zumuten kann. Zudem lässt sie zweimal im Monat ein großes Blutbild erstellen, um sicherzugehen, dass kein Wert aus der Reihe tanzt.

"Transfette? Never ever!"

Und natürlich läuft sie stets mit Pulsuhr, auch in Wettkämpfen. "Ansonsten würde ich es mit meinem Trainer zu tun bekommen." Ihr Trainer ist der Physio- und Sporttherapeut Vincent Vermeulen, der Vater des ÖSV-Langläufers Mika Vermeulen. Die Vermeulens sind in Ramsau daheim, das Coaching läuft über weite Strecken virtuell ab. Mayer wird in fast jedem Training gefilmt, schickt ihrem Coach die Videos. Früher hatte er bei ihrer Lauftechnik oft etwas auszusetzen, meistens Kleinigkeiten, aber Kleinigkeiten können entscheidend sein. "Jeder falsche Schritt summiert sich", sagt Mayer. Vermeulens Kritik ist mittlerweile selten und sanft geworden. Vor Olympia sind noch zwei Trainingslager geplant, bei denen Vermeulen vor Ort sein wird. Für den Vienna City Marathon am 21. April wird das Training schon zurückgeschraubt, doch das ganz große Saisonziel sind die Spiele in Paris mit dem Frauenmarathon am 11. August.

Bei einer Körpergröße von 1,59 Metern hat Mayer ein Wettkampfgewicht von 47 bis 48 Kilogramm, das Gewicht sei in ihrem Fall "stark Zyklus-abhängig", in der letzten Woche vor Zyklusbeginn nehme sie fast zwei Kilogramm zu. Das kann sie kaum steuern, im Gegensatz zur Ernährung. "Ich passe extrem auf, was und wie viel und wann ich esse", sagt sie. Ihr Körperfettanteil liegt zu Wettkampfzeiten nicht umsonst bei neun Prozent. "Ich brauche viel Energie, aber gute Energie. Transfette? Never ever!" Gibt es ein Hausmittel, auf das sie schwört? "Ich liebe schwarzen Knoblauch, mein Papa hat mich darauf gebracht. Schwarzer Knoblauch ist gesund und schmeckt super. Ich hau mir die ganze Knolle rein."

Ein Leben "nahe an kompletter Isolation"

Das beste Training nützt wenig ohne richtige Regeneration. Für Mayer ist die Regeneration quasi part of the game, und wir reden hier nicht nur davon, dass sie zweimal am Tag ordentlich dehnt und kräftigt, Bauch, Rumpf, Rücken, die Waden, insgesamt eine Stunde lang, das sei "Standardprogramm". Wir reden auch von einem "relativ faden Tagesablauf". Denn abgesehen vom Lauftraining und den Dehnungseinheiten, sagt Mayer, sei nicht viel los in ihrem Leben. "Ich liege die meiste Zeit daheim auf der Couch oder im Bett, es ist ruhig, es ist dunkel, ich habe wenig Interaktion, eigentlich ist es nahe an kompletter Isolation." Diesbezüglich orientiere sie sich an den Weltbesten, der zweimalige Olympiasieger Eliud Kipchoge etwa kehre seiner Familie vor wichtigen Marathons für etliche Monate den Rücken. "Regeneration bedeutet ganz sicher nicht", sagt Mayer, "dass ich Freundinnen im Kaffeehaus treffe." (Fritz Neumann, 13.4.2024)