Wer an den Öffnungszeiten für den Handel rüttelt, macht von sich reden. Das weiß auch Rewe-Österreich-Chef Marcel Haraszti, der sich in wohlbedachten Intervallen über die Antiquiertheit der Ladenschlussgesetze echauffiert. Sechs Stunden länger will er seine Lebensmittelgeschäfte wöchentlich offen halten. Einzelne könnten bereits um sechs Uhr morgens aufsperren, in anderen sollen Kunden bis 23 Uhr abends uneingeschränkt shoppen können.

Der Blick auf die Uhr erhitzt im Handel traditionell die Gemüter.
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Harasztis Ruf nach mehr Liberalisierung ist Balsam in den Ohren von Unternehmern, die Protektion und künstliche Regulierung beklagen. Denn warum sollen Händler nicht dann ihren Geschäften nachgehen, wann sie es für am sinnvollsten erachten? Späterer Kassaschluss klingt bestechend für Konsumenten, die sich an Feiertagen mit Massen anderer Menschen vor der Billa-Filiale am Wiener Praterstern blockweise abfertigen lassen, weil sie ihre Einkäufe tags zuvor nicht zuwege brachten. Und er dient all jenen als schlagkräftiges Argument, die Pflöcke gegen den wachsenden Internethandel einschlagen wollen.

Stellungskrieg

Große Chancen, bei den Sozialpartnern Gehör zu finden, hatte Rewe jedoch schon vor Jahren nicht. Zu sehr sind die Fronten einem Stellungskrieg gleich verhärtet. Seit die hohe Inflation die Personalkosten explodieren ließ und der Konsum schwächelt, ist der Handelsriese mit seinem Vorstoß auch in den eigenen Reihen weitgehend allein auf weiter Flur. Nicht einmal Einkaufscenterbetreiber Richard Lugner, seit Jahrzehnten treuer Verfechter längerer Öffnungszeiten, raffte sich zu einem Schulterschluss auf.

Österreichs Händler schöpfen schon den bisherigen Rahmen von 72 Stunden die Woche nicht aus. Infolge der Corona-Krise drehten etliche gar an der Uhr und verkürzten die Kernbetriebszeiten, um Ausgaben für Energie und Beschäftigte zu bremsen.

Dennoch ist Rewes Wunsch nach mehr Freiheit bei der Ladenöffnung schlüssig. Die Supermarktkette ist stark in Wien vertreten. In großen Innenstädten ticken die Uhren anders als im ländlichen Raum. Touristen sind verlässliche Umsatzbringer. Beim einen oder anderen Standort wäre es daher reizvoll, abendliche Geschäfte nicht nur der Gastronomie und Freizeitwirtschaft zu überlassen.

Nicht zum Nulltarif

Lebensumstände änderten sich, Grenzen der Arbeitszeit verschwimmen, schon bisher verdingen sich eine halbe Million Menschen in Österreich auch an Sonntagen. Längeres Offenhalten ist zweifelsfrei ein Service am Kunden, der Wettbewerbsvorteile verschafft. Das müssen sich Händler aber erst einmal leisten können. Spätere Sperrstunden gibt es nicht zum Nulltarif. In letzter Konsequenz zahlen sie Konsumenten. Und zwar auch jene, die tagsüber einkaufen.

Denn die Teuerung trieb die Gehälter nach oben. Hart ins Geld gehen vor allem Zuschläge für Arbeit abseits der regulären Öffnungszeiten. Große Lebensmittelkonzerne bezahlen vereinzelt ausgedehnte Sperrstunden zwar aus der Portokasse oder legen sie finanziell aufs gesamte Sortiment um. Dem Gros der Unternehmen geht dabei jedoch die Kraft aus.

Verzerrter Wettbewerb

Auch kleine selbstständige Händler können Läden nicht rund um die Uhr persönlich schupfen. Die Folge ist massive Marktverzerrung. Wobei sich Umsatz nicht per se zu den besseren, sondern zu den mächtigeren Spielern der Branche verschiebt.

Illusorisch ist es zu glauben, internationale Onlineriesen mit einigen Stunden mehr an stationärem Geschäft in Schach zu halten. Beikommen kann ihnen nur die Politik, indem sie ihre steuerlichen Vorteile beseitigt und Zollfreigrenzen abschafft. Alles andere sind stumpfe Waffen im Kampf gegen Kaufkraftabfluss.

Auf tönernen Beinen steht die Aussicht auf zusätzliche Jobs im Handel. Die von Rewe vielgepriesene verdienstreiche Arbeit in späten Abendstunden für Studenten sind Teilzeitstellen, von denen allein keiner leben kann. Arbeitsplätze, die in Supermärkten neu entstehen, würden sich an schwächer frequentierten Standorten in Luft auflösen.

Wettlauf um Personal

Im Wettlauf um Personal werden unattraktive Arbeitszeiten zum Bremsklotz. Schon bisher gehen Händlern die Fachkräfte aus, seit Jahren werden die Personaldecken der Geschäfte stetig dünner. Auch wenn der Handel nicht müde wird, seine Attraktivität zu betonen. 85 Prozent der Arbeitnehmer seien mit ihrem Beruf, 79 Prozent mit ihren Arbeitszeiten zufrieden, erhob etwa die jüngste Umfrage von Mindtake Research für den Handelsverband.

Doch der Verlust an Lebensqualität durch Dienste bis spät am Abend wiegt Zeitausgleich und höhere Einkommen für viele Beschäftigte nicht auf. Noch weniger, wenn Kindergärten um sechs Uhr zusperren und Familienleben unter ständig wechselnden Dienstplänen zerbröselt.

Illusion der Freiheit

Job der Sozialpartner ist es, dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmer nicht unter die Räder kommen. Auch das wird zur Herkulesaufgabe, ist das Korsett der Arbeitszeiten erst einmal gesprengt, sind sich Gewerkschafter sicher. Der Ruf nach einer Reform des Rahmenrechts komme infolge liberalerer Öffnungszeiten wie das Amen im Gebet: Dass diese Arbeitgeber dazu anhalten, an finanziellen Zuschlägen zu rütteln, weil diese nicht leistbar sind, liege auf der Hand.

Nicht weit her ist es im Einzelhandel vielerorts mit der vielzitierten Freiheit bei der Wahl der Dienstzeiten. Händler genießen sie ebenso wenig wie ihre Arbeitnehmer. Kein Einkaufscenter erlaubt es Mietern, aus einheitlichen Öffnungszeiten auszuscheren. Ebenso schwach ist der Einfluss vieler Mitarbeitenden auf die Zeit ihrer Schichten. Wer seinen Job nicht riskieren will, beweist höchstmögliche Flexibilität. (Verena Kainrath, 11.4.2024)