Dennis Ranalter
Dennis Ranalter wuchs in den Bergen auf. Die Frage nach seiner Herkunft blieb trotzdem allgegenwärtig.
Legs of steel/Daniel Schiessl

In Österreich werde ich oft auf Englisch angesprochen. Ich antworte dann in meinem Tiroler Dialekt. Das verwirrt die Menschen. Sie probieren es trotzdem weiter mit Englisch. Oder sie wechseln in gebrochenes Deutsch. Als Kind oder später als Teenager hat mich das traurig gemacht. Ich war ständig mit Rassismus konfrontiert. Und viel hat sich seither nicht verändert. Will ich keinen Rassismus erleben, darf ich das Haus nicht verlassen. Früher bin ich vielen Situationen aus dem Weg gegangen. Zum Beispiel wollte ich beim Skifahren nicht essen gehen. Damit mich die Leute nicht anstarren. Oft reichen schon Blicke. Nein, ich war nicht stolz auf meine Hautfarbe. Ich habe mich geschämt.

Mein Name ist Dennis Ranalter, ich bin in Neustift im Stubaital aufgewachsen. Ich bin Freeski-Profi. Und ich bin schwarz. So richtig bewusst wurde mir das erst in der Schule. Zu Hause und bei den Freunden in der Nachbarschaft war meine Hautfarbe kein Thema. In der Schule stehst du nicht mehr unter dem Schutz der Familie. Du fährst mit dem Bus, du musst interagieren. Da habe ich gemerkt, dass meine Hautfarbe für andere Menschen ein Problem sein kann. Da wurde ich zum ersten Mal auf meine Hautfarbe angesprochen. Was willst du hier? Woher kommst du eigentlich? Man hat mir zu verstehen gegeben, dass mein Platz woanders ist, dass ich nicht dazugehöre.

Manchmal habe ich mir gewünscht, weiß zu sein. Damit die Menschen nicht so mit mir umgehen. Damit ich dieses Thema vom Hals habe. Meine Hautfarbe bot eine Angriffsfläche, man hat sich daran belustigt. Ich denke, meine Mitschüler haben es oft nicht böse gemeint. Sie wollten vor dem Rest der Klasse witzig sein. Trotzdem war es schmerzvoll. Meiner Mutter habe ich von den Vorfällen nie erzählt. Ich wollte sie nicht verunsichern. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen macht. Ich wusste, dass sie das verletzen würde. Im Grunde habe ich mit niemandem über meine Gedanken gesprochen. Ich wollte jede Diskussion vermeiden, ich habe es nicht geschafft, über meinen Schatten zu springen.

Dennis Ranalter in Action
Dennis Ranalter in seinem Element.
Sebastian Höllwart

Vielleicht war das Skifahren für mich auch ein Ringen um Anerkennung. Vielleicht wollte ich es allen zeigen. Ich habe meinen Schmerz und meine Aggressionen in Motivation umgewandelt. Wenn jemand etwas Dummes zu mir gesagt hat, nahm ich das als Ansporn für den nächsten Tag am Berg. Skifahren ist für mich Therapie. Wenn ich auf gesündere Gedanken kommen will, dann kriege ich das am Berg gut hin. Ich lasse alles Revue passieren, ich gehe zurück auf null. Es ist wie ein Restart. Danach sehe ich die Dinge wieder neutral. Danach ist der Kopf wieder frei. Es ist die nötige Verschnaufpause. Es ist dieses Gefühl, frische Luft zu schnappen.

Im Alter von zwölf Jahren habe ich gespürt, dass mir das Skifahren mehr bedeutet als der Fußball oder irgendwelche anderen Interessen. Der Elfer in Neustift war unser Zuhause. Dort hat es angefangen. Mit Bigfoots und Snowblades. Wir waren eine Clique von sechs bis zehn Leuten. Nach der Schule, am Wochenende und in den Ferien waren wir am Berg. Da hat sich die Begeisterung entwickelt. Bei den meisten ist es vom alltäglichen Sport zum Hobby geworden, bei mir wurde es zum Beruf. Mittlerweile ist Skifahren für mich Arbeit, Hobby und größte Liebe in einem. Ich brauche die Sprünge, den Tiefschnee und das schwierige Gelände. Es ist eine gesunde Fusion aus Berg, Sonne, Action und Adrenalin.

Im vergangenen August war ich zum ersten Mal in Afrika. Meinen Vater hatte ich zuvor zehn Jahre lang nicht gesehen. Ich habe in Ghana meine Großmutter, meine Tante und meine Cousine kennengelernt. Vor dem Treffen war ich extrem nervös. Ich habe die andere Seite von meiner Herkunft gesehen. Die Seite von meinem Vater. Das war ein Augenöffner. Ich wollte das zulassen, mit mir selbst ins Reine kommen. Ich wollte das Verhältnis zu meinem Vater reflektieren, das Ganze nicht mehr beiseiteschieben. Heute haben wir ein gutes Verhältnis. Wir hören uns nicht jeden Tag, aber wir hören uns. Er ist ein Mensch, mit dem ich gerne Zeit verbringe. Jedes Gespräch, das wir haben, ist ein schönes Gespräch.

Dennis Ranalter in Ghana
Ranalter auf Besuch in Ghana.
Legs of steel/Daniel Schiessl

Zu sehen, wie die Leute in Accra durchs Leben gehen und ihren Alltag bestreiten, war für mich eine unglaubliche Erfahrung. Es ist sehr laut. Man hört die Leute handeln, reden, lachen. Ich wurde herzlich aufgenommen, die Menschen waren offen und interessiert. Die weißen Freunde, die mit mir unten waren, haben gesagt, sie verstehen jetzt, wie es ist, wenn man der Einzige unter vielen ist. Das war das erste Mal nach all den Jahren, dass ich mich als dunkelhäutiger Mensch nicht anders gefühlt habe. Es ist ein gutes Gefühl, wenn man ohne verurteilende Blicke durch die Straßen gehen kann.

Am Berg ist die Situation noch mal speziell. Da gibt es nicht so viele dunkelhäutige Menschen wie im urbanen Raum. Ein Schwarzer im Schnee passt nicht ins Bild, das die Leute vom Leben am Berg haben. Aber heute machen mich die skeptischen Blicke nicht mehr traurig. Im Gegenteil, sie motivieren mich. Ich weiß dann, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben. Dass es um die nächsten Generationen geht. Damit sich die Teenager irgendwann besser fühlen als ich damals. Das ist mir ein Anliegen, dafür lohnt es sich zu kämpfen. Ich bin Dennis aus Österreich. Meine Mama kommt aus dem Stubaital, mein Vater kommt aus Afrika. Und kein Kind soll sich für seine Hautfarbe schämen. (Protokoll: Philip Bauer, 11.4.2024)