Geld für die Wissenschaft: 12 Forschende, die in Österreich tätig sind, wurden mit dem "Advanced Grant" ausgezeichnet.
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Der Europäische Forschungsrat (ERC) hat in der aktuellen Antragsrunde 255 "Advanced Grants" vergeben. Gleich zwölf davon gehen diesmal an in Österreich tätige Forscher, wie der ERC am Donnerstag mitteilte. Die jeweils mit im Schnitt rund 2,5 Millionen Euro dotierten prestigeträchtigen Förderpreise sollen es etablierteren Forscherinnen und Forschern ermöglichen, anspruchsvolle und risikoreiche Projekte durchzuführen. Mit sechs Zuerkennungen ist die Uni Wien diesmal die erfolgreichste Institution.

Die "Advanced Grants" werden als das "Flaggschiff-Programm" des ERC angesehen, mit dem im EU-Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe" Grundlagenforschung gefördert wird. In der nunmehrigen Runde werden nahezu 652 Millionen Euro ausgeschüttet. Die meisten Auszeichnungen gehen diesmal an in Deutschland tätige Wissenschafterinnen und Wissenschafter (50), 37 gehen nach Frankreich und 23 in die Niederlande. Es folgen Spanien und Israel mit je 14 Förderpreisen und Österreich und Italien auf Rang sieben. Insgesamt gingen 1.829 Einreichungen für die begehrten Förderpreise ein. Die Erfolgsquote lag laut ERC-Angaben bei 13,9 Prozent.

Britische Fragezeichen

42 "Advanced Grants" gehen nach Großbritannien, wobei diese jeweils noch mit einem Fragezeichen versehen sind. Denn das neue Abkommen zwischen der EU-Kommission und Großbritannien greift erst bei Anträgen, die im heurigen Jahr eingereicht wurden und werden. Die aktuellen Zuerkennungen beziehen sich aber noch auf das ERC-Arbeitsprogramm 2023. Das hat zur Folge, dass dieses Mal Forscher aus Großbritannien ihr ERC-Projekt noch an eine Institution verlagern müssten, die den ERC-Richtlinien entspricht.

Davon nicht betroffen sind die sechs Wissenschafter an der Universität Wien, der Byzantinist und Philosophiehistoriker Christophe Erismann, der Meeresökologe Gerhard Herndl, der Anthropologe Thomas Higham, die Historikerin Margareth Lanzinger, der Chemiker Nuno Maulide sowie der Entwicklungsbiologe Ulrich Technau. Letzterer geht in seinem Projekt den entwicklungsgeschichtlichen Ursprüngen des Nervensystems und der Muskeln des Menschen nach. Man hofft, dass dies auch zu neuen Erkenntnisse zu neuro-muskulären degenerativen Erkrankungen führt.

Philosophisches und mariner Kohlenstoff

Wie byzantinische Philosophen sich der Individualität angenähert haben, will Christophe Erismann herausfinden. Dazu setzt der Forscher auf eine Kombination aus Analysen von philosophischen Quellen, literarischen Beschreibungen und gemalten Porträts. Fragezeichen dazu, wie rasch Kohlenstoff in Tiefseeregionen des Nordatlantiks von den dortigen Lebewesen verstoffwechselt und umgesetzt werden, sind die Motivation zum ERC-Projekt von Gerhard Herndl. Ziel ist es herauszufinden, welche Rolle diese Meeresregionen als Kohlenstoffspeicher unter sich verändernden klimatischen Bedingungen spielen.

Den Weg des modernen Menschen von Afrika über den Nahen Osten nach Europa will Thomas Higham nachzeichnen. Im Rahmen seines ERC-Projekts wird man sich auf die archäologische Stätte Ksar 'Akil im heutigen Libanon konzentrieren, wo Menschen bereits vor rund 60.000 Jahren lebten. Mit neuen Methoden wollen die Wissenschafter etwa Erbgut-Reste aus jener Zeit finden und analysieren. Einer deutlich späteren Handels-Transitroute widmet sich Margareth Lanzinger: Sie sucht nach neuen Erkenntnissen zur Organisation des Transports von Stoffen, Eisenwaren und vielfältigen Lebensmitteln, wie sogar Schnecken und Austern, über die Alpen im 18. Jahrhundert.

Neue Materialien

Einer speziellen Gruppe von positiv geladenen Kohlenstoffatomen - "Carbokationen" - widmet sich Nuno Maulide mit seinem Förderpreis. Der Chemiker und sein Team wollen neue Methoden entwickeln, die künftig eine breite Anwendung zur Synthese neuer Materialien, Arznei- oder Duftstoffe finden könnten. Ebenso zeitgeistig wie Menschheitsgeschichte-übergreifend ist das Ansinnen von Mirta Galesic vom Complexity Science Hub (CSH) Wien: Durch eine Verknüpfung von Kognitionswissenschaften, Soziologie und Computermodellierung soll das Vorhaben "Aufschluss darüber geben, warum Menschen - von Familien bis hin zu ganzen Gesellschaften - bei wichtigen Problemen wie der Lösung langjähriger politischer Konflikte in eine Sackgasse geraten können und warum sie manchmal nicht in der Lage zu sein scheinen, vermeintlich offensichtliche Lösungen zu finden", heißt es.

Am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ) treibt Jirí Friml seit Jahren seine grundlegenden Forschungen zum Verständnis der Biologie der Pflanzen voran. In seinem neuen ERC-Projekt geht es darum, wie in Pflanzen mit Hilfe von "sekundären Botenstoffen" etwa Informationen über Stress weitergegeben werden. Am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) wird sich ERC-Grantee Tim Clausen tiefgreifend mit der Problematik der Proteinfaltung bzw. Fehlern bei selbiger widmen. Er will in seinem Vorhaben mehr darüber herausfinden, wie tendenziell mit steigendem Alter virulenter werdende Probleme in dem Bereich mit Kardiomyopathien - also Erkrankungen, bei denen der Herzmuskel seine Struktur verändert und an Leistungsfähigkeit verliert - zusammenhängen.

Donald Trump und Biotechnologie

Der Politikwissenschaftler Andreas Dür von der Uni Salzburg wird mit seinem bereits zweiten ERC-Förderpreis der Frage nachgehen, wie dieser Tage Handelspolitik und Sicherheitspolitik miteinander verknüpft werden. Der Forscher wird sich dieses seit der US-Präsidentschaft von Donald Trump zunehmende Phänomen am Beispiel der EU, der USA, Chinas, Indiens sowie von Mexiko und der Türkei ansehen.

Seinen dritten ERC-Grant konnte nun Julius Brennecke vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) einwerben. Er untersucht, wie sich "Genom-Parasiten" - sogenannte "Transposons" - im Erbgut einschleichen und welche Gegenmaßnahmen die Zellen dagegen ins Feld führen. An der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien wird sich Wei Wu vom Institut für Geotechnik dem Verhalten granularer Materialien, wie etwa Sand, zuwenden. Das Ziel dabei ist, ein mathematisches Modell zu entwickeln, mit dem sowohl deren fester und flüssiger Zustand und die verschiedenen Formen dazwischen abgebildet werden können. (APA, 11.4.2024)