Mykolas Alekna
Mykolas Alekna warf sich mit dem Weltrekord auch in die Favoritenrolle für das olympische Diskuswerfen in Paris.
EPA/Zsolt Czegledi

Ramona / Santa Cruz / Wien – Die Zeichen standen schon seit Samstag auf Sturm in Ramona, US-Bundesstaat Oklahoma. Da hatte die Kubanerin Yaime Perez beim Meeting auf einem ehemaligen Flugfeld den Diskus auf 73,09 Meter geworfen. Die 32-jährige Ex-Weltmeisterin übertraf mit dem weitesten Wurf seit 1989 ihre bisherige Bestleistung mit dem einen Kilogramm schweren Diskus um fast vier Meter.

Tags darauf verbesserte Mykolas Alekna auf der windigen Anlage ohne Tribünen seine eigene Bestmarke zwar lediglich um knapp drei Meter, dafür löschte der erst 21-jährige Litauer mit 74,35 Metern den ältesten Männerweltrekord der Leichtathletik. Am 6. Juni 1986 hatte Jürgen Schult in Neubrandenburg sein zwei Kilogramm schweres Arbeitsgerät für sich und die DDR auf 74,08 Meter geworfen. Am Sonntag gratulierte der inzwischen 63-jährige Doppelolympiasieger seinem Nachfolger flugs via Instagram: "Jetzt bist du der Allerbeste." Übertroffen worden zu sein ist für Schult nicht tragisch: "Das ist eine saustarke Leistung. Und ich konnte mich ja 38 Jahre lang darauf vorbereiten und wusste, dass es passieren kann."

Noch älterer Frauenweltrekord 

Den nunmehr ältesten Männerweltrekord hält jetzt der Russe Jurij Sjedych, der zwei Monate nach Schults Wurf in Stuttgart den Hammer auf 86,74 Meter schleuderte. Der älteste Frauenweltrekord hält inzwischen schon mehr als 40 Jahre. Am 26. Juli 1983 lief die Tschechin Jarmila Kratochvílová in München die 800 Meter binnen 1:53,28 Minuten.

Mykolas Alekna selbst zeigte sich nach seiner Leistung überwältigt. "Ich stehe immer noch ein wenig unter Schock, es ist schwer zu verstehen, was ich getan habe", sagte er dem litauischen Rundfunk. Der in Kalifornien studierende Sohn des zweimaligen Diskusolympiasiegers Virgilijus Alekna gilt als einer der kommenden Männer im Diskuswerfen. Nicht für ihn, aber die meisten Werferinnen und Werfer war es in Ramona darum gegangen, das mit 67,20 Metern sehr hoch angesetzte Limit für die Olympischen Spiele in Paris zu erbringen. Alle sechs Versuche Aleknas landeten bei optimalen Bedingungen über 70 Meter, mit Nummer fünf übertraf der junge Mann aus Vilnius die Bestmarke seines Vaters (73,88 Meter) und kam gar auf mit Laser gemessene 74,41 Meter. Nachmessung per Hand ergab 74,35 Meter – immer noch 27 Zentimeter über dem alten Weltrekord.

Hundertmal analysiert

Genau analysiert wurde der Wurf auch auf Teneriffa. Dort ging am Montag für Lukas Weißhaidinger ein zweiwöchiger Trainingsaufenthalt zu Ende. Der Oberösterreicher, dessen nationaler Rekord seit Mai des Vorjahres bei 70,68 Metern steht, hat sich den Ausflug nach Ramona erspart, weil er schon seit den 68,35 Metern, die er im vergangenen Juli bei den nationalen Meisterschaften in Bregenz erzielt hatte, für Paris qualifiziert ist. Auch er gratulierte Alekna umgehend. "Da kann man nur den Hut ziehen, auch wenn man als Konkurrent natürlich selbst von einem Weltrekord träumt", ließ der Olympia-Bronzemedaillengewinner von Tokio wissen. Für seinen Trainer, Verbandssportdirektor Gregor Högler, ist Alekna jetzt "automatisch der große Favorit für die EM in Rom im Juni und die Olympischen Spiele Anfang August in Paris".

Högler, Weißhaidinger
Diskuswerfer Lukas Weißhaidinger und sein Trainer Gregor Högler haben Aleknas Wurf in die Geschichte schon "mindestens hundertmal" angeschaut.
APA/HELMUT FOHRINGER

Für Tüftler Högler ist Aleknas Leistung gleich in mehrerer Hinsicht positiv. "Ich bin so getaktet, dass alles, was gut ist, ein Ansporn ist." Der Rekordwurf zeige auch, dass die Entwicklung weiter hin zum technischen Wurf, zum Speed gehe. Für Weißhaidinger wurden die Lehren, dass die treibende Kraft gleichsam aus der Hüfte kommt, schon gezogen. "Alekna hat schon mit 20 Jahren 71 Meter geworfen. Sicher wird das genau analysiert und in die Vorbereitung einbezogen." Der neue Weltrekordler habe zudem den Vorteil gehabt, gleichsam mit dem Diskus aufwachsen zu sein. "Der Vater spielt da eine große Rolle, da ist sicher auch Veranlagung dabei."

Dass bei den Rekorden der Vergangenheit stets der Verdacht im Raum stand, dass sie nicht nur durch Begabung und hartes Training zustande gekommen sein könnten, streitet Högler nicht ab. "Aber auch das ist positiv, jetzt steht es nicht mehr im Raum."

Drei Meter Vorteil

Wahr ist, dass Alekna optimale Bedingungen mit Seitenwind vorfand. "Die Bedingungen waren für bis zu drei Meter Weite verantwortlich. Das hat man auch bei den anderen gesehen, die dort geworfen haben. Aber man muss es auch werfen können", sagt Högler. Die Leistung der Kubanerin Perez sei insofern mindestens ebenso bemerkenswert gewesen, weil der halb so schwere Frauendiskus naturgemäß weniger stabil in der Luft liegt. Der Frauenweltrekord steht übrigens seit Juli 1988 bei 76,80 Metern, geworfen von der Ostdeutschen Gabriele Reinsch.

Für Höglers Schützling Weißhaidinger und alle seine Konkurrenten brechen jetzt stressige Zeiten an. Der Start des 32-Jährigen beim Diamond-League-Meeting in Rabat, Marokko, am 19. Mai ist bestätigt. Inklusive EM in Rom stehen sieben bis acht Wettkämpfe bis Juni an. Högler: "Und dann ist es nicht mehr weit bis Paris." (Siegfried Lützow, 16.4.2024)