Archäologen haben bei Grabungen an einer 1.200 Jahre alten Maya-Pyramide in Guatemala einen aufsehenerregenden Fund gemacht: Neben zahlreichen großteils zerbrochenen Ornamenten stießen die Forschenden in der Ruine auf menschliche Überreste, die offensichtlich verbrannt worden waren. Das Grabungsteam glaubt, dass man es hier mit den Überbleibseln eines "dramatischen öffentlichen Rituals" während eines Regimewechsels zu tun hat.

Die Ausgrabungsstätte Ucanal war einst die Hauptstadt eines Mayakönigreichs namens K'anwitznal und liegt in der Nähe der Quelle des Belize-Flusses im Departement Petén im Norden Guatemalas. Die Stätte besteht aus mindestens 114 Bauwerken im Hauptbereich der Stadt, darunter mehrere Pyramiden und Paläste.

Fundort der menschlichen Knochen und Ornamente und Knochenfragmente
Die linke Aufnahme zeigt den Fundort der menschlichen Knochen und Ornamente am Fuß einer Maya-Pyramide in Ucanal. In der Mitte und rechts sind einzelne Knochenfragmente zu sehen.
Fotos: Christina Halperin/C. Bello-Hernandez/Antiquity

Knochen und zerbrochener Schmuck

Als die Forschenden um Grabungsleiterin Christina Halperin von der University of Montreal Abraum und Schutt von einem der Pyramidentempel näher untersuchten, fielen ihnen Fragmente verbrannter menschlicher Knochen sowie Hunderte von persönlichen Schmuckstücken aus teils kostbaren Materialien auf. "Der Fund der verbrannten menschlichen Überreste war eine totale Überraschung", sagte Halperin.

"Obwohl es nicht ungewöhnlich wäre, ein königliches Grab in einer Tempelpyramide zu entdecken, hatten wir nicht erwartet, eine dicke Ablagerung von feinem Ruß, Kohlenstoff, verbrannten Knochen und Tausenden von verbrannten, durch Feuer zersplitterten und abgeblätterten Ornamenten zu finden", so die Forscherin.

Plan der Stadt K'anwitznal und Rekonstruktion der Maya-Pyramide
In der Hauptstadt des Königreichs K'anwitznal zählten die Forschenden mindestens 114 bauliche Strukturen. Die verkohlten Knochenfragmente wurden am Fuß der Pyramide mit der Bezeichnung "Struktur K-2" entdeckt.
Illustr.: Christina Halperin/Antiquity

Das Team identifizierte die Überreste in der Aufschüttung der Tempelpyramide, wo sie offenbar während einer späteren Bauphase neben einer Mauer abgeladen worden waren. Bezeichnenderweise gab es keine Hinweise von Brandschäden am Boden oder an den Steinblöcken, was darauf hindeutet, dass die Leichen an anderer Stelle verbrannt worden waren.

Zwei verbrannte Leichen

Die Untersuchung ergab, dass die Knochen ursprünglich zu vier Personen gehört hatten – aber nur die Leichen von zwei der Erwachsenen waren verbrannt worden. Unter den freigelegten Schmuckstücken kamen mehr als 10.000 Kettenperlen aus Muschelschalen und fast 1.500 Fragmente von Jadeanhängern und anderen Gegenständen ans Licht.

Außerdem entdeckten die Archäologinnen und Archäologen auch ein Stück eines Diadems aus Jade, das typischerweise von Königen getragen wird, sowie die Fragmente einer Mosaikmaske aus Jade, die ebenfalls üblicherweise in Königsgräbern aufbewahrt wird. Man hatte es also mit Personen von royalem Stand zu tun.

Zerbrochene Anhängerplakette eines menschlichen Kopfes
Eines der kostbaren Fundstücke: Eine zerbrochene Anhängerplakette eines menschlichen Kopfes.
Foto: Christina Halperin/Antiquity

Obwohl Forschende schon früher Beweise dafür gefunden hatten, dass Menschen in die Königsgräber der Maya eingedrungen waren und die Leichen rituell verbrannt hatten, ist die neue Entdeckung anders: Offensichtlich waren die verbrannten Überreste bewegt und in der Tempelpyramide feierlich deponiert worden, berichten Halperin und ihre Gruppe im Fachjournal "Antiquity". Wo die Mitglieder der obersten Führungsschicht ursprünglich beigesetzt worden waren, ist unklar. Das entsprechende Königsgrab wurde noch nicht gefunden. Auch ob die Leichen in der Öffentlichkeit verbrannt wurden, lässt sich aufgrund der Fundlage nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Wissenschafter halten dies aber für wahrscheinlich.

Öffentlichkeitswirksames Feuer

"Dass man sie im Kontext eines zeremoniellen Gebäudes auf einem der großen öffentlichen Plätze in Ucanal deponiert hatte, deutet zumindest darauf hin, dass die Öffentlichkeit über die Ereignisse im Zusammenhang mit der Entfernung des Inhalts eines königlichen Grabes und der anschließenden Verbrennung informiert war", meinte Halperin.

Eine Radiokarbondatierung ergab, dass die königlichen Überreste zwischen 773 und 881 verbrannt wurden. Diese Phase in der Geschichte der Maya war von großen politischen Umwälzungen geprägt: Ein Mann namens Papmalil hatte die Macht in Ucanal übernommen, und es sei nach Ansicht der Forschenden wahrscheinlich, dass die rituelle Verbrennung ein Akt der Entweihung gegenüber der früheren königliche Linie war und damit das Ende ihres Regimes markierte.

Tausende Schmuckfragmente aus Muschelschalen und Jade
Außerdem gruben die Archäologinnen und Archäologen tausende Schmuckfragmente aus Muschelschalen und Jade aus. Auch diese wiesen teilweise Brandspuren auf.
Foto: Christina Halperin/Antiquity

Aufschwung nach dem Wechsel

"Unsere Ausgrabungen an anderer Stelle in Ucanal deuten darauf hin, dass diese neue Herrschaft der Beginn erheblicher politischer, sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen innerhalb des Königreichs und im Maya-Tiefland im Allgemeinen war", sagte Halperin. "An der Stätte wurden öffentliche Bauprojekte in Angriff genommen, die Bevölkerung nahm zu, und es kam zu einer Umgestaltung der politischen Bündnisse und der sozialen Werte."

Obwohl sich diese Ereignisse in den letzten Jahrzehnten der Späten Maya-Klassik abspielten, die eigentlich eine Zeit des Niedergangs war, schien Ucanal unter Papmalils neuem Regime einigermaßen zu gedeihen. "Diese Ära wird oft mit dem Zusammenbruch der politischen Systeme der klassischen Maya in Verbindung gebracht. Dennoch zeigen unsere Entdeckungen, dass politische Systeme, auch wenn sie zu Ende gehen, noch einmal zu Phasen von Wohlstand führen können", sagte Halperin. "Es ist spannend, diese Momente des Übergangs in der Maya-Geschichte zu sehen, die es uns erlauben, über die bekannte klassische Periode hinauszublicken." (Thomas Bergmayr, 19.4.2024)