Enrique Anarte Lazo gibt es sechs Mal – zumindest in einem seiner Tiktok-Videos. Darin erklärt er anlässlich der bevorstehenden EU-Wahl, wie die europäische Union funktioniert. Anarte Lazo ist Journalist und auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok oder Instagram aktiv. Im Interview spricht er am Rande des Journalismusfestivals in Perugia über seine Erfahrungen mit Nachrichten auf sozialen Netzwerken, News-Influencer und was Medienunternehmen ändern müssen, um relevant zu bleiben.

STANDARD: Laut Reuters Digital News Report ist das Vertrauen in traditionelle Medien gesunken, aber das Vertrauen in News-Influencer angestiegen. Werden traditionelle Medien von News-Influencern überschattet?

Anarte Lazo: Hier passiert sehr viel. Nur weil etwas an Wichtigkeit gewinnt, werden nicht andere Dinge irrelevant. Ich denke nicht, dass das eine das andere ersetzen kann, sie ergänzen sich gegenseitig. Was wir aber sehen – vor allem unter jungen Menschen, aber nicht nur: Traditionelle Medien verlieren an Relevanz. Das heißt aber nicht, dass sie nicht genutzt werden. Wenn Menschen auf Social Media über ein Thema debattieren, dann senden sie sich oft Links von Medien. Medien sind also nur nicht die primäre Quelle.

STANDARD: Warum?

Anarte Lazo: Es hat sich gezeigt, dass News-Influencer Nachrichten effektiver vermitteln können, in einer ansprechenderen Art als Medienunternehmen.

STANDARD: Junge Menschen nutzen also Medienunternehmen immer noch als Quelle. Sie konsumieren aber trotzdem anders. Was genau hat sich hier verändert?

Anarte Lazo: Menschen konsumieren in erster Linie Content. Ich weiß, viele Menschen hassen das Wort Content. Aber Nachrichten fallen unter den breiten Begriff Content. Ich glaube, wir sollten Tiktok mehr wie Netflix sehen und weniger als andere soziale Plattformen.

STANDARD: Auch der deutsche Jugendforscher Kilian Hampel sagt, dass Tiktok der Fernseher für junge Menschen sei. Der Unterschied ist allerdings, dass es bei Tiktok einerseits einen Algorithmus und andererseits Unmengen an Inhalten gibt. Wenn man also Nachrichten für Tiktok macht, wie kann man sicher sein, dass diese auch gesehen werden?

Anarte Lazo: Es geht darum zu wissen, wie der Algorithmus funktioniert, wie er Inhalte an Menschen verteilt und wie man beispielsweise die Informationen, den Content, den man produzieren möchte, an den spezifischen Algorithmus dieser Plattform anpasst. Und es ist wichtig, dass uns klar wird, wohin wir im Journalismus wollen. Im Grunde denke ich, dass wir als Journalisten unsere Geschichten nur dann so gestalten können, dass sie in den sozialen Medien wirksam sind, wenn wir uns die Zeit nehmen, selbst aktiv in den sozialen Medien präsent zu sein.

STANDARD: Worauf müssen wir sonst noch achten?

Anarte Lazo: Wir müssen aufhören, uns selbst zu belügen, und unsere Augen öffnen. Denn die Realität ist, dass wir mit all den Inhalten und all den Menschen, die Inhalte anbieten – News-Influencer oder auch staatlich gesponserte Propaganda – in Konkurrenz zueinander stehen. Das wird sich auch nicht mehr ändern. Wir haben das Kommunikationsmonopol verloren. Und der einzige Weg, wie wir relevant bleiben können, ist, dass wir uns in unser Publikum hineimversetzen.

Enrique Anarte Lazo in Perugia vor einer Steinmauer
Enrique Anarte Lazo verbreitet Nachrichten auf Social Media, News-Influencer würde er sich allerdings nicht nennen.
Nicola Höpfl

STANDARD: Ihnen gelingt das ja ganz gut. Sehen Sie sich neben Ihrer Rolle als Journalist eigentlich als News-Influencer?

Anarte Lazo: Ich habe mich selbst eigentlich nie als News-Influencer gesehen. Viele sehen das Wort Influencer negativ. Es ist sehr negativ konnotiert. Wir nehmen Wörter so wahr, wie und in welchem Kontext wir sie lernen. Man verbindet Influencer schnell mit Lifestyle oder Sportinhalten und damit, dass sie ihr Leben und Produkte verkaufen. Nachrichten werden aber als etwas Ernstes und vor allem als unpolitisch wahrgenommen. Das passt nicht zu der Vorstellung von Influencern.

STANDARD: Sie sind also kein News-Influencer?

Anarte Lazo: Also, ich habe mich nie als News-Influencer gesehen, weil meine Inhalte denselben journalistischen Standards folgen wie in meiner Arbeit. Aber ich glaube, wenn man Menschen informiert und bildenden Content bietet über Themen, die einen Bezug zu den Menschen haben, dann wäre es falsch zu sagen, dass man kein News-Influencer ist, nur weil einem der Begriff Influencer unangenehm ist. Wenn Menschen jemanden als News-Influencer sehen, dann bedeutet das wohl auch, dass man einer ist.

STANDARD: Wie sollen wir in Zukunft mit News-Influencern umgehen, und welche Rolle werden sie spielen?

Anarte Lazo: Sie werden eine bedeutende Rolle spielen. Wir sollten sie einbeziehen, um die Verbreitung von Falschinformationen einzudämmen und um demokratische Werte zu stärken. Es wäre sehr gefährlich, das nicht zu tun, denn – wie bereits erwähnt – junge Menschen bekommen ihre Informationen oft von ihnen. News-Influencer können helfen, Menschen, die den Medienunternehmen wenig trauen, und Medienunternehmen zusammenzubringen. (Nicola Höpfl, 23.4.2024)