Waren europäische Staaten in der Spionageaufklärung in den letzten Wochen schleißig? Ganz so drastisch wie "ZiB 2"-Moderator Martin Thür will es der Historiker Thomas Riegler nicht ausdrücken. Aber: "Es ist auf jeden Fall so, dass die Situation – auch durch den Ukrainekrieg – eine gewisse Herausforderung darstellt" und die russischen Geheimdienste eine "sehr aktive Rolle hinlegen". Das Instrumentarium kenne man aus der Vergangenheit, "eine Mischung aus Desinformation, Sabotage, Spionage und dem Versuch, die Gesellschaften des Westens zu schwächen".

Historiker und Spionageexperte Thomas Riegler war Sonntagabend zu Gast bei Martin Thür in der
Historiker und Spionageexperte Thomas Riegler war Sonntagabend zu Gast bei Martin Thür in der "ZiB 2".
Screenshot: ORF-TVThek

Es seien in Polen Bahnlinien ausgespäht worden, jetzt zwei Festnahmen in Deutschland, Ereignisse in Großbritannien, in den USA. All das zeige, wie volatil die Lage mittlerweile geworden sei, "da könnte einiges auf uns zukommen", sagt Riegler. Warum tun sich Europa und auch Österreich so schwer, diese russischen Spione zu finden und des Landes zu verweisen? Riegler erinnert daran, dass mehr als 400 russische Diplomaten schon ausgewiesen worden seien, darunter "sicher sehr viele Geheimdienstler". Offenbar bediene man sich jetzt anderer Kräfte, auch nichtrussischer Staatsbürger.

"Es gibt hier ein gewisses Potenzial von Menschen, die ideologisch empfänglich sind", so Riegler, "wir leben in einem Zeitalter der Ideologien", und da könnte es sein, dass vermehrt Leute aus der russischstämmigen Diaspora sich entschließen, für die russischen Geheimdienste zu arbeiten. Ott sei vor allem ein Insider aus dem Verfassungsschutz, war als Mitarbeiter auch schon in Ankara. Es habe Gerüchte gegeben, dass er schon damals mit russischen Counterparts sehr engen Kontakt gepflegt hat.

Wien als Spionagedrehscheibe

Österreich will jetzt Spione strafrechtlich verfolgen. "Spionage zu verbieten, wenn man eine Spionagedrehscheibe ist, dann ist das eine sehr große Herausforderung", sagt dazu Riegler, der Verfassungsschutz könne das wahrscheinlich im Moment nicht personell abdecken. Wie viele Spione derzeit in Wien tätig seien, will Thür wissen. 2020 wurde von mehreren Hundert Personen gesprochen, aber weniger als 1.000, so Riegler und macht darauf aufmerksam, dass sehr viele ja keinen Diplomatenpass mit sich führen. Darum sei die Zahl "sicher höher".

Später ging es noch um Altlasten des BVT, "die DSN ist eine andere Behörde, es hat sich ja auch intern einiges getan". Internationale Partner würden die Vertrauensfrage jetzt nicht aufs Neue stellen. Ob Russland von dem Pamphlet, das zur BVT-Razzia geführt hat, wusste, fragt Thür. "Dieser Verdacht steht im Raum", so Riegler, es gebe ja diverse Indizien in diese Richtung. "Es ist natürlich im Interesse Russlands, dass man versucht, das politische System Österreichs zu schwächen." Hier sei der Verfassungsschutz eine tragende Säule, wo man ansetzen könnte.

ZIB 2: Historiker: "Russische Dienste sehr aktiv"
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Könnten auch Wahlen Ziel von verdeckten Aktionen ausländischer Dienste werden? "Man muss mittlerweile mit allem rechnen", sagt Riegler und sieht darin eine der Lehren. Österreich müsse die Wehrfähigkeit des Landes gegen die "dunklen Künste, Spionage, Manipulation, Desinformation, Sabotage", stärken. (Astrid Ebenführer, 22.4.2024)