Die Festnahme von Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou 2018 in Vancouver hatte zur Folge, dass China zwei Kanadier wegen Spionageverdachts verhaftete.
Die Festnahme von Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou 2018 in Vancouver hatte zur Folge, dass China zwei Kanadier wegen Spionageverdachts verhaftete.
AP/Darryl Dyck

Mit Spionage ist es ein bisschen wie mit dem Satz, der angeblich von Woody Allen stammt: "Nur weil ich paranoid bin, heißt das nicht, dass sie nicht wirklich hinter mir her sind." Dass Staaten sich gegenseitig ausspionieren und sich neue Verdachtsmomente wie aktuell in Deutschland ergeben, ist nicht neu – selbst unter Alliierten. So war die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel 2013 ziemlich sauer auf den damaligen US-Präsidenten Barack Obama, nachdem bekannt geworden war, dass die National Security Agency (NSA) ihr Handy jahrelang abgehört hatte. "So etwas gehört sich nicht unter Freunden", hatte Merkel damals gesagt. Unter "strategischen Rivalen", wie China seit kurzem offiziell von der EU bezeichnet wird, "gehört sich" das schon eher.

Agent oder nicht?

In der Volksrepublik China pflegt man dazu ohnehin ein anderes Verhältnis. Es lautet: Prinzipiell kann jeder Ausländer Spion sein. Wer in China lebt und arbeitet, bekommt das früher oder später mit, indem Mitarbeiter oder Übersetzer – halb im Scherz, halb im Ernst – rückversichernd die Frage stellen: "Aber du bist kein Agent, oder?"

Dies ist eine Folge der marxistisch-leninistischen Schulerziehung: Agenten des kapitalistischen Auslands wollen dem sozialistischen Land nichts Gutes, lautet das Credo. Prinzipiell ist damit jeder verdächtig. Angesichts von über 100.000 Ausländern allein in Schanghai ist diese Paranoia natürlich längst verwässert – man käme ja mit den Verdächtigungen gar nicht mehr hinterher. In der chinesischen Provinz, wo westliche Ausländer seltener sind, ist sie allerdings deutlich spürbar. Das meiste lässt sich trotzdem mit einem Schmunzeln abtun.

Weniger lustig ist dagegen schon das 2023 erlassene "Anti-Spionage-Gesetz". Gemäß diesem ist nun alles strafbar, was sich gegen "nationale Interessen" Chinas richtet. Das Gesetz ist bewusst vage gehalten, sodass alles und nichts darunter fallen kann. Seitdem haben auch harmlose Unternehmensberatungen Sorgen, mit Marktstudien gegen das Gesetz zu verstoßen.

Der Fall der "beiden Michaels"

Drastisch war der Fall der "beiden Michaels". Im Dezember 2018 wurden die Kanadier Michael Spavor und Michael Kovrig verhaftet. Ihnen wurde Spionage vorgeworfen. Als offenes diplomatisches Geheimnis gilt, dass dies eine Retourkutsche für die Festnahme von Meng Wanzhou war, Finanzchefin bei Huawei und Tochter des Gründers. Trotz intensiver diplomatischer Bemühungen kamen die beiden erst 2021 frei – nach der Freilassung von Meng.

Gut möglich ist, dass in den Tagen des Internets und der Satellitenüberwachung der klassische Spion und Geheimagent ausgedient hat. Trotzdem ist nicht alles mit Paranoia und diplomatischen Querelen erklärbar. So wird unter China-Korrespondenten gerne die Geschichte eines mittlerweile verstorbenen Kollegen erzählt, der in Peking einen kleinen Palast samt eigenem Koch bewohnte und gewöhnlich die Tür im seidenen Bademantel und mit goldener Rolex am Handgelenk öffnete.

Freilich, in den 1980er- und 1990er-Jahren waren die Journalistengehälter um einiges üppiger als heute. Trotzdem galt unter Korrespondentenkollegen als ausgemacht, dass besagter Schreiber noch ein Zweitgehalt beziehen müsse – von welcher Seite auch immer. (Philipp Mattheis, 23.4.2024)