Das Chalet N in Oberlech, inmitten einer Schneelandschaft
Hotel oder Ferienhaus? An dieser Frage scheiden sich beim Chalet N die Geister.
Foto: Mathis Fotografie; Dietmar Mathi

Die stille Kraft und die Ruhe der Bergwelt der Arlberg-Region seien schon beim ersten Blick auf das Chalet N zu spüren: Mit diesen wohlgesetzten Worten wird das mittlerweile berühmteste Chalet Österreichs auf der Website des "architektonischen Kleinods" und dessen Vermarkter beworben.

Ruhig mag es dort oben sein, auf 1660 Metern Seehöhe; ruhig mag es in den zehn Suiten sein, in denen ein "elegantes Spiel der Gegensätze" herrscht. Gar nicht ruhig ist es dagegen rund um die Betreibergesellschaft des Chalets, die seit dem Zusammenbruch von René Benkos Signa ins Interesse von Behörden und Öffentlichkeit gerückt ist.

Offiziell wird das Chalet N von der LS Luxury Collection GmbH als Hotel geführt. In den vergangenen Jahren kassierte das Unternehmen mehr als eine Million Euro an Corona-Förderungen. Doch war das Chalet tatsächlich ein Hotelbetrieb für besonders illustre, wohlhabende Gäste? Oder war es vielmehr – entgegen der Darstellung in der Öffentlichkeit – eine größere Ferienwohnung und privates Domizil für Benko und Geschäftsfreunde seiner Signa?

Dokumente aus dem Cofag-Untersuchungsausschuss, die dem STANDARD zugespielt wurden, geben Einblick in die exklusive Gästeliste. Die Daten bestätigen, was Anrainer und Regionalpolitiker schon länger vermuteten: Zu den häufigsten Gästen des Chalets zählten vor allem Benko und seine Familie selbst, aber auch Manager der Signa-Gruppe und potenzielle Investoren.

Ein Ort für Kontaktpflege

Die Daten zeigen, dass das Chalet in den Jahren 2017 bis 2022 zu einem großen Teil von Benko und seiner Familie bzw. von Benko mit Gästen genutzt wurde. Der Signa-Gründer dürfte die Räumlichkeiten zudem nicht nur für private Urlaube, sondern auch zur Kontaktpflege und Geschäftsanbahnung verwendet haben. Zumindest deuten die Namen, die in den Meldedaten aufscheinen, darauf hin.

Häufiger zu Gast waren laut dem Register etwa der bekannte österreichische Investor Ronny Pecik, ein bekannter Schweizer Investor und Dieter Berninghaus, der die Signa bei ihren Ausflügen ins Handelsgeschäft beraten hat. Auf der Liste finden sich auch etliche Signa-Manager; Pecik legt übrigens Wert auf die Feststellung, dass er für den Aufenthalt mit seiner Großfamilie bezahlt hat.

Ein Ort für Investorensuche

Öfter kam ein ukrainischer Geschäftsmann vorbei, dessen Vermögen Kiew vergangenes Jahr beschlagnahmt hat, weil er Russland unterstützen soll. Auch ein berühmter österreichischer Schlagerstar hinterließ seine Spuren im Oberlecher Tiefschnee, ebenso eine bekannte Millionenerbin. Zahlreiche Nächtigungen sind in den Meldedaten des Chalet N nur anonym unter Länderkennung erfasst. Das betrifft nicht nur Gäste aus Deutschland und Österreich, sondern auch solche aus der Schweiz, aus Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien.

Im Jahr 2023 suchten Benko und die in finanzielle Nöte geratene Signa bekanntermaßen bereits dringend neue Investoren. Daten über das Chalet N für das Jahr 2023 deuten darauf hin, dass versucht wurde, potenzielle Geldgeber mit Einladungen nach Lech zu umgarnen. Anfang 2023 war etwa eine Gruppe um Yasir Al-Rumayyan zu Gast im Chalet N. Al-Rumayyan ist Manager des milliardenschweren saudischen Staatsfonds, der 2023 die Übernahme der britischen Kaufhauskette Selfridges mitfinanzierte.

Ein Ort für den Lockdown

Die Meldedaten zeigen übrigens auch, dass Benko den ersten Lockdown im März und April 2020 in Lech verbracht haben dürfte, obwohl das Hotel in dieser Zeit nicht öffnen durfte. In Lech nährte Benkos Anwesenheit während des Lockdowns schon damals den Verdacht, dass das Chalet weniger als Hotel, sondern entgegen den Vorschriften als Ferienwohnung genutzt wurde. Der Bürgermeister der Ortschaft erklärte die Situation damals so, dass eben "noch jemand da war" und nicht rechtzeitig weggekommen sei.

Benko selbst hat immer wieder betont, dass das Chalet N als Fünf-Sterne-Hotel mit 20 bis 25 Mitarbeitern geführt werde. Buchungen seien telefonisch oder per Mail möglich. Die Gemeinde würde das auf Basis eines Raumordnungsvertrags laufend kontrollieren. Das sagte Benko auch bei einer Beschuldigteneinvernahme 2015 aus; das Verfahren wurde später eingestellt.

Vereinbarung eingehalten?

Laut dem Raumordnungsvertrag, der im Jahr 2012 zwischen der Eigentümergesellschaft des Chalet N und der Gemeinde Lech abgeschlossen wurde, sollte das Hotel mindestens fünf Monate im Jahr geöffnet haben. Gästeblätter der Gemeinde Lech, die an den U-Ausschuss übermittelt wurden, nähren Zweifel, ob diese Mindestöffnungszeit stets eingehalten wurde.

Verstöße gegen den Raumordnungsvertrag können für die Eigentümerin theoretisch hohe Geldstrafen nach sich ziehen, denn das Schriftwerk sieht Vertragsstrafen in Millionenhöhe vor. Ob die Gemeinde Lech die Einhaltung des Raumordnungsvertrags geprüft oder sogar Vertragsstrafen geltend gemacht hat, ist unklar. Eine Anfrage des STANDARD bei der Gemeinde blieb bislang unbeantwortet.

Aus Sicht der grünen Abgeordneten Nina Tomaselli aus Vorarlberg war das Chalet N "Rückzugsort und persönliche Netzwerkdrehscheibe" gleichzeitig. Zahlreiche Quellen würden belegen, dass es weniger als Hotel, sondern mehr als privates Feriendomizil von Benko, seiner Familie und seinen Gästen genutzt worden sei. "Wir halten es deshalb für unredlich, dass die Chalet-Betriebsgesellschaft Hilfsgelder beantragt hat", sagt Tomaselli auf Anfrage.

Mittlerweile prüfen die Finanzbehörden das Chalet N. Und auch beim Cofag-Untersuchungsausschuss wird das beschauliche Vorarlberger Bergdorf in den kommenden Tagen einmal mehr im Fokus des Geschehens stehen. (Jakob Pflügl, Renate Graber, 23.4.2024)