"Minecraft ist ein Spiel über Kreativität, in dem die Spieler ihre eigenen Ziele setzen", sagt Agnes Larsson. Und die quirlige 34-jährige Schwedin weiß, von was sie spricht. Denn sie ist nicht nur passionierte Spielerin, sondern leitet die Entwicklung des Games bei den Mojang Studios. Ihre Erklärung ist eine Kurzfassung, mit deren Komposition sie rang. Wer nicht nach der kurzen Version fragt, bekommt eine mehrminütige Beschreibung, aus der spürbar ihr Enthusiasmus für ihre Arbeit sprüht.

Dem Besuch vom STANDARD und den Pressevertretern aus anderen europäischen Ländern wolle man zeigen, dass "Minecraft in guten Händen ist", erklärte Studiochefin Åsa Bredin beim Empfang der Mediendelegation. Anlass ist der im Mai anstehende 15. Geburtstag des Games, das mit bis zu 180 Millionen monatlichen Spielern das beliebteste Videospiel der Welt ist. Im Sommer steht das nächste große Update an, voraussichtlich 2025 erscheint ein Liveaction-Film.

Cave game tech test
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Vom Höhlengenerator zum Games-Giganten

Die Geschichte hinter dem Erfolg ist in der Spieleindustrie einzigartig. Am 13. Mai 2009 veröffentlichte der Soloentwickler Markus "Notch" Persson eine Tech-Demo seines Projekts "Cave Game", in dem man noch nicht viel machen konnte. Das Programm zeigte nur, wie man algorithmisch aus Gras- und Pflastersteinblöcken Höhlen erzeugen konnte. Nach und nach wurde das Projekt weiterentwickelt und erhielt den Namen Minecraft.

Aus dem Höhlengenerator wurde eine Baustein-Sandbox mit Multiplayerfunktion. Die erhielt schließlich einen Survivalmodus, in dem man Ressourcen abbauen, Werkzeuge herstellen und sich auch gefährlichen Monstern stellen muss, die vor allem in der Nacht ihr Unwesen treiben. Das Konzept zog immer mehr Spielerinnen und Spieler in ihren Bann, und Perssons Ein-Mann-Studio Mojang wuchs. Fünf Jahre später witterte Microsoft Potenzial und übernahm das Studio für 2,5 Milliarden Dollar. "Notch" wurde reich, mit der Arbeit von Mojang hat er heute nichts mehr zu tun.

Office der Mojang Studios in Stockholm
Schon in der Lobby wird klar, an was bei Mojang gearbeitet wird.
DER STANDARD/Pichler

Tischfußball und Bastelwerkstatt

Seit über sechs Jahren residiert das Studio in einem ehemaligen Brauereigebäude auf vier Stockwerken. Auf der Südseite erstrahlt die alte Backsteinfassade, im Norden eröffnet eine großzügige Fensterfront den Blick auf den Riddarfjärden, der sich von Westen nach Osten durch das Zentrum von Stockholm zieht. Die Lobby im Erdgeschoß ist für Besucher frei zugänglich, hier treffen immer wieder einmal Fans und Macher aufeinander.

Den Mitarbeitern mit mehr als 40 Nationalitäten wird hier neben guter Aussicht einiges geboten. In jedem Stockwerk finden sich nicht nur gut ausgestattete Kaffeeküchen, sondern auch komfortable Gemeinschaftsräume. Wer in einer Pause Video spielen oder fernsehen möchte, findet dazu ebenso Gelegenheit wie Fans von Tischtennis, Tischfußball und Billard. Auch Arcade-Maschinen gibt es, ausgerechnet jene mit Minecraft Dungeons – eine von weltweit nur drei Exemplaren – ist allerdings derzeit defekt.

Office der Mojang Studios in Stockholm
Im lichtdurchfluteten Workshop können sich Bastlerinnen und Bastler austoben.
DER STANDARD/Pichler

Eine kleine Bibliothek bietet eine Büchersammlung in englischer Sprache, ein lange ungenutzter Konferenzraum dient für Brettspiel-Sessions und Pen-und-Paper-Abenteuer. In einer hellen Werkstatt kann mit einem 3D-Drucker wie auch mit klassischem Werkzeug nach Herzenslust gebastelt werden. Das müssen auch nicht unbedingt Projekte für die Arbeit sein.

Man wolle die Kreativität der Mitarbeiter fördern und auch im Office eine gute Work-Life-Balance bieten, sagt dazu Joël Älveroth, der bei Mojang als "People Operations Specialist" angestellt ist. Denn manchmal werden die Arbeitstage etwas länger. Ein Grund dafür ist, dass man sich mit dem Schwester-Office in Redmond, Washington, koordinieren muss. Der Zeitunterschied beträgt neun Stunden.

Office der Mojang Studios in Stockholm
Derzeit leider defekt: die "Minecraft Dungeons"-Arcade-Maschine – eine von drei Exemplaren weltweit.
DER STANDARD/Pichler

Die 600 Angestellten arbeiten hier in Stockholm aber nicht nur am Spiel selbst. Eine Abteilung kümmert sich um die Fortentwicklung des Basisspiels, eine zweite um die Erweiterungen; doch auch andere Games unter dem Markendach – etwa Minecraft Dungeons und Minecraft Legends – und neue Projekte werden hier betreut.

Kein Gore, kein Sci-Fi

Während in Minecraft, das weder ein konkretes Spielziel noch ein Ende hat, die Spielerinnen und Spieler selber wählen, auf welche Abenteuer sie sich einlassen, sollen künftige Neuerscheinungen von Mojang die erzählerische Lücke füllen, sagt Chief Creative Officer Jens Bergensten. Das gilt auch für den Film, der durch das fiktive Abenteuer eines Spielers führen soll.

Das Game selbst wiederum versteht sich als Plattform für märchenhafte Erlebnisse und aufregende Erfahrungen. Bei deren Gestaltung gibt es allerdings kreative Grenzen. Familienfreundlichkeit steht im Vordergrund. Gruselige Monster baut man sehr wohl ins Spiel ein, Blut oder übertriebene Gewaltdarstellung allerdings nicht. Auch in audiovisueller Hinsicht hat man sich festgelegt. Minecraft bietet natürlich aussehende Landschaften, gepaart mit von Mittelalter-Fantasy inspirierten Gegenständen und Werkzeugen.

Office der Mojang Studios in Stockholm
In der Bibliothek findet sich dieser "Minecraft"-Thron – Überbleibsel einer Liveshow.
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Wer beispielsweise auf Sci-Fi-Add-ons oder futuristische Biome hofft, wird sie von Mojang nicht bekommen. Die Umsetzung solcher Ideen überlässt man lieber den zahlreichen Moddern. Diese bescheren dem Spiel auch andere optionale Erweiterungen, von grafischen Verbesserungen mit Texturpaketen bis hin zu komplett neuen Spielmodi.

"Es ist nie ganz fertig"

Bei ihrer vollen Beschreibung von Minecraft kommt Agnes Larsson vom Hundertsten ins Tausendste. Von den kreativen Aspekten über die Survivalelemente bis zu plötzlichen Ereignissen, die Spieler vor unerwartete Herausforderungen stellen. Ein mit schier unendlichen Möglichkeiten gespickter Kasten virtueller Klemmbausteine, der immer wieder um neue Materialien, Gegenstände und mitunter ganze Biome erweitert wird.

Office der Mojang Studios in Stockholm
Alle Gemeinschaftsräume sind unterschiedlich gestaltet – hier etwa mit einem Rainbow Light.
DER STANDARD/Pichler

Aber wie schaffen es neue Ideen überhaupt ins Spiel? Zugetragen werden sie manchmal von außen, aber auch intern erarbeitet, wofür man häufig Brainstorm-Sessions ansetzt. An Vorschlägen mangelt es nicht. Von jenen, denen man letztlich genug Potenzial für die Implementation bescheinigt, schafft es am Ende circa die Hälfte tatsächlich ins Spiel, schätzt die Entwicklungsleiterin. Dabei versucht man, sie schnell als Prototyp umzusetzen, um beurteilen zu können, wie sie sich in Minecraft anfühlen.

Die meisten, die letztlich aussortiert werden, scheitern spätestens in dieser Phase. Jene, die umgesetzt werden, veröffentlicht man als Preview, um sie mithilfe von Community-Feedback in ihre finale Form zu polieren. "Minecraft ist fast fertig, aber es ist nie ganz fertig", sagt Larsson. "Es gibt kein Ende für das Spiel und kein Ende für seine Entwicklung und Evolution."

Office der Mojang Studios in Stockholm
Der Ender Dragon ist der inoffizielle "Endgegner" in "Minecraft".
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Digitale Heimat

Wenn es darum geht, wo man sich wünsche, dass Minecraft in fünf Jahren stehen wird, geben Studiochefin, Game-Designerin und Chief Creative Officer – getrennt voneinander – im Prinzip die gleiche Antwort. Das Spielgefühl von Minecraft ist seit seinen Anfängen unverändert. Man will sowohl die Marke als auch das Game selbst stetig erweitern.

Aber auch in einem halben Jahrzehnt soll ein vertrautes Gefühl aufkommen, wenn man sich einloggt und eine neue Welt zu erkunden beginnt oder einen alten Speicherstand lädt. Denn für viele Spielerinnen und Spieler der großen Blockbaukasten-Gemeinde ist Minecraft zu einer digitalen Heimat geworden. Und die, so stellt es sich beim Hausbesuch dar, liegt in der Tat in guten Händen. (gpi, 28.4.2024)