Ein Schützenpanzer auf einer Straßenkreuzung
Quito im Ausnahmezustand: Das Militär erhielt Anfang Jänner weitgehende Befugnisse im Kampf gegen "Terroristen".
AFP/RODRIGO BUENDIA

Rasend schnell ist Ecuador von einem der friedlichsten Staaten Lateinamerikas zu dem mit der höchsten Mord- und Kriminalitätsrate geworden. Der Alltag vieler Menschen ist von der Sorge um ihre persönliche Sicherheit bestimmt. Dem Land stehen offenbar unruhige Zeiten bevor.

Im Jänner hat der neue, konservative Präsident Daniel Noboa das Militär als zentralen Akteur zur Konfliktlösung berufen.

Wie kam es zu dieser dramatischen Entwicklung? Am Vormittag des 9. Jänner treffe ich Alina Manrique vom staatlichen Fernsehsender TC in Guayaquil. Sie hat in der Reportage Narcobanano als einzige ecuadorianische Journalistin die engen Verbindungen der Bananenindustrie mit dem Kokainhandel herausgearbeitet. Bei beiden Produkten ist Ecuador der wichtigste Lieferant für den europäischen Markt.

Mehr als die Hälfte der Drogen soll in Bananencontainern das Land verlassen, gut sieben Millionen Kisten pro Woche bieten dazu reichlich Gelegenheit. Zumal machbare Kontrollmechanismen wie spezielle Drogenscanner an den meisten Häfen des Landes nicht angebracht werden. Der Einfluss der Drogenmafia auf staatliche Stellen ist in den vergangenen Jahren dramatisch gewachsen, jener der Bananenindustrie ist traditionell groß.

Schockmoment

Journalistin Manrique ist skeptisch, was die Zukunft ihres Landes angeht: "Wenn es noch schlimmer wird, wenn die Gewalt mich oder meine Kinder direkt betrifft, dann werde ich mir – wie so viele meiner Landsleute – überlegen, ins Ausland zu gehen", sagt sie.

Kaum zwei Stunden nach unserem Treffen stürmt ein Dutzend bewaffneter Männer die Räume des TV-Senders TC. Vor laufender Kamera halten sie Waffen an die Köpfe der Moderatorinnen und Moderatoren, drohen mit Sprengstoff. "Ich weiß nur noch, dass einer mit einer Pistole auf mich zeigte, ich mich auf den Boden warf, und erst als ein Uniformierter mich hochzog, fing ich wieder an zu leben", berichtet Manrique danach.

Maskierte Soldaten auf dem Dach eine Gebäudes, auf dem mehrere Satellitenantennen montiert sind.
Traumatischer Tag: Eine Polizeieinheit nähert sich am 9. Jänner dem Studio des Senders TC in Guayaquil, das durch Bewaffnete besetzt wurde.
AFP/MARCOS PIN

Die offizielle Version zum 9. Jänner lautet, die Drogenmafia habe mit der Besetzung des Senders TC zum gemeinsamen Sturm auf die Regierung geblasen. Doch die Besetzer hatten weder eine klare Botschaft noch moderne Waffen. Sie waren zum Teil minderjährig und leisteten keinen Widerstand gegen ihre Verhaftung – all das spricht nicht für einen Überfall einer Drogenbande.

Zudem gibt es keinerlei Einigkeit unter den Mafiaclans, die teils mit mexikanischen, kolumbianischen und albanischen Kartellen verknüpft sind. Ihre internen Konflikte sollen etwa 80 Prozent aller Morde in Ecuador verursachen.

In jedem Fall bewirkte die live übertragene Besetzung der Fernsehstation Angst und Schrecken. Meine Vermieterin erzählte mir kurz danach, in der Uni hätten Banden Geiseln genommen und gemordet. Dann kam die Meldung, im Präsidentenpalast in Quito seien Schüsse zu hören. Alles Gerüchte und Fake News.

Gleichzeitig wurde über die leider alltäglichen Schießereien und Überfälle in unterschiedlichen Teilen des Landes groß berichtet. Die meisten Menschen zogen sich in ihre Wohnungen zurück, Schulen, Unis und Behörden schlossen – die Bevölkerung erlitt ein weiteres Trauma.

Vorbild Bukele

In privaten Gesprächen, aber in keinem öffentlichen Statement wird gemutmaßt, die Besetzung des TV-Senders TC könnte eine Inszenierung durch die Regierung gewesen sein. Beobachter und Beobachterinnen sehen dies durchaus als realistische Möglichkeit. Der 36-jährige Präsident Noboa und sein Team haben die Vorfälle jedenfalls zügig und konsequent genutzt. Die Besetzung dauerte kaum eine halbe Stunde, da erließ Noboa ein Dekret, wonach es im Land einen "internen bewaffneten Konflikt" gebe und er deshalb dem Militär weitgehende Befugnisse im Kampf gegen die "Terroristen" von 22 Banden gab, auch zum Einsatz in den Gefängnissen.

Zahlreiche Männer in Unterhosen liegen auf dem Bauch, dahinter bewaffnete Soldaten.
Gefangene in Guayaquil, 18. Jänner.
AFP/Ecuadorean Armed Forces/HAND

Kurz danach tauchten Bilder auf von hunderten Gefangenen, nur in Unterhose bekleidet, angetrieben von bewaffneten Soldaten. Das entspricht einem Symbolbild aus El Salvador unter dem autokratischen Präsidenten Nayib Bukele.

USA klopfen an

Zahlreiche Staaten haben der ecuadorianischen Regierung militärische und logistische Hilfe angeboten. Präsident Noboa, Milliardärssohn und Unternehmer in der Bananenindustrie, möchte gerne – nicht weiter spezifizierte – Unterstützungsangebote Israels und der USA annehmen.

Die Chefin des mit Lateinamerika befassten Kommandos South Com der US-Armee, General Laura Richardson, flog noch im Jänner in die Hauptstadt Quito, um die engere militärische Zusammenarbeit zu besprechen. Details sind der Öffentlichkeit nicht bekannt.

Zwei Gabelstapler, zwischen denen eine US-Fahne aufgespannt ist, dahinter Militärlastwagen.
US-Lieferung für dass Militär in Ecuador Ende Jänner: Quito sucht die Nähe zu Washington.
AFP/GERARDO MENOSCAL

Es gibt bereits einen "Plan Ecuador", ausgestattet mit 3,1 Milliarden US-Dollar, analog zum damaligen "Plan Colombia" zur Aufstands- und Drogenbekämpfung im Nachbarland. Der war nicht wirklich erfolgreich, sondern hat zu einer enormen Brutalisierung der gesellschaftlichen Konflikte in Kolumbien und einer Verlagerung des Drogenhandels ins dollarisierte Ecuador geführt.

Und der Einsatz des US-Geheimdiensts FBI nach der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten, Gewerkschafters und Investigativjournalisten Fernando Villavicencio im August 2023 hat bislang zu keinerlei Ergebnis beigetragen.

Kritik verstummt

Differenziert über die militärische Lösung zu diskutieren ist nicht das Gebot der Stunde. Alle Medien, alle politischen Parteien, selbst der linksorientierte Ex-Präsident Rafael Correa haben sich hinter Noboas Dekret zum Einsatz des Militärs gestellt.

Auch viele Linke meinen, es sei an der Zeit, drastischere Schritte zu setzen.

Der junge Präsident ist plötzlich ungemein populär, nachdem seine ersten Wochen im Amt von fehlenden Strategien gekennzeichnet waren. Peinlich für ihn war, dass am 7. Jänner das Verschwinden des bekanntesten Drogenbosses in Ecuador, Adolfo Macías, genannt Fito, aus dem Gefängnis festgestellt wurde.

Die Banden mit ihrer sozialen Basis in den Armenvierteln der Städte, wo sie neben dem Drogengeschäft von Schutzgelderpressungen, Entführungen und Auftragsmorden leben, scheinen sich, zumindest für den Moment, zurückzuhalten. "Es stimmt, dass wir in der ersten Woche einen Rückgang der Gewalt gesehen haben", sagt Daniel Pontón, Dozent für Sicherheitsfragen am Nationalen Institut für Höhere Studien (IAEN). "Nach einiger Zeit wird sie aber wiederkommen, dann sogar mit mehr Kraft", befürchtet er.

Ecuador erklärt Drogenbanden den Krieg
Nach einer Welle tödlicher Angriffe und Entführungen in Ecuador hat Präsident Daniel Noboa den Drogenbanden den Krieg erklärt. Die Armee zeigt in den Großstädten massiv Präsenz, hunderte Verdächtige wurden nach dem Angriff auf einen staatlichen TV-Sender festgenommen
AFP

Und wer die täglich veröffentlichten Erfolgsmeldungen über Militär- und Polizeieinsätze analysiert, wird feststellen, dass dieser "Krieg", mit einer Entwicklung wie derzeit, mehr als acht Jahre andauern müsste, um die von Noboa auf 40.000 bezifferten Bandenmitglieder auszulöschen.

Ecuador braucht Reformen

Ohne soziale Reformen und ohne einen massiven strukturellen Umbau in Justiz und Sicherheitsapparat, genauso wie in Politik und Wirtschaft, wird der Kampf gegen Drogen und Gewalt in Ecuador kaum Erfolg haben. Die organisierte Kriminalität hat alle Sektoren der Gesellschaft durchdrungen.

Präsident Noboa sollte dies wissen. Im TV-Beitrag Narcobanano von Journalistin Manrique ist das Firmenimperium von Noboas Familie gleich zweimal Thema: in Bezug auf den Kokainhandel und auf die Frage der Besetzung von Ministerialämtern unter Einfluss der Mafia.

Bislang dreht sich in der Regierung alles um Ressourcen für den Militäreinsatz. Hierzu will der Präsident scheinbar nicht nur die Umsetzung der Yasuní-Volksabstimmung auf Eis legen (siehe Kasten unten), sondern auch die Mehrwertsteuer von zwölf auf 15 Prozent hochsetzen, eine alte Forderung des Internationalen Währungsfonds.

Hütten aus sonnenverbleichten Brettern mit Blechdächern, aus einem Fenster sieht eine Frau, die ein Telefon in der Hand hält.
Das Armenviertel Monte Sinai in Guayaquil wird komplett von den Choneros kontrolliert, der größten Drogenbande im Land.
APA/AFP/MARCOS PIN

Das von der Opposition dominierte Parlament diskutierte, ob 14 Prozent auch reichen könnten, nicht aber sozial ausgleichende Ansätze. Die schon beschlossene Amnestie für große Steuersünder und Steuersünderinnen und die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen gehen in die gleiche wirtschaftsliberale Richtung wie die angestrebten neuen Arbeitsverträge auf Stundenbasis – wo schon vom offiziellen Monatslohn von 460 Dollar niemand menschenwürdig leben kann.

Als der Präsident der großen Indigena-Bewegung CONAIE, Leonidas Iza, diese Orientierung kritisierte, wurde er von Noboa aggressiv abgekanzelt. Öffentliche Proteste seien wegen des Ausnahmezustands verboten, Iza könne ja im nächsten Jahr zur Präsidentschaftswahl antreten – 2025 soll turnusmäßig wieder gewählt werden, 2023 waren Neuwahlen. Ähnlich geht es Organisationen, die auf die Gültigkeit der Menschenrechte auch während des bewaffneten Konflikts hinweisen. (Frank Braßel aus Guayaquil, Südwind-Magazin März/April 2024)