Alexander Schallenberg lebt Multilateralismus. Wenn dann drei Viertel der Weltbühne Österreichs Ruf nach einer Konferenz zu Autonomen Waffensystemen folgen, ist der ÖVP-Außenminister erwartbar stolz und guter Dinge, etwas bewegen zu können. "Das kann ein Gamechanger" sein, haucht er jenen Staaten und NGOs, die seit langem mehr Regeln für "Killerroboter" fordern, Mut ein. "Das ist unser Oppenheimer-Moment", warnt er gleichzeitig die Vertreter jener mächtiger Staaten, die strengeren Regeln nach wie vor skeptisch gegenüberstehen.

Am Ende der zweitägigen Konferenz will Österreich ein Momentum kreieren, um den lahmenden Gesprächen bei der Uno in Genf – wo Einstimmigkeit herrscht – neues Feuer zu verleihen. Beim Atomwaffenverbotsvertrag habe das schließlich auch schon geklappt. Die aktuelle geopolitische Lage und die raschen Fortschritte auf dem Gebiet der autonomen Waffen erfordern jedenfalls ein rasches Handeln, sagen viele auf der Konferenz.

Video: Erste Konferenz zu autonomen Waffen in Wien eröffnet.
APA

STANDARD: Welchen Mehrwert haben strengere Regeln in einer Welt voller Rechtsbrecher?

Schallenberg: Es hat moralisch eine ganz andere Wirkung, wenn es in internationalen Konflikten Regeln gibt und Regelbrecher als solche benannt werden. Es gibt jeden Tag Leute, die sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Aber deswegen wird keiner fordern, die Straßenverkehrsordnung abzuschaffen. Auf der internationalen Ebene ist es nicht anders. Und wir sind bei autonomen Waffensystemen wirklich mit der größten Revolution auf dem Schlachtfeld seit der Erfindung des Schießpulvers konfrontiert. Und mit einer Technik, die im Gegensatz zu Nuklearwaffen vermutlich sehr schnell in den Händen nichtstaatlicher Akteure landen wird. Ein 3D-Drucker für eine Drohne, die richtige Software, und schon ist man dabei.

STANDARD: Ob die Waffe in Händen des Terroristen halb- oder vollautonom ist, ist auch schon egal, oder?

Schallenberg: Es macht einen Unterschied. Autonome Drohnen würden in Millisekunden entscheiden, wer lebt und wer stirbt, womöglich sogar nach Zugehörigkeit zu einer Ethnie. Und wir alle wissen, wie fehleranfällig KI ist. Solche Waffen würden die Möglichkeiten für Terroristen dramatisch erhöhen.

STANDARD: Abseits der ganz großen Player auf internationaler Bühne bremsen mit Estland und Polen in der EU zwei Staaten mit starker Rüstungsindustrie, die selbst an autonomen Systemen arbeiten. Regelt der Markt wieder einmal, wie internationales Recht entsteht?

Schallenberg: Nein, denn dieselbe Argumentation habe ich schon bei der Ottawa-Konvention gehört, die zum Verbot von Anti-Personen-Minen geführt hat, oder beim Verbot von Streumunition. Da hat es auch geheißen, die produzierenden Staaten werden nie zustimmen. Bis heute haben nicht alle Staaten zugestimmt, das stimmt. Und doch geht es um Bewusstseinsbildung, um das Schaffen einer Norm. Es wird auch eine entsprechende Drohkulisse aufgebaut, wenn jetzt auf unserer Konferenz drei Viertel aller Staaten präsent sind. Auch die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates sind hier. Und wir haben mit der Uno und dem Internationalen Roten Kreuz Organisationen mit einer starken Glaubwürdigkeit im Rücken. Da kann eine kritische Masse entstehen, Druck entstehen. Österreich steht ja auch an der Speerspitze jener Staaten, die ein Verbot von Nuklearwaffen vorantreiben. Wenn man nun sieht, wie allergisch einige Nuklearstaaten darauf reagieren, ist das der beste Beweis dafür, dass sie wissen, was solche Konventionen bewirken können.

Man befinde sich an einer Weggabelung und müsse die richtige Entscheidung treffen, sagt Alexander Schallenberg.
APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

STANDARD: Ein aktuelles Beispiel für den Einsatz von KI ist Israel, das in Gaza mit Lavender und Gospel Systeme zur Identifizierung von Angriffszielen einsetzt. Dabei soll angeblich eine zehnprozentige Fehlerquote des Systems quasi akzeptiert worden sein. Wo ist da konkret die Kritik an Israel?

Schallenberg: Ich kenne die einzelnen Systeme nicht im Detail. Mir geht es auch nicht darum, einen Staat oder einen Konfliktherd herauszugreifen. Wir wissen aber, wie fehleranfällig KI ist und auch bleiben wird. Sie wird von Menschen programmiert mit ihren eigenen Vorurteilen, teilweise vielleicht auch unbewusst. Im Völkerrecht geht es um die Frage der Verantwortlichkeit. Das humanitäre Völkerrecht macht Menschen verantwortlich für ihre Handlungen. Wer ist aber in so einem Fall, wenn ein Killerroboter versehentlich Menschen getötet hat, verantwortlich? Der Softwareprogrammierer? Der Kommandant? Die Person am Schalthebel? Da würde das System, das wir in den vergangenen 150 Jahren aufgebaut haben, auf einmal ins Leere laufen. Deshalb braucht es klare, verbindliche internationale Regeln.

STANDARD: Apropos Verantwortlichkeit: Dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu droht diese Woche ein Haftbefehl durch den Internationalen Strafgerichtshof. Wären Besuche Netanjahus in Österreich damit Geschichte?

Schallenberg: Österreich bekennt sich klar zum Völkerrecht und zum Internationalen Strafgerichtshof. Wir haben in den Konflikten der letzten Monate gesehen, dass manchmal die Emotionalität überwiegt. Bewahren wir hier einmal kühlen Kopf, es handelt sich bis jetzt um Gerüchte in Medien. Aber ganz klar ist: Israel ist an das humanitäre Völkerrecht gebunden, das hat Israel auch nie in Abrede gestellt. Aber sie müssen mehr tun, um auch klarzumachen, dass sie es in jeder Phase dieses unglaublich schwierigen Konflikts einhalten.

Schallenberg bei der Eröffnungsrede.
APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

STANDARD: Die rechtsextremsten Minister in seiner Regierung drängen Netanjahu zur Rafah-Offensive. Hat sich Netanjahu in eine Zwickmühle gebracht, und kommt er da noch raus?

Schallenberg: Das ist der große Unterschied zwischen Israel und anderen Staaten in der Region. Israel ist eine Demokratie, ein pluralistischer Rechtsstaat. Da stoßen die unterschiedlichsten Meinungen aufeinander. Es gibt Auffassungsunterschiede, ob es wichtiger ist, die Hamas zu bekämpfen oder die Geiseln zu befreien. Ich habe grundsätzlich Vertrauen in die Stärke der israelischen Demokratie und den Pluralismus der Institutionen. Wir sollten auch hier nicht jede einzelne Wortmeldung, die uns, diplomatisch gesagt, erstaunt, auf die Goldwaage legen. Für mich ist entscheidend, welche Maßnahmen die Regierung setzt. Wir brauchen eine Waffenruhe, um mehr humanitäre Hilfe reinzubekommen. Die Situation in Gaza ist eigentlich nicht mehr tragbar. Aber wir vergessen auch nie die Geiseln, die noch herausgebracht werden müssen. Wir haben noch immer den tragischen Fall eines österreichisch-israelischen Familienvaters, der weiterhin in den Händen der Hamas ist.

STANDARD: Die Vorfälle der vergangenen Wochen scheinen darauf hinzudeuten, dass Europas Demokratien langsam bewusster wird, wie groß Russlands Einflussversuche sind. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich kürzlich entschuldigt für seine Fehleinschätzung bezüglich Wladimir Putins. Sie sagten auch schon einmal, wir seien zu lange zu naiv gewesen. Wachen wir jetzt endlich auf?

Schallenberg: Ich würde es sehr hoffen. Ich habe immer gesagt, der 24. Februar 2022 war wie ein Eiswasserkübel, der uns ins Gesicht geschüttet wurde. Wir haben ja gedacht, Kriege sehen wir nur noch auf Schwarz-Weiß-Fotos, in Archiven oder auf anderen Erdteilen. Und wir wissen aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts, dass Kriege auf dem europäischen Kontinent die Tendenz haben, nicht auf diesem zu bleiben. Die zweite Herausforderung ist, zu erkennen, dass unser Lebensmodell global gesehen kein Exportschlager ist. Unser Lebensmodell wird von einigen Akteuren gar als aggressive Herausforderung gesehen. So sehr, dass sie sich berechtigt fühlen, militärisch dagegen vorzugehen. Das ist nicht nur Russland. Man sieht Demokratie, Pluralismus, individuelle Freiheiten als eine Gefahr. Wir dürfen nicht wieder in Lethargie oder Naivität verfallen, sondern müssen die Welt mit mehr Realismus und Pragmatismus betrachten. Am allermeisten brauchen wir jetzt aber strategische Geduld. Wir werden diese Konflikte nicht bis zum nächsten Wochenende lösen, aber es lohnt sich allemal, für unser Lebensmodell einzustehen.

Alexander Schallenberg bei der Eröffnung der Wiener Konferenz zu autonomen Waffen.
BMEIA/ Michael Gruber

STANDARD: In Sachen Russland-Nähe fällt es oft leicht, die FPÖ dafür zu kritisieren. Aber wie sehen Sie rückblickend das Naheverhältnis der ÖVP zu Putin, zu Russland?

Schallenberg: Ganz generell haben wir nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gedacht, dass sich unser Lebensmodell durchgesetzt hat. In den Nullerjahren dachten wir noch, Putins Russland würde sich europäischen Standards annähern. Die Hoffnung und vielleicht naive Erwartungshaltung war, dass sich unser Lebensmodell auf dem afrikanischen Kontinent, in Lateinamerika und in Asien durchsetzt. Das war nicht der Fall. Es war naiv, Putins Wortmeldungen von der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 nicht ernst genommen zu haben. Es ist aber eben ein enormer qualitativer Unterschied, ob eine Partei wie die FPÖ eins zu eins das Narrativ Moskaus nachbetet, wenn es um die EU, die europäische Integration oder Sanktionen gegen Russland geht, oder einige politische Akteure noch in den Nullerjahren auf ein anderes Russland gehofft haben. Ich glaube, es gibt die Möglichkeit zu einer anderen Entwicklung in Russland. Wir sehen das zwar im Moment nicht. Wir haben einen Präsidenten, der dieses Land in die Vergangenheit zurückführt. Aber es gibt auch ein anderes Russland, und das dürfen wir nicht vergessen.

STANDARD: Sie haben vor rund drei Jahren gesagt, man müsse die Taliban an ihren Taten messen. Sie haben später ergänzt, die Taliban seien natürlich rasch falsch abgebogen. Wie ist Ihr Urteil knapp drei Jahre danach?

Schallenberg: Das ist eine Formulierung aus einer Stellungnahme der Europäischen Union zum Fall von Kabul gewesen, die ich wiederholt habe. Wir haben damals als EU fünf Bedingungen formuliert. Dass die Taliban nicht eine einzige davon erfüllt haben, ist heute allen klar.

STANDARD: Am Sonntag meinte FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky, dass er gerne EU-Kommissar für Remigration werden würde. Hätten Sie Interesse, anstelle von Vilimsky Kommissar zu werden?

Schallenberg: Die Wahrscheinlichkeit, dass es Harald Vilimsky oder jemand anderer von der FPÖ wird, liegt bei null. Ich selbst habe, wie schon mehrmals festgehalten, keine Ambitionen in diese Richtung. (Fabian Sommavilla, 30.4.2024)