Wer in Kitzbühel zur Prominenz gezählt wurde, war schon einmal am Lutzenberg zu Gast. An der steilen Straße zwischen Golfplatz und Schwarzsee stehen die Villen nahe beisammen. Wer nicht dazugehört, wird ferngehalten: Überwachungskameras blinken, schwere Rollläden verrammeln die ausladenden Fensterfronten.

In den beiden Häusern mit den Nummern 12 und 12a hielt der Münchner "Gourmet-Papst" Gerd Käfer einst Hof, hier feierte der 2015 verstorbene Koch seine berühmten Partys. Das Interieur war dabei so schillernd und pompös wie der Gastgeber und seine Gäste: eine echte Treppe aus Versailles, ein Bild von Andy Warhol und Papageien aus Nymphenburger Porzellan. Noch heute erinnern sich die Nachbarn an die rauschenden Feste.

An der Klingel steht jetzt "Max Mustermann", das Chalet wurde in einschlägigen Portalen als Ferienhaus angeboten. Auf mehrfaches Läuten an einem Mittwoch im April reagiert niemand, obwohl aus einem Schornstein Rauch emporsteigt, der sich mit den Regenwolken vermischt.

Chudainatows Chalets in Kitzbühel – auf einer Klingel steht "Max Mustermann".
Collage: Lukas Friesenbichler

Seit Juli 2018 gehört das Anwesen Svetlana E. Die Tiroler Tageszeitung berichtete nach einem Hinweis des Oppositionspolitikers Markus Sint (Liste Fritz) erstmals Ende März über die mysteriöse Russin mit zypriotischem Pass, die innerhalb weniger Jahre mehrere millionenschwere Grundstücke in Kitzbüheler Bestlage gekauft hat. Zu E. scheine im Melderegister kein Eintrag auf. "Auch im Internet ist nichts zu ihrer Person zu finden", schrieb die Zeitung. Wer die Frau ist und mit welchem Geld sie investierte, blieb ein Rätsel.

Immobilien im Wert von 26 Millionen Euro

STANDARD-Recherchen zeigen nun: Bei der Frau handelt es sich offenkundig um die langjährige Partnerin des sanktionierten Oligarchen und Putin-Vertrauten Eduard Chudainatow. Der ehemalige Chef des russischen Energiegiganten Rosneft ist der Vater zweier ihrer Kinder, das zeigen dem STANDARD vorliegende Dokumente. E. lässt dazu über ihren Anwalt mitteilen, dass sie nicht die Lebensgefährtin des Oligarchen sei. Sie stehe auch nicht im Kontakt mit ihm.

Das ehemalige Käfer-Anwesen ist nicht E.s einziges Eigentum in Kitzbühel: Insgesamt hat sie im Tiroler Nobelort zwischen 2017 und 2021 vier Häuser gekauft, für rund 26 Millionen Euro. Damit gehören ihr dort fast 4400 wertvolle Quadratmeter. Die Millionen für die Immobilien stammten augenscheinlich vom Oligarchen, wie der STANDARD, das Recherchenetzwerk Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) und das russische Investigativmedium IStories aufdecken.

Die Strohfrau eines Strohmanns

Ist E. also nur die Strohfrau des reichen Chudainatow – und der wiederum womöglich nur eine Tarnung für Putin selbst? E. bestreitet dies. Chudainatow gilt als dessen "Geldbörse" und Scheineigentümer einer Luxusyacht, die dem russischen Präsidenten selbst zugerechnet wird.

Chudainatow darf seit Juni 2022 nicht mehr nach Österreich einreisen. Unter anderem wegen seiner engen Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin hat ihn die EU sanktioniert, wie auch Kanada, die Schweiz und die Ukraine. Schon im Jahr 2000 hat Chudainatow für Putin den Wahlkampf in der sibirischen Region Tjumen organisiert. Danach ist er mit Ölhandel reich geworden, war unter anderem Rosneft-Chef. Putin persönlich soll ihm erlaubt haben, sich anschließend selbstständig zu machen. Mit seinem eigenen Unternehmen verdiente Chudainatow weiter Millionen – unter anderem durch Geschäfte mit Rosneft. 2022 schätzte Forbes sein Vermögen auf rund 2,2 Milliarden US-Dollar, ein Jahr später zählte ihn das Wirtschaftsmagazin nicht mehr zu den Milliardären.

Bekannt ist, dass Putin-treue Oligarchen wie Roman Abramowitsch, Arkadi Rotenberg und Oleg Deripaska seit der Jahrtausendwende in großem Stil in Österreich investiert haben. Nun kann man auch Chudainatow auf dieser Liste anführen.

Trotzdem sind die Konten ihrer Eigentümer teilweise nach wie vor nicht eingefroren. Beamte tappen selbst nach jahrelangen Ermittlungen im Dunkeln.

Wie DER STANDARD vergangenes Jahr aufdeckte, haben sie beispielsweise prachtvolle Villen in Bestlage gekauft, etwa am Salzburger Fuschlsee oder in den Kitzbüheler Alpen.

Die Villa des Oligarchen Roman Abramowitsch am Fuschlsee.
Maria Retter

Für ihre Investments in Österreich haben Oligarchen oft schwer durchschaubare Firmengeflechte benutzt, die zumeist in Steueroasen führten. Im Fall von E. dürfte ein zypriotischer Pass gereicht haben. Hätte sie als Russin gekauft, hätten die wesentlich strengeren Regeln für Drittstaatenangehörige beim Grunderwerb gegolten. So war sie Österreicherinnen gleichgestellt und ersparte sich zahlreiche Behördenprüfungen. Die zuständige Grundverkehrsbehörde – in diesem Fall die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel – hatte keine Prüfverpflichtung, bestätigte das Land auf Anfrage.

Doch wie kam es dazu? Die Geschichte beginnt ursprünglich nicht in Zypern, sondern in Malta. Dort versuchte E. schon 2016, für sich und drei ihrer Kinder, wovon zwei Chudainatows Nachnamen tragen, an einen EU-Pass zu kommen.

Erste Station: Malta

Interne E-Mails, die dem OCCRP von der maltesischen Daphne Caruana Galizia Foundation zugespielt wurden und auch dem STANDARD vorliegen, zeigen, dass E. bei einer einschlägigen Kanzlei vorstellig wurde. Diese beantragte Anfang 2016 in ihrem Namen die maltesische Staatsbürgerschaft.

Ein Zuständiger aus Malta wollte im Jänner 2016 dann wissen, woher E.s Vermögen stamme, woraufhin die Kanzlei erklärte, dass ihre Passbewerbung "von ihrem Partner finanziert" werde. Pikanter Nachsatz: "Zur Information: Svetlana hat noch nie gearbeitet." Tatsächlich weisen Daten aus dem russischen Pensionsregister für E. eine langjährige Berufstätigkeit aus, und zwar jeweils in Betrieben, die Chudainatow zugerechnet werden. Unklar ist jedoch, ob es sich dabei um Scheinanstellungen handelte.

Es sei nicht zutreffend, dass sie ihren Wohlstand oder sonstige erhebliche Zuwendungen "ausschließlich" dritten Personen zu verdanken habe, ließ E. auf STANDARD-Anfrage über einen Anwalt mitteilen. Außerdem halte sie keine fremden Immobilien oder sonstige Vermögenswerte für Dritte inne.

Im Anhang der E-Mail der Kanzlei befinden sich jedenfalls eine Passkopie und die Bankverbindung des "Gönners", wie es in der Nachricht heißt: Eduard Chudainatow. Nach einer "mündlichen Unterredung" zog die Kanzlei den Antrag wegen Chudainatows Verbindungen zum russischen Ölkonzern Rosneft zurück. Rosneft war bereits damals von der EU und den USA sanktioniert. Chudainatow ließ eine Anfrage unbeantwortet.

Plan B: Zypern

Nur wenige Monate nach dem Rückschlag in Malta war E. auf einer anderen Insel erfolgreich – etwa drei Flugstunden weiter östlich im Mittelmeer: Zypern. Seit Anfang Jänner 2017 besitzt E. die Staatsbürgerschaft des Inselstaats, ein Kind erhielt sie einige Monate später.

Schon ein halbes Jahr später schlägt E. zum ersten Mal in Kitzbühel zu: Im Juli 2017 wandert eine pompöse Villa am Fuß des Kitzbüheler Horns in ihren Besitz, für 13,25 Millionen Euro. Das Anwesen mit riesiger Fensterfront bis zum Giebel, holzverkleidetem Obergeschoß und Malereien an den Wänden thront am Hang über der Stadt. Die Jalousien sind heruntergelassen, der Garten wirkt gepflegt. Die ausladende Terrasse bietet einen unverstellten Blick auf die Streif, die wohl berühmteste Skirennstrecke der Welt.

Nicht nur das Hahnenkammrennen macht Kitzbühel zum Treffpunkt für Superreiche.
AFP/JOE KLAMAR

Auf einer Terrasse entsteht derzeit eine Außenküche. Arbeiter erzählen von einer Frau, die sie beauftragt habe. Dabei handelt es sich aber offenbar nicht um E., sondern um die Haushälterin, die laut mehreren Nachbarn die einzige regelmäßige Besucherin sein soll.

Das Immobilien-Shopping beginnt

Rund ein Jahr später kauft E. das ehemalige Käfer-Anwesen für 5,7 Millionen Euro. Im Juli 2021 erwirbt sie schließlich auch das Nachbargrundstück der ersten Villa samt großem Haus für sieben Millionen Euro. Den Kaufvertrag hat E. in diesem Fall in der österreichischen Botschaft in Moskau unterschrieben. Das Anwesen, das sich mit einem mehrstöckigen Anwesen des verstorbenen Franz Beckenbauer Garage und Einfahrt teilt, sei seitdem verlassen, berichten mehrere Nachbarn.

Nur wenige Fahrminuten entfernt hat eine andere Villa im Sommer vergangenen Jahres für Aufsehen gesorgt. DER STANDARD hatte gemeinsam mit internationalen Medienpartnern im Rahmen einer internationalen Recherche enthüllt, dass offenbar der Putin-Vertraute und sanktionierte Oligarch Arkadi Rotenberg den Kauf eines Chalets am Oberleitenweg 31b finanziert hatte. Sogar der russische Präsident selbst soll dort gesichtet worden sein, seine Tochter war wohl regelmäßig mit ihrer Familie vor Ort. Die Ermittlungen über den wahren Eigentümer laufen bis heute. Erfolg- und ergebnislos.

Österreichische Löcher im Sanktionsregime

Der aktuelle Fall zeige, dass die Tiroler Landesregierung "beim Ausverkauf Tirols im totalen Blindflug unterwegs ist", sagt Oppositionspolitiker Markus Sint (Liste Fritz) dem STANDARD. "ÖVP und SPÖ in Tirol wissen nicht, wer kauft. Sie wissen nicht, was gekauft wird, und sie wissen nicht, woher die Millionen kommen, mit denen gekauft wird."

Dabei ist Chudainatow ein wichtiger, wenngleich auch geheimnisvoller Oligarchen. Bis in den Mai 2022 war er außerhalb seines Heimatlands weitgehend unbekannt. Dann aber beschlagnahmten italienische Behörden im Hafen von Carrara eine Luxusyacht, die Putin selbst zugerechnet wird.

Die Yacht Scheherazade, von italienischen Behörden beschlagnahmt.
REUTERS/JENNIFER LORENZINI

Außerdem fungierte Chudainatow offenbar als Strohmann beim Kauf einer weiteren Megayacht, die in Wahrheit laut dem FBI dem von der EU sanktionierten russischen Politiker Suleiman Kerimow gehören soll. Und auch für seinen langjährigen Geschäftspartner Igor Setschin, den aktuellen Rosneft-Chef, der als Putins rechte Hand gilt, soll Chudainatow zum Schein als "Eigentümer" einer Yacht auftreten. Auf STANDARD-Anfrage bestreitet der Rosneft-Konzern dies.

Bürgermeister "unmöglich zu erreichen"

Ein sanktionierter Unternehmer mit besten Beziehungen in den Kreml, der offenbar mit Immobiliendeals in Kitzbühel zu tun hat: Gern würde man hören, was der Bürgermeister des Nobelskiorts dazu sagt. Reden will Bürgermeister Klaus Winkler (ÖVP) aber nicht. Er sei "bis Ende des Monats unmöglich zu erreichen", lässt der PR-Beauftragte Anfang April dem STANDARD ausrichten – auch Ende des Monats lässt er Anrufe gleich gänzlich unbeantwortet.

Oppositionspolitiker Sint kritisiert ihn scharf: Der Kitzbüheler Bürgermeister sei über die Grundstückskäufe informiert gewesen, habe alle drei Geschäfte bestätigt, aber verabsäumt, die korrekte Nutzung der vier Wohnhäuser zu überprüfen.

Auf die Frage, welche Konsequenzen es hätte, wenn die Käufe von einer mittlerweile sanktionierten Person finanziert worden wären, zeigt man in der zuständigen Tiroler Behörde in Richtung Wien. Die Durchführung von Sanktionsmaßnahmen sei "Bundessache". Für eine Prüfung, ob etwaige Grundstückserwerbe mit den EU-Sanktionen im Einklang stünden, bestünden "keine rechtlichen Grundlagen im Tiroler Grundverkehrsgesetz".

Die für die Sanktionsdurchsetzung zuständige Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst will sich wiederum "aus datenschutzrechtlichen Gründen" nicht zum konkreten Fall äußern.

Die Stadt Kitzbühel hat indes eine Untersuchung zur rechtskonformen Nutzung der Anwesen E.s eingeleitet, da wohl nur zwei der vier Wohnsitze als genehmigte Freizeitwohnsitze aufscheinen. In Kitzbühel gilt ein Freizeitwohnsitzverbot. Wer einen illegalen Freizeitwohnsitz schafft, dem drohen Strafen bis zu 40.000 Euro. Die Behörde kann außerdem eine weitere Nutzung der Immobilie untersagen. Ein Ergebnis dieser aufwendigen Prüfung sei noch nicht abzuschätzen, teilte die Stadt schriftlich mit. (Maria Retter, Timo Schober, 10.5.2024)