Ed Conways Buch Material World – A Substantial Story of Our Past and Future (2023) liegt dank Sebastian Vogels Übersetzung mit dem Untertitel "Wie sechs Rohstoffe die Geschichte der Menschheit prägen" auch in Deutsch vor. Konkret geht es hier um: Sand, Salz, Eisen, Kupfer, Öl und Lithium.

"Ich stand am Rand eines Abgrundes und blickte hinunter in das tiefste Loch, das ich in meinem Leben gesehen hatte." Packender könnte die Reportage, die der englische Erfolgsautor und Kolumnist der Time an den Beginn des 542 Seiten dicken Buches stellt, nicht sein. Leser werden zu Betroffenen. Er führt uns zur Cortez-Mine, einem gigantischen Goldbergbau in Nevada (USA). Die Lastwägen gleichen Spielzeugautos. Doch tatsächlich sind "die Reifen so hoch wie ein Doppeldeckerbus". Ed Conway sinniert und rechnet vor: "Für einen Standard-Goldbarren von 400 Feinunzen muss man ungefähr 5000 Tonnen Erde abbauen. Das entspricht einem Gewicht von zehn voll beladenden Superjumbos vom Typ Airbus 380." Solche Bilder überzeugen, machen betroffen. Sein Vorwort erinnert an den Beginn von Homers Odyssee. "Diese Materialien sind die unbesungenen Helden der Neuzeit, und es ist an der Zeit, dass wir ihre Geschichte hören."

Von Sand und Salz

In dem packenden und spannenden Stil sind auch die sechs Großkapitel geschrieben. "Sand ist das große Rätsel in der materiellen Welt." Wen wundert's? Sand ist nicht gleich Sand, es kommt weniger auf die Korngröße, die zwischen 0,063 und zwei Millimeter liegt, als auf das Material an. Der Großteil der Sande besteht aus Siliziumdioxid, sprich Quarz, andere Sandkörner indes aus Exkrementen von Papageifischen. Wenn es um Glas, das aus Quarzsand besteht, geht, wählt er einen bildhaften Vergleich. "Linsen aus Glas versetzen die Menschen in die Lage, in den Weltraum zu blicken."

Bei der Geschichte des Salzes (ab Seite 141) ortet er "Ursprünge von Macht und Tyrannei". Am Beispiel China, seiner Entwicklung von dreizehn Dynastien bis hin zum Kommunismus sieht er im Salzmonopol einen roten Faden, der sich quer durch die Geschichte zieht.

Eisenblumentrog
Eisen und Stahl ist allgegenwärtig, als Blumentrog oder in der Karosserie von Autos.
© Thomas Hofmann

Zu Eisen und Lithium

"Wenn Stahl das Skelett und Beton das Fleisch unserer Welt bildet, dann ist Kupfer das Nervensystem der Zivilisation, das Material der Schaltkreise und Kabel (…)". Laut der amerikanischen Investmentbank Goldmann Sachs von 2021 ist Kupfer das neue Gold (S. 285). Der Grund dafür liegt in der Bedeutung von Kupfer für die Elektrizität (Stichwort: Kupferkabel und Kupferspulen).

Die Bedeutung von Rohöl und Erdgas zeigt er am Beispiel von Tomaten. Conway argumentiert: Ein Großteil gedeiht in Gewächshäusern, die meist mit Öl oder Gas geheizt werden, teilweise aus Plastikfolien bestehen und künstlich beleuchtet werden, um die Phase der Photosynthese zu verlängern. Sein Resümee: "Der Geschmack fossiler Brennstoffe!"

Bei Lithium, er nennt es "weißes Gold", bricht er eine Lanze für Recycling. "Und da Lithium auch in einer erschöpften Lithium-Ionen-Batterie immer noch Lithium ist, könnte man es theoretisch wiederverwerten und muss es nicht wegwerfen. Theoretisch."

Russland als Energiemacht

"Russland ist der größte Rohstoffspeicher der Welt", beginnt Jeronim Perović, wissenschaftlicher Direktor des Center for Eastern European Studies und Titularprofessor an der Universität Zürich, sein jüngstes Buch. In dem fachlich fundierten Werk Rohstoffmacht Russland beschreibt er die Entwicklungsgeschichte Russlands als Exportland für Erdöl und Erdgas. "Energiegeschichte ist aufs Engste mit dem Aufstieg Russlands zur modernen Großmacht verbunden. Zugleich ist russische Energiegeschichte ein Teil der Globalgeschichte." Russland war stets im Vorteil und "imstande, sich jeweils weitgehend selbst mit Energie aus eigenen Rohstoffquellen zu versorgen".

Einleitend zeigen drei Karten die Öl- und die Gaspipelines nach Europa sowie die Öl- und Gastransportinfrastruktur innerhalb Russlands. Inhaltlich geht es um die Geschichte dieser auf Öl und Gas basierenden Auslandsbeziehungen über einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren bis zur Gegenwart. Zum einen bilden die Rohstoffe Russlands die Basis für den Aufstieg zur Großmacht, zum anderen "begab sich das Land damit aber in grenzüberschreitende Beziehungen und Abhängigkeiten". Damit eröffnet das Buch eine breitere Sichtweise und fügt dem Narrativ der einseitigen Abhängigkeit des Westens vom russischen Gas eine neue Perspektive hinzu.

Gastherme
Nach wie vor hängen viele Haushalt und ein Großteil der Industrie von Erdgas ab, das zu einem großen Teil aus Russland kommt.
© Thomas Hofmann

Der einbrechende Gasmarkt und Perovićs Analyse

Mit der Erschließung der großen westsibirischen Gasvorkommen war die Grundlage für die russische Erfolgsgeschichte gegeben. Gas wurde zur wichtigsten Einnahmequelle, steigerte aber auch die Abhängigkeit von westlichen Märkten, was eine aktuelle Agenturmeldung vom 13. Mai bestätigt. "Gazprom in den roten Zahlen, China kann Europageschäft nicht ersetzen", so der Titel einer Analyse im STANDARD. Die Realität ist für Russland ernüchternd, wie darin zu lesen ist: "2023 hat sich ein Verlust von sieben Milliarden Dollar angehäuft."

Die Einnahmen des Energiemarkts sind notwendig, um Defizite im Land auszugleichen. "In der späten Sowjetzeit musste sogar ein substanzieller Teil der aus den Erdölverkäufen generierten Deviseneinnahmen für den Einkauf amerikanischen und kanadischen Getreides verwendet werden", erläutert der Autor. Was die Ära Putin betrifft, die von der Kontrolle des Staates über den Rohstoffsektor geprägt ist, analysiert Perović die aktuelle Lage Russlands. "Doch anders als unter Jelzin werden der russischen Gesellschaft unter den derzeitigen autoritären Tendenzen kaum noch Freiräume zugestanden, um aktiv und selbstbewusst an der Gestaltung des Landes mitzuwirken."

Fazit: Liest sich Material World wie ein packender Krimi, zeigt Rohstoffmacht Russland die komplexen Beziehungen und Abhängigkeiten der Erdöl- und Erdgasmacht Russland zum Ausland auf. (Thomas Hofmann, 24.5.2024)