Die direkte Ansprache von Wählerinnen und Wählern findet nicht mehr vor der Haustür, sondern über KI-generierte Anrufe statt.
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Seit dem 19. April und noch bis zum 1. Juni findet in Indien die Parlamentswahl statt. Es ist die größte Wahl der Welt, 968 Millionen Menschen sind aufgerufen, zu den Urnen zu gehen. Die schiere Masse an Menschen sowie die 22 Amtssprachen (tausende regionale Dialekte einmal ausgelassen) machen es schwer für Kandidatinnen und Kandidaten, ihr Publikum in Gänze zu erreichen.

Infolge dessen tauchen Deepfakes auf, also von KI generierte, oft täuschend echt wirkende Audio- und Videoinhalte. Sie dienen nicht nur zur Verbreitung von Fehlinformationen, sondern auch zur Wähleransprache.

Bollywood-Stars mit vermeintlicher Botschaft

Wie in anderen Teilen der Welt gibt es auch in Indien genügend verzerrende Einsätze von Deepfakes, die den Wahlkampf unterwandern. So etwa, wenn tote Politiker sich vermeintlich wieder äußern, um dem Parteikader neuen Enthusiasmus einzuhauchen. Oder wenn zwei der bekanntesten, sonst neutral auftretenden Bollywood-Superstars in gefälschten Videos offen den Premierminister kritisieren und dazu aufrufen, für die oppositionelle Kongresspartei zu stimmen.

Ein Streit zwischen der regierenden Bharatiya Janata Party und der Kongresspartei führte sogar zu einer polizeilichen Vorladung, berichtet Rest of World. Dabei ging es um ein Video des Innenministers Amit Shah, in dem er über Quotenregelungen spricht. Es soll, so der Vorwurf, mithilfe von KI verändert und Aussagen verdreht worden sein.

Eine neue Form des Wahlkampf

Doch Deepfakes sind auch eine Methode der Kandidaten selbst, um personalisierte Botschaften gerade an weiter entfernte Gemeinden zu übermitteln. Der Wahlkampf in Indien konzentrierte sich lange Zeit auf Tür-zu-Tür-Aktionen und öffentliche Kundgebungen. Doch nachdem 2019 Whatsapp und Facebook in großem Umfang als Instrumente genutzt wurden, ist die diesjährige Wahl die erste, bei der KI eingesetzt wird. Premierminister Narendra Modi benutzte schon früh eine KI-App, die seine Stimme in Echtzeit von Hindi in andere Sprachen übersetzte, ein Minister des oppositionellen Nationalkongresses gab ein Interview mit seinen KI-Avataren.

Auch die Arbeit der freiwilligen Wahlhelfer, die vormals daraus bestand, durch riesige Bundestaaten zu reisen und mit Wählerinnen und Wählern zu sprechen, wird nun deutlich vereinfacht. 15 Minuten in eine Kamera über die wichtigsten Wahlkampfthemen zu sprechen reicht. Der Inhalt ist hierbei nicht wichtig, es geht um die Stimme. Diese kann fortan genutzt werden, um Videos und Anrufe zu erstellen, bei denen der Adressat mit Namen angesprochen und präzise über die Themen informiert wird, die ihm am wichtigsten sind. Auch etwaige Fragen soll er beantwortet bekommen.

Wahlempfehlungen und Geburtstagsgrüße

Wie Wired mitgeteilt wurde, wurden allein in den zwei Monaten vor dem Beginn der Wahl im April mehr als 50 Millionen KI-generierte Anrufe getätigt. Insbesondere Wechselwähler sollen so umgestimmt werden. Politikberater berichten, dass Wählerinnen und Wähler in den Städten die Anrufe zwar eher als lästig empfänden, jene in ländlichen Gebieten sich jedoch durch die vermeintlich direkte Ansprache geehrt sähen. Man fühle sich gestärkt aus den Erfahrungen der Landtagswahl im letzten Jahr, bei der nicht nur zur Wahl von bestimmten Kandidaten aufgerufen, sondern auch zum Geburtstag gratuliert wurde.

So berichtet iToConnect, eines der Millionen-Dollar-Unternehmen, die sich mit der Erstellung von Deepfake-Kampagnen befassen, von positiven Rückmeldungen. Wählerinnen und Wähler würden in Parteibüros auftauchen, um ihre Freude darüber auszudrücken, einen Anruf des jeweiligen Kandidaten erhalten zu haben und mit Namen angesprochen worden zu sein. Die Anrufe der KI sind zwar teurer als herkömmliche aufgezeichnete, dabei sind sie jedoch deutlich ansprechender und immer noch billiger als der Einsatz echter Menschen in Callcentern, der das Achtfache kostet. (hlk, 22.5.24)