Der DPP-Abgeordnete Puma Shen zog sich bei dem Gerangel eine Gehirnerschütterung zu und musste im Spital behandelt werden.
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Erst vor wenigen Tagen wurde Taiwans neuer Präsident William Lai Ching-te angelobt. Der Politiker der chinakritischen DPP-Partei äußerte in seiner Antrittsrede am Montag die Hoffnung, dass Peking die "Realität der Existenz Taiwans" einsehe und mit "Einschüchterung" aufhöre. Peking reagierte prompt, warf Lai Provokation vor und setzte am Mittwoch ein Dutzend US-Rüstungsfirmen auf eine Sanktionsliste.

Doch während alle Welt wie so oft in der Taiwan-Frage die Augen auf Peking gerichtet hat, kommen die unmittelbaren Herausforderungen für Lai zunächst von innen: Denn dort entspinnt sich ein Machtgerangel im Parlament, das vergangene Woche eine nur allzu wörtliche Umsetzung fand. Und vor den Toren protestierten erst am Dienstag wieder tausende Menschen – ein Ende ist nicht in Sicht.

Der Protest richtet sich gegen eine umstrittene Parlamentsreform, die die Opposition im Eiltempo durchboxen wollte. Diese hat seit der Wahl im Jänner nämlich eine Mehrheit im Hohen Haus. Die DPP hat damals zwar die meisten Stimmen erhalten, doch die absolute Mehrheit knapp verloren. Gemeinsam mit der kleineren Drittpartei TPP kann sich die chinafreundliche KMT nun über eine Mehrheit freuen.

Mehr Kontrolle über Regierung

Und diese Mehrheit nutzt die Partei nun auch. Kritiker werfen der KMT-TPP-Allianz vor, die Agenden der DPP zu blockieren. So habe sie im Fall des umstrittenen Gesetzespakets quasi alle Debatten blockiert. Dabei geht es um ein Vorhaben, das einer Verfassungsänderung gleichkommt, wie Analysten meinen. Die neuen Gesetze würden dem Parlament viel größere Kontrolle über die Regierung und auch den Präsidenten geben.

So könnten nach dem Gesetz Personen bestraft werden, die das Parlament "geringschätzen", und zwar indem sie "falsche Aussagen" treffen beziehungsweise "Informationen zurückhalten". Bis zu drei Jahren soll man dafür in Haft kommen können. Nicht nur Regierungsvertreter sehen die Gefahr der Willkür. Das Gesetzesvorhaben sei viel zu schwammig formuliert; unter den Vorschriften könnten Regierungsvorhaben ewig hinausgezögert werden.

Vor einer möglichen Abstimmung darüber kam es bereits am Freitag zu gewalttätigen Szenen in Taipeh. Einige DPP-Abgeordnete wollten sich zum Podium vorkämpfen, wo ihnen zuvor Redezeit verweigert worden war. Dabei wurden mindesten fünf DPP-Vertreter und einer der KMT verletzt. Bereits damals hatten Menschen vor dem Haus protestiert.

Nächste Runde am Freitag

Und auch am Dienstag, als das Vorhaben erneut auf der Agenda stand, versammelte sich wieder eine große Zahl an Demonstranten vor dem Parlament. Im Haus trugen Abgeordnete Stirnbänder mit der Aufschrift "Die Demokratie ist tot". Ein DPP-Abgeordneter gab an, dass auf der Sprechertribüne nicht die KMT oder die TPP stehe, "sondern Xi Jinping".

Ähnliches skandierten auch Protestierende vor dem Haus. Drinnen wie draußen trugen einige Menschen Sonnenblumen bei sich: 2014 war es zu ähnlichen Protesten in Taiwan gekommen, als tausende – vor allem junge – Menschen gegen ein KMT-Gesetzesvorhaben protestierten, das die Handelsbeziehungen mit Peking vertiefen sollte. Damals wie heute lautete der Vorwurf mangelnde Transparenz und Missachtung demokratischer Prozesse.

Die KMT weist das zurück. Die DPP solle keine "Gerüchte verbreiten" und die Partei nicht "rot malen". Die Regierung solle außerdem "Kontrolle durch das Volk und die Abgeordneten akzeptieren". Am Freitag soll das Vorhaben erneut auf der Parlamentsagenda stehen; mit Protesten ist zu rechnen. (Anna Sawerthal, 22.5.2024)