Brett Ostrum zeigt neue Surface-Computer von Microsoft
Microsoft hofft, dass in den nächsten zwölf Monaten mehr als 50 Millionen "KI-PCs" verkauft werden.
AFP/JASON REDMOND

Im anhaltenden Hype der Tech-Branche um Künstliche Intelligenz (KI) scheut Microsoft offenbar nicht davor zurück, die Geduld und das Vertrauen von Windows-Nutzern erneut auf die Probe zu stellen. Als würde man bedauern, dass das Debakel um Windows 8 weitgehend in Vergessenheit geraten ist, und Werbeeinschaltungen in Betriebssystemen zu harmlos finden, stellte der US-Konzern im Rahmen der eigenen Build-Konferenz ein Feature namens "Recall" vor. Was recht harmlos klingt, bietet ordentlichen Zündstoff: Das Tool, das auf neuen Copilot+-PCs implementiert wird, zeichnet permanent Screenshots auf – und somit die Aktivitäten der Nutzerinnen und Nutzer.

Recall lässt sich wie ein gigantisches Archiv verstehen. Nahezu jede Aktivität – vom Surfen im Internet über das Ausführen von Anwendungen bis hin zum Ansehen von Videos – soll penibel dokumentiert werden. Die Absicht dahinter erscheint klar: Das Tool soll Nutzerinnen und Nutzern einerseits helfen, selbst auf Informationen zurückgreifen zu können. Vielmehr dürfte es andererseits aber darum gehen, dass der persönliche KI-Assistent – das neue Steckenpferd von Microsoft – anhand dieser Aktivitäten das Verhalten der ausführenden Person besser verstehen lernt.

Erhebliche Datenschutzbedenken

Dieser Ansatz wirft vor allem Fragen zur Privatsphäre der Nutzer auf. Viele dürften sich mit dem Gedanken zu Recht schwertun, dass der PC unablässig Aufzeichnungen vom eigenen Verhalten anfertigt – ganz zu schweigen davon, dass das Wissen über eine Form der "Überwachung" möglicherweise an sich schon das Nutzungsverhalten verändert. Microsoft hat daher wenig überraschend versprochen, dass die gesammelten Daten verschlüsselt und ausschließlich auf dem Gerät gespeichert werden, sodass niemand außer dem angemeldeten Benutzer darauf zugreifen kann.

Wie gut Microsoft sensible Daten vor dem unbefugten Zugriff Dritter schützen kann, hat es in der jüngeren Vergangenheit aber unter "Beweis" gestellt: Zwei fahrlässige Pannen innerhalb kurzer Zeit haben zu ernsthaften Zweifeln an der Robustheit der Sicherheitsmaßnahmen im Konzern geführt. Selbst in US-Regierungskreisen soll das zu einem Umdenken geführt haben. Die Sorge ist also nicht ganz unbegründet, dass sensible Informationen wie Passwörter und persönliche Dokumente ohne ausdrückliche Einschränkungen des Nutzers aufgezeichnet werden könnten – und nicht ausreichend vor unbefugtem Zugriff geschützt werden.

Die große Frage bleibt in diesem Zusammenhang auch, inwieweit der Nutzer spezifische Einstellungen vornehmen kann und muss, um zu verhindern, dass bestimmte Anwendungen und Websites überwacht werden. Bislang hat Microsoft zugesichert, dass DRM-geschützte Inhalte und der Privatmodus des hauseigenen Browsers von einer Aufzeichnung ausgeschlossen sind und aufgezeichnete Daten gelöscht werden können. Das allein wäre definitiv nicht genug. Schon die Tatsache, dass Recall über Screenshots auch sensible Informationen wie Passwörter erfassen könnte, bleibt eine Sicherheitslücke, die man im Jahr 2024 nicht mehr für möglich gehalten hätte.

Speicher- und Ressourcenfresser

Als ob die Datenschutzbedenken nicht schon ausreichen würden, zeichnen sich noch zwei weitere potenzielle Probleme mit Recall ab: Eines davon ist der beachtliche Speicherbedarf, den das Tool auf den Festplatten dieser neuen KI-PCs haben wird. So gibt Microsoft an, dass mindestens 50 GB Speicherplatz erforderlich sind, sofern der Computer über eine Festplatte mit mehr als 256 GB verfügt. Bei PCs, die unter dieser Speicherkapazität liegen, sind immerhin 25 GB notwendig – das soll ausreichen, um drei Monate an Bildmaterial zu speichern. So oder so handelt es sich dabei aber um eine Menge Speicherplatz, die den Nutzern weggenommen wird.

Darüber hinaus werfen auch andere technische Aspekte des Tools Fragen auf. Unklar bleibt etwa, inwiefern die kontinuierliche Aufnahme und Überprüfung der Aktivitäten Prozessor oder Grafikeinheit des Computers belasten könnte. Hier verspricht Microsoft, dass die gesamte Verarbeitung durch den KI-Prozessor des neuen Snapdragon-X-Elite-Chips bewältigt wird – was bei einer umfassenden Nutzung dennoch zu Leistungseinbußen führen könnte. Inwieweit nicht doch auch eine Cloudlösung nach außen telefonieren muss, bleibt ebenso ungeklärt.

Vorsicht geboten

Letztendlich wird die Akzeptanz dieser Technologie stark davon abhängen, wie Microsoft auf die Bedenken der Nutzer und Datenschützer eingeht und welche Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die Privatsphäre und die Sicherheit der Nutzer gewahrt bleiben. Ohne klare und transparente Richtlinien und Sicherheitsgarantien dürfte Recall weniger als hilfreiche technologische Innovation verstanden werden, sondern eher als Einladung, den Anbieter des Betriebssystems zu wechseln. (bbr, 22.5.2024)