Durchnässter Sunak am Rednerpult
Sunaks Ankündigung fand im Starkregen statt.
REUTERS/Maja Smiejkowska

Schon den ganzen Tag schwirrten Gerüchte durch das Londoner Regierungsviertel Westminster: Premierminister Rishi Sunak wird schon bald Neuwahlen zum Unterhaus ausrufen! Die ungeschriebene britische Verfassung sieht vor, dass es allein in der Macht des Premiers steht, den Termin anzusetzen – die Wahl musste diesmal allerdings spätestens im Jänner 2025 stattfinden. Jeder hatte bisher auf den Herbst getippt – doch könnte es womöglich zu einem Termin schon im Sommer kommen?

Bei der mittäglichen Fragestunde im Parlament wurde der Premier vom Fraktionsvorsitzenden der schottischen Nationalisten Stephen Flynn direkt darauf angesprochen, doch da wollte Sunak nur so viel bekanntgeben: dass der Termin in der zweiten Jahreshälfte liegen würde.

Nach einer Kabinettssitzung trat dann der Regierungschef am frühen Mittwochabend vor die Tür seines Amtssitzes in der Downing Street – mitten im starken Dauerregen. Sunak baute sich hinter dem Holzpult mit dem Amtswappen auf, und schwere Tropfen durchnässten seine schwarze Anzugsjacke.

Die Situation wurde nicht besser, als draußen vor den Gittertoren zur Downing Street Demonstranten laute Musik abspielten, um Sunaks kurze Ansprache zu übertönen: Es handelte sich ausgerechnet um die Labour-Hymne Things Can Only Get Better (Es kann nur besser werden).

"Jetzt ist der Moment"

"Jetzt ist", sagte der regennasse Sunak, "der Moment für Großbritannien gekommen, seine Zukunft zu bestimmen. Ich habe heute mit dem König gesprochen und ihn darum gebeten, das Parlament aufzulösen. Wir werden allgemeine Wahlen am 4. Juli haben."

Damit war die Katze aus dem Sack. Obwohl Sunaks Konservative in den Meinungsumfragen um gut 20 Prozentpunkte hinter Labour liegen – und das schon konstant seit mehr als einem Jahr –, setzt der Premierminister jetzt alles auf die Karte einer frühen Wahl. Wenn in der nächsten Woche das Parlament aufgelöst wird, folgen sechs Wochen Wahlkampf, bevor es am 4. Juli – in Großbritannien ist es immer ein Donnerstag – zu den Urnen geht. Sunak wird hoffen, dass sich die britische Fußballnationalmannschaft bis dahin in der Europameisterschaft halten kann.

Im strömenden Regen verlas Sunak seine Erklärung, während jemand laute Musik spielte.

Die Antwort von Labour ließ nicht lange auf sich warten. Noch während der Ansprache Sunaks twitterte die finanzpolitische Sprecherin Rachel Reeves auf X: "Los geht’s." Und Parteichef Keir Starmer hatte schon eine Rede vorbereitet. "Die Zukunft ist in eurer Hand", wandte er sich an die Briten und Britinnen. "Zusammen können wir das Chaos stoppen, eine neue Seite aufschlagen und anfangen, Großbritannien wieder aufzubauen." Damit sprach er das den Labour-Wahlkampf dominierende Thema an: Nach 14 Jahren der Tory-Herrschaft sei es Zeit für einen Wechsel.

Tatsächlich ist die Bilanz der Konservativen nicht überzeugend. Vor allem die letzten Jahre, nachdem Boris Johnson ins Amt gelangt war, waren von politischem Chaos geprägt: vom Partygate-Skandal während der Corona-Pandemie bis zu den desaströsen, eine Finanzkrise auslösenden Steuerplänen der Kürzestpremierministerin Liz Truss.

Zwar kam mit Sunak ein Technokrat in die Downing Street, der immerhin begann, die vielen Probleme anzugehen. Doch auch unter ihm wurden die Warteschlangen im staatlichen Gesundheitsdienst immer länger und die Lebenshaltungskostenkrise immer drängender. Es wäre eine Überraschung, wenn die Briten die Konservativen nicht aus dem Amt wählen würden. (Jochen Wittmann aus London, 22.5.2024)