Antony Blinken gut bewacht bei seinem Ukraine-Besuch in der vergangenen Woche.
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Bei der Unterstützung der Ukraine durch den Westen sind seit Kriegsbeginn im Februar 2022 immer wieder Regeln fallengelassen worden. Keine Kampfpanzerlieferungen hieß es, dann keine Kampfjetlieferungen – mittlerweile ist Kiew mit beidem versorgt worden. Nun könnte ein weiterer Grundsatz bald der Vergangenheit angehören.

Die Strategie, die Ukraine nicht uneingeschränkt zu unterstützen, basiert auf der Befürchtung, Kreml-Chef Wladimir Putin könnte bei zu intensiver Einmischung des Westens eine Eskalation herbeiführen, die über die Grenzen der Ukraine hinausgeht. Dabei spielt sicherlich auch eine Rolle, dass Moskau regelmäßig die Nuklearkeule schwingt, auch wenn dies von Experten oft als leere Drohung eingestuft wird.

So oder so sind die Lieferungen aufgrund einer militärischen Notwendigkeit der Ukraine immer vielschichtiger und hochwertiger geworden, weiteren darauf folgenden Vergeltungsdrohungen Russlands zum Trotz. Nun ist es offenbar mal wieder so weit.

Nur zur Verteidigung gedacht

Wichtig war und ist dem Westen stets, dass die Ukraine die gelieferten Waffen rein zur Verteidigung bzw. Rückeroberung des eigenen Territoriums einsetzt. Keineswegs sollten damit offensive Militärschläge auf Ziele im russischen Territorium durchgeführt werden, darauf hat man vor allem in den USA viel Wert gelegt. Und so wurden Angriffe in Russland – offiziell – bislang stets mit Drohnen und anderen Waffen durchgeführt, die nicht aus dem Westen stammen.

Geht es nach einem Bericht der New York Times, dann könnte diese Einschränkung für die ukrainischen Streitkräfte bald fallen, zumindest für US-Waffen. Dem Bericht zufolge arbeitet US-Außenminister Antony Blinken an einem Vorschlag, den er seinem Präsidenten Joe Biden bald unterbreiten will: Der Ukraine soll es erlaubt werden, mit US-Waffen auch Ziele in Russland anzugreifen, konkret vor allem Raketen- und Artillerieabschussplätze nahe der Grenze zur Ukraine.

Hobbymusiker Blinken hat vergangene Woche in einer Kiewer Bar zur E-Gitarre gegriffen. Aber das ist eine andere Geschichte.
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Ausschlaggebend für diese Kehrtwende dürfte Blinkens Ukraine-Visite in der vergangenen Woche gewesen sein. Dabei sei ihm laut Bericht vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj detailliert erklärt worden, wie die russischen Streitkräfte diesen US-ukrainischen Konsens ausnutzen würden: Stellungen seien auf russischem Territorium nahe der Grenze zur nordöstlichen Ukraine platziert und auf die Großstadt Charkiw gerichtet, wohlwissend, dass man hier vor schweren Angriffen sicher sei. Auch deshalb sei Russland in der Region auf dem Vormarsch.

US-Personal in die Ukraine?

Auch ein anderer US-Grundsatz scheint laut Bericht zu wackeln: Bislang wurden die ukrainischen Streitkräfte im Ausland darauf trainiert, die westlichen Waffen zu nutzen. Nun wird in Washington erwogen, eigenes Personal dafür in die Ukraine zu schicken.

Allerdings stellt sich hier die Frage, was passiert, wenn dieses in der Ukraine attackiert wird. Präsident Biden ist zwar ein überzeugter Unterstützer Kiews, aber auch bekannt dafür, in Sachen Ukrainekrieg vorsichtig zu agieren, um eine Eskalation etwa durch ein direktes Aufeinandertreffen von russischen mit US-Streitkräften zu verhindern. (ksh, 23.5.2024)