Im Jahr 2018 wurde Emmanuel Macron in Neukaledonien noch mit Blumenkränzen empfangen. Seine jüngste Visite auf dem Archipel im Juli 2023 wurde jedoch von den Kanak boykottiert, und auch diesmal wird der französische Präsident von den Vertretern der Ureinwohner eher wenig Freundlichkeiten sehen. Zu viel wurde zuletzt zerschlagen: einerseits die öffentliche Sicherheit, Menschenleben und Sachwerte in den vergangenen Tagen durch einen gewalttätigen, brandschatzenden und plündernden Mob, andererseits das politische Vertrauen in den vergangenen Jahren durch eine Kette von Fehlentscheidungen durch alle Beteiligten.

Bei der Gewaltwelle in Neukaledonien starben bereits sechs Menschen.
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Die Pläne zur Verleihung des Wahlrechts an alle Franzosen, die seit mehr als zehn Jahren in Neukaledonien leben, sollten die Demokratie stärken, doch die Wahlrechtsreform war der Funke, der die seit dem Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2021 schwelende Unzufriedenheit unter den Kanak zum Explodieren brachte. Mindestens sechs Menschen kamen seither bei den Unruhen ums Leben, die verursachten Schäden betragen hunderte Millionen Euro.

Emmanuel Macron besuchte auch die Sicherheitskräfte in Neukaledonien, um ihnen für ihren Einsatz zu danken.
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Truppenverstärkung soll bleiben

Macrons Mission in das südpazifische Gebiet ist die eines politischen Feuerwehrmanns: Er muss dafür sorgen, dass die Sicherheit wiederhergestellt wird und die Gegner und Befürworter einer Unabhängigkeit wieder an einen Tisch bekommen. Die hastig nach Nouméa beorderte Verstärkung der Sicherheitskräfte werde so lange bleiben wie nötig, kündigte Macron am Donnerstag an. "Die republikanische Ordnung wird in ihrer Gesamtheit wiederhergestellt, weil es keine andere Wahl gibt", sagte der Präsident. Die Unruhen seien ein beispielloser Aufstand, dessen Ausmaß an Gewalt niemand erwartet habe. Einige Gebiete sind weiterhin durch Barrikaden blockiert, und die Bevölkerung ist von grundlegender Versorgung abgeschnitten.

Emmanuel Macron verkündete einen Aufschub für die Wahlrechtsreform.
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Er habe beschlossen, die Wahlrechtsreform um mehrere Wochen zu verschieben, sagte Macron, diese sei jedoch demokratisch legitim. Mit dem Nouméa-Abkommen wurde das Wählerverzeichnis für Nichtkanak mit dem Jahr 1988 eingefroren. Tausende seither eingewanderte Franzosen haben keinerlei Möglichkeit der demokratischen Mitbestimmung, während die Kanak keinerlei Einschränkung unterliegen. Mit dem dritten Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2021 ist das Abkommen jedoch ausgelaufen, die weitere Entwicklung wurde in dem Vertrag rechtlich vorgezeichnet. Die Kanak fordern eine Annullierung des von ihnen boykottierten jüngsten Referendums. Die Wahlrechtsreform wurde vom Parlament in Paris verabschiedet und muss noch von einem Sonderkongress beider Parlamentskammern ratifiziert werden.

Macron will Uhr nicht zurückdrehen

Macron traf in Nouméa auch mit Kanak-Vertretern zusammen, darunter der Regierungspräsident Louis Mapou und der Kongresspräsident Roch Wamytan, der vor 36 Jahren schon das Nouméa-Abkommen unterzeichnet hatte. Die Unabhängigkeitsbefürworter erklärten vor dem Treffen, Macron müsse dem Dialog "neues Leben einhauchen". Das Ziel sei es, alle Parteien wieder an einen Tisch zu bringen, um die Lage zu beruhigen, erklärte Macron. Dies könne jedoch nicht bedeuten, die Uhr zurückzudrehen. Er werde nicht erlauben, dass das Ergebnis des letzten Referendums infrage gestellt werde. Die Neuaufrollung des Nouméa-Prozesses scheint damit ausgeschlossen zu sein. Dass die Verschiebung des Ratifzierungskongresses die Wogen glätten kann, ist zweifelhaft. (Michael Vosatka, 23.5.2024)