Heute wurde in der UN-Generalversammlung eine Resolution zum Völkermord an den bosnischen Muslimen im ostbosnischen Srebrenica im Jahre 1995 angenommen. 84 Länder stimmten dafür, 19 stimmten dagegen, 68 Länder enthielten sich der Stimme. Die Resolution wurde von Deutschland und Ruanda vorgeschlagen und von weiteren 34 Ländern unterstützt, darunter Österreich.

Neben der Abstimmung wurde in New York auch des verunglückten iranischen Präsidenten Raisi gedacht.
EPA/SARAH YENESEL

Bei der Resolution geht es darum, den 11. Juli zum Internationalen Gedenktag für den Völkermord von Srebrenica zu erklären und die Leugnung des Völkermords vorbehaltlos zu verurteilen. Ein Anliegen ist auch, dass die Fakten rund um den Völkermord in Schulen gelehrt werden, was bislang kaum der Fall ist.

Die Regierung von Serbien und die Regierung des bosnischen Landesteils Republika Srpska, in der die Stadt Srebrenica liegt, starteten bereits vor Monaten eine Kampagne gegen die Resolution, obwohl der Text damals noch gar nicht bekannt war. Diese Kampagne beruht darauf, den Genozid an den bosnischen Muslimen zu leugnen und zu verharmlosen, um die eigene Politik während des Kriegs – aber auch die heutige Politik – zu rechtfertigen. Die Republika Srpska, jener Teil von Bosnien-Herzegowina, in dem ab 1992 Nicht-Serben massenhaft vertrieben, ermordet, vergewaltigt und in Lager gesteckt wurden, um den Landstrich später an ein Großserbien anzuschließen, hat nämlich aufgrund dieser damaligen Massenverbrechen und der rassistisch-muslimenfeindlichen Ideologie ein Legitimitätsproblem.

Zerstörung des Staates

Der Genozid an den Bosniaken rund um Srebrenica, der sich über Tage und Wochen zog, ist eines der besterforschten Geschehnisse im Krieg gegen Bosnien-Herzegowina. Staatsanwälte, Richter und Historiker bewerten die ethnischen Säuberungen deshalb als Genozid, weil die Intention der Täter nachgewiesen werden konnte. Diese Intention, eine Gruppe ganz oder teilweise vernichten zu wollen, ist bei der Beurteilung einer ethnischen Säuberung als Völkermord zentral. Die Armee der damals noch illegalen Pseudo-Republik Republika Srpska versuchte von 1992 bis 1995, mit Unterstützung aus dem Nachbarstaat Serbien, den Staat Bosnien-Herzegowina zu zerstören.

Vor dem Genozid in Srebrenica gab es drei Jahre lang zahlreiche andere, von der damals stärksten bosnisch-serbischen Partei und Sicherheitskräften geplanten und durchgeführten ethnischen Säuberungen, mit dem Ziel, ein "ethnisch reines" Großserbien zu schaffen. Die Urteile zu diesen Massenverbrechen, von denen der Genozid rund um Srebrenica das größte Verbrechen war, wurden vom Tribunal für das ehemalige Jugoslawien gefällt. Die Schuldigen an dieser rassistisch motivierten Massengewalt wurden teils zu lebenslangen Strafen verurteilt.

Verzerrende Darstellung

Die historischen Fakten sind unumstritten, es gibt aber seit vielen Jahren Versuche von politischen Kräften – die auch vom Kreml unterstützt werden –, die Fakten zu verzerren. Die politische Führung des autokratisch regierten Serbien und jene der Republika Srpska versuchten in den vergangenen Wochen wieder einmal, die Darstellung der Geschehnisse zu ethnisieren, also so zu tun, als ginge es in der Causa um Konflikte zwischen Volksgruppen und nicht um eine Vernichtungsideologie, die zu dem Verbrechen führte.

Sie behaupteten auch, dass die Srebrenica-Resolution gegen Serben und Serbinnen als Volksgruppe gerichtet sei, was allerdings nichts mit dem Text der Resolution zu tun hat. Zudem geht es nicht um Serben gegen Bosniaken. Denn es gibt Serbinnen und Serben, die solidarisch mit den muslimischen Opfern sind und den Genozid nicht leugnen. Jene, die dies tun, verfolgen hingegen eine politische Agenda. Zweitens versuchen diese rechtsnationalistischen Kräfte, eine Täter-Opfer-Umkehr zu etablieren. Sie tun so, als wären sie selbst die Opfer und nicht die ermordeten Bosniaken und deren Angehörige, die tatsächlich bis heute unter dem Geschehenen leiden.

Die Politik der Täter-Opfer-Umkehr führte so weit, dass der derzeitige Präsident des bosnischen Landesteils Republika Srpska, Milorad Dodik, am 18. April eine Veranstaltung organisieren ließ, auf der er behauptete, dass der Westen mit der Resolution "die gesamte serbische Bevölkerung dämonisieren" wolle, obwohl es dafür keinerlei Anhaltspunkte gibt. Am Donnerstag vor der Abstimmung kam Dodik in die Nähe von Srebrenica, um für serbische Kriegsopfer einen Kranz niederzulegen. Zahlreiche Hubschrauber kreisten in der Luft.

Nationalistische Kirchen

Der Präsident Serbiens, Aleksandar Vučić, und der serbisch-orthodoxe Patriarch Porfirije – die serbische Orthodoxie verfolgt ähnlich wie die russische Orthodoxie nationalistische politische Ziele – agitieren ebenfalls gegen die Resolution. Sie werden dabei von Russland, China, Ungarn, Venezuela, Nordkorea und Nicaragua unterstützt.

Serbische Ethno-Nationalisten versuchen, den Krieg in Bosnien-Herzegowina (1992–1995) ausschließlich als Bürgerkrieg darzustellen, um sich selbst historisch zu entlasten. Chefankläger Serge Brammertz sagte im Vorjahr anlässlich der Verurteilung von zwei hochrangigen Beamten des Staates Serbiens für Verbrechen im Krieg gegen Bosnien-Herzegowina, dass diese "eine weitere Bestätigung dafür, dass es sich bei den Geschehnissen in Bosnien-Herzegowina nicht um einen Bürger- oder internen Krieg, sondern um einen internationalen Konflikt" gehandelt habe. In Serbien und in der Republika Srpska wird nicht nur der Völkermord, sondern auch die Kriegsschuld geleugnet. Die Leugnungskampagnen und die Verherrlichung von Kriegsverbrechern haben in den vergangenen Jahren zugenommen. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 23.5.2024)