Vandalismus in Paris, der eine falsche Spur legen wollte.
Offenbar standen nicht propalästinensische Aktivisten, sondern russische Auftraggeber hinter dem Anschlag in Paris Mitte Mai.
Antonin UTZ / AFP

Emmanuel Macron verurteilte einen Akt von "abscheulichem Antisemitismus" am jüdischen Memorial von Paris: Auf eine Gedenkwand mit tausenden von Inschriften hatten Unbekannte um drei Uhr morgens eine Vielzahl roter Hände gesprayt. Dieses Symbol geht auf einen Vorfall in Ramallah im Jahr 2000 zurück, als Palästinenser zwei israelische Reservisten lynchten und ihre blutigen Hände durch die Fenster eines Polizeipostens zeigten.

Bloß: Hinter dem Anschlag in Paris von Mitte Mai stecken offenbar keine propalästinensischen Aktivisten, sondern russische Auftraggeber. Die Pariser Staatsanwaltschaft identifizierte einen der drei Täter dank Handylokalisierung und Überwachungskameras als einen Bulgaren, der Verbindungen zu russischen Geheimdiensten haben soll. Das Trio hat sich nach Belgien abgesetzt, wo es von der Bildfläche verschwunden ist.

Die französischen Behörden gehen laut dem Wochenmagazin Le Canard Enchaîné davon aus, dass sich die Sprayattacke in die Versuche Russlands einreiht, in den EU-Staaten und insbesondere Frankreich vor den Wahlen zum Europaparlament am 9. Juni politische Spannungen zu schüren. Und ganz konkret den Wahlausgang zugunsten von Pro-Putin-Parteien beeinflussen.

Paris ist im Fadenkreuz

Der französische Ex-Diplomat in Moskau, Alexandre Melnik, erklärte, diese Desinformationskampagne erinnere an das Vorgehen der Sowjetunion während des Kalten Krieges. Ziel sei es heute, zum einen den Nahostkonflikt in die Banlieue-Zonen um Paris und Marseille zu bringen; weiters solle Frankreich wie die Ukraine als ein Hort des Antisemitismus und Nazismus angeprangert werden.

Paris ist im Fadenkreuz des Kreml, seitdem der französische Präsident Macron gegenüber seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin einen harten Kurs fährt und auch die Entsendung von Bodentruppen in den Ukrainekrieg nicht ausschließen will. Die Graffitis der roten Hände erinnern an frühere, offenbar auch russisch inspirierte Sprayaktionen mit blauen Davidsternen an Pariser Hausfassaden. Vor den Olympischen Spielen in Paris schüren russische Trolle außerdem Ängste ausländischer Gäste vor einer angeblichen Bettwanzen-Invasion. Macron ist auch persönlich im Visier, geisterten doch Meldungen durch das Netz, die Gattin Brigitte Macron sei "trans" und ursprünglich ein Mann gewesen.

Die französische Regierung hat Anfang Mai reagiert und die Internetplattformen angewiesen, gegen Deepfakes und andere Manipulationen schneller und systematischer vorzugehen. Die für Informatik zuständige Staatssekretärin Marina Ferrari erklärte, der Kampf gegen die Desinformation sei für die westlichen Demokratien eine alltägliche Aufgabe geworden – "und in Wahlzeiten sogar lebenswichtig".

Ermittlungen gegen Propagandanetz

Der französische Geheimdienst DGSI ermittelt gegen ein von Moskau gesteuertes Propagandanetz namens "Portal Kombat", bestehend aus 193 Einzeladressen. Sie haben eine gesamteuropäische Dimension. Frankreich hat deshalb zusammen mit Deutschland und Polen bereits anfangs dieses Jahres eine gemeinsame Planungsgruppe gegen die Troll-Lawinen aus dem Osten gebildet. Tschechien hat seinerseits Sanktionen gegen das einem Oligarchen gehörenden Portal Voice of Europe erlassen, das bis ins Europäische Parlament in Straßburg wirkt. Ferner hat Prag drei Personen wegen russischer Spionage mit Sanktionen belegt.

Der belgische Premierminister Alexander De Croo hat im März bekannt gemacht, Russland bezahle auch Europaabgeordnete aus Deutschland, Frankreich, Ungarn, Polen, Belgien und den Niederlanden. Der deutsche AfD-Vertreter Petr Bystron musste seine Wahlarbeit deshalb einstellen. In Paris erklärte Marine Le Pen – die von einer Putin-nahen Bank 2017 zumindest einen Kredit erhalten hatte –, sie sei nicht betroffen.

Moskau bestreitet jede Mitwirkung oder Drahtzieherschaft, im Fall der roten Hände genauso wie in jenem der belgischen Behauptungen. Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew, heute Nummer zwei des Sicherheitsrates seines Landes, hatte allerdings im Februar freimütig erklärt, dass es wichtig sei, dass Moskau russlandfreundliche Westpolitiker unterstütze – und dies "auf alle möglichen, offiziellen oder geheimen Arten".

Auch der französische Forscher David Colon, Autor eines Buches über den "Informationskrieg" in Europa, erklärte, die Bezahlung von Politikern gehöre wie Hackerangriffe, Fake-Kampagnen oder Influencer-Manipulierung zu den russischen "Hybridwaffen". Die Korrumpierung von Parlamentariern erlaube eine wirksame Politspionage, aber nicht nur: Wenn diese "nützlichen Idioten" aufflögen, untergrabe dies allgemein das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Darauf sei Putin ganz besonders aus. (Stefan Brändle aus Paris, 24.5.2024)