Schokolade verführt in Wien zu hohen Investitionen. Nahezu an jeder Ecke schossen in den vergangenen Jahren noble Süßwarenboutiquen im Herzen der Innenstadt aus dem Boden. Lindt wählte jüngst den Stephansplatz als neue Bühne für die eigene Marke. In Rufweite werben Läderach, Heindl, Manner, Leschanz, Altmann & Kühne um Kundschaft.

Ab Jänner wird das Palais im Stil der Renaissance eineinhalb Jahre lang umgebaut.
IMAGO/Pond5 Images

Lindt hat in Wien jedoch Appetit auf mehr. Der Schweizer Branchenriese will ein prominentes Palais in eine Erlebniswelt für Schokolade verwandeln, erfuhr DER STANDARD aus gut informierten Kreisen. Der Konzern wird dem Vernehmen nach Anfang Juni als neuer Pächter des Kursalons Hübner präsentiert.

Als Vorbild soll Lindt das vor vier Jahren in Kilchberg am Zürichsee eröffnete Home of Chocolate dienen, das kraft eines neun Meter hohen Brunnens, aus dem 1400 Liter Schokolade fließen, zu den meistbesuchten Museen der Schweiz zählt. Der weltgrößte Lindt-Shop, ein Café, interaktive Ausstellungen, Degustationen und Kurse rund um die braune Bohne ziehen dort täglich bis zu 2500 Touristen an.

Schokolade statt Heilwasser

Der Kursalon Hübner eröffnete im Jahr 1867 als Kaffeehaus und Ausschank für Heilwasser. Vergnügungen waren in dem im Stil der Renaissance erbauten Gebäude in der Johannesgasse mit Blick auf den Stadtpark nur kurz tabu. Schon ein Jahr später konzertierte darin Walzerkönig Johann Strauss Sohn. 1908 wurde Familie Hübner Pächter des Salons. Seit Ende der 90er- Jahre ist sie ihr Eigentümer.

Die vergangenen 20 Jahre war das Palais mit seinen vier Prunksälen Plattform für Veranstaltungen und klassische Konzerne. Doch der Zahn der Zeit nagte an der Immobilie, das Interesse externer Gäste abseits exklusiver Events schwand. Am 7. Jänner läuft der Vertrag mit dem bisherigen Pächter, Josip Susnjara, Gründer der SHI-Gruppe, aus. Danach wird eineinhalb Jahre lang in Abstimmung mit dem Denkmalamt umgebaut.

Lindt betreibt am Zürichsee eines der meistbesuchten Museen der Schweiz, in seinem Herzen fließt ein Schokobrunnen.
Ennio Leanza/Lindt and Spruengli

"Wir nehmen für die Revitalisierung viel Geld in die Hand", sagt Eigentümerin Astrid Hübner. Ein neuer Pachtvertrag wurde im August ausgeschrieben. Hübner spricht von mehreren Interessenten. Die endgültige Entscheidung sei aber noch nicht gefallen. Lindt Österreich gibt sich auf Anfrage verschlossen: Man könne ein Engagement im Kursalon zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen.

Diskret gibt sich auch Simon Kronberger, Direktor des Immobilienberaters Christie & Co, der mit der Ausschreibung und Auswahl der neuen Betreiber betraut ist. Nur so viel: Der Kursalon solle sich nach seiner Sanierung vermehrt für lokales Publikum öffnen und auch unter der Woche stärker belebt werden.

Zugang in den Stadtpark

950 Quadratmeter kommen als Ausstellungsfläche im Untergeschoß hinzu. Glasfronten werden dieses mit Tageslicht fluten. Ein direkter Zugang in den Stadtpark entsteht. Dass diesen künftig Lindt für den Ausbau seines Schokoladenreichs nutzen wird, steht für in das Projekt Involvierte außer Zweifel. Entsprechende Informationen für die Öffentlichkeit seien vorbereitet.

Lindt fehlt es nicht an Kapitalkraft. 2023 sprengte der Umsatz weltweit erstmals die Grenze von fünf Milliarden Euro. Die Schweizer peilten eine Gewinnmarge von 15,5 Prozent an. Zwar explodierten die Kosten für Kakao. Stärkere Effizienz und höhere Preise, die an Konsumenten weitergereicht wurden, ließen die Geschäfte des Konzerns dennoch zweistellig wachsen. Sein Börsenwert vervielfachte sich in den vergangenen 30 Jahren von 0,6 auf mehr als 25 Milliarden Euro.

Den Schritt gab über Jahrzehnte Ernst Tanner als gewichtiger Einzelaktionär und Verwaltungsratspräsident vor. Als Großinvestor hat er über Jahre gut an den Immobiliengeschäften von René Benkos nunmehr insolventer Signa-Gruppe mitverdient.

2023 sprengte der Umsatz von Lindt weltweit erstmals die Grenze von fünf Milliarden Euro.
EPA/ENNIO LEANZA

Steter harter Kritik von Menschenrechtsorganisationen sieht sich Lindt rund um den Anbau von Kakao in Ländern wie Ghana und der Elfenbeinküste ausgesetzt: In Schokoladen der internationalen Süßwarenindustrie stecke ausbeuterische Kinderarbeit. Viele Konzerne gingen gegen Missstände in ihren Lieferketten trotz aller Monitorings und Nachhaltigkeitsprogramme nur halbherzig vor.

Emanzipation von Handelsriesen

Die Lust der Konsumenten an Schokolade bremste dies bisher nur bedingt. Ob höhere Preise die Nachfrage dämpfen, wird sich erst weisen. Jene für Kakao stiegen jüngst auf ein Rekordniveau. Süßes könnte sich folglich im Lebensmittelhandel um ein Drittel verteuern.

Schokolademarken suchen daher seit Jahren Wege, um sich von Supermärkten stärker zu emanzipieren. Flagge zeigen lässt sich mit eigenen Boutiquen. Erlebniswelten sind eine Frage des Prestiges und sorgen für Kundenbindung.

Alteingesessene Confiseure wie Walter Heindl, der mit seiner Familie in Wien ein Schokomuseum und 21 Filialen betreibt, geben sich von etwaiger neuer Konkurrenz jedenfalls unbeeindruckt. "Alles, was den Leuten Schokolade näherbringt, belebt den Markt." (Verena Kainrath, 24.5.2024)