Die russische Armee greift dieser Tage die Millionenstadt Charkiw brutal mit Gleitbomben, Drohnen und Raketen an. Schon zu Beginn der Vollinvasion hatte man versucht, die Stadt im Osten der Ukraine zu erobern, wurde aber bis Mitte Mai 2022 von der ukrainischen Armee daran gehindert. Zum Beschuss von militärischen Anlagen und Infrastruktureinrichtungen gesellt sich – wie in der russischen Kriegsführung mittlerweile schon üblich – auch der Beschuss ziviler Wohnhäuser und Anlagen.

Die ausgebrannte Buchdruckhalle in Charkiw.
AFP/Telegram/@oleksiykuleba/HAND

Die Buchdruckerei Faktor Druk ist zweifelsohne so eine. 1,5 Millionen Bücher liefen dort vor dem Krieg jährlich vom Stapel, 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiteten einst am 10.000 Quadratmeter großen Gelände. Der Krieg schuf dahingehend mehr Raum, als etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krieg ziehen mussten und staatliche Aufträge wie der Druck neuer Schulbücher teils nicht mehr finanziert werden konnten. Es musste in die Landesverteidigung fließen. Dennoch wollte die stolze Druckerei weitermachen. Schon damals sagte Tatyana Grinyuk, die Leiterin der Druckerei, dass man weitermachen und "niemals" ein russisches Druckhaus sein wolle. "Wir sind ein ukrainisches Druckhaus und Patrioten unseres Landes."

Am Donnerstag wurde die Druckerei Faktor Druk von einer russischen Rakete getroffen, sieben Menschen starben, es gab 23 Verletzte. Insgesamt gingen an jenem Tag etwa 15 umfunktionierte Flugabwehrraketen der Systeme S-300 oder S-400 über Charkiw und dem Umland nieder. Videos und Bilder zeigen das Ausmaß der Zerstörung.

Ungewisse Zukunft

50.000 Bücher seien verbrannt, schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj am Freitag auf X. Dies zeige, dass Russland Krieg gegen die Menschheit und jedes normale Leben führe. Arad Benkö, Österreichs Botschafter in der Ukraine, spricht von einem "gezielten Angriff auf die ukrainische Kultur", welche in der russischen Denkweise "ohnehin etwas Imaginiertes" sei und daher aus russischer Sicht nicht existieren solle. Dies sei besonders "perfide", die Kultur sei immerhin so etwas wie "die Seele einer Nation", so Benkö zum STANDARD.

"Das ukrainische Buch ist die ukrainische Stärke. Deshalb will der Feind es zerstören", kommentierte der international bekannte ukrainische Schriftsteller Serhij Schadan auf Facebook. Er postete ein Foto von sich vor einem Buchladen des Verlagshauses, das auf ukrainische Literatur spezialisiert ist, in dem aber auch internationale Medien drucken lassen, beispielsweise der deutsche Katapult-Verlag sein Geopolitik-Magazin Katapultu.

"Die Geschäftsführung von Faktor Druk teilte uns am Donnerstag mit, noch nicht die nötige Kraft für ein Gespräch zu haben. Ob die Druckerei komplett geschlossen werden muss, ist unklar", schreibt Katapult-Magazin-Herausgeber und Katapultu-Chefredakteur Benjamin Fredrich in einer Stellungnahme an den STANDARD. Aktuell hat aber ohnehin anderes Vorrang, weshalb man erst einmal Geld spendet und angibt, freiwillig bei den nächsten beiden Aufträgen 50 Prozent mehr zu zahlen, so denn überhaupt noch gedruckt werden kann.

Angriffe auf Buchdruckereien scheinen tatsächlich System in Russlands Strategie zu haben. Schon im März war in Charkiw eine Buchdruckerei zerstört worden. Vor zwei Jahren wurde die Druckerei BET-Typografie in Charkiw zerstört. Charkiw galt stets als die Stadt des Buchdrucks. Vor zwei Wochen haben die russischen Streitkräfte ihre Bodenoffensive in der Oblast Charkiw im Grenzgebiet zur Stadt Charkiw gestartet. Die vordersten russischen Truppenteile stehen derzeit weniger als 20 Kilometer vom Stadtrand entfernt. (Fabian Sommavilla, 24.5.2024)