Autos stehen im Stau vor einer roten Ampel
Die Rechtsstreitigkeiten aufgrund des Dieselskandals ziehen sich bis heute. Künftig sollen Sammelverfahren schneller abgewickelt werden können.
Imago / Christoph Hardt

Im Gastbeitrag erklären die Rechtsanwälte Christian Lenz und Patrick Mittlböck, wo Unternehmen bei ihrer Verteidigung ansetzen könnten.

Der Anfang Mai veröffentlichte Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie (DER STANDARD berichtete) sorgt wie erwartet für Diskussionen. Der Entwurf beinhaltet wesentliche Neuerungen, womit Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Ansprüche gegen Unternehmen (etwa mithilfe der neuen Abhilfeklage) in Zukunft effektiv durchsetzen werden können. Verbraucherschutzeinrichtungen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen (sogenannte qualifizierte Einrichtungen), können laut dem Entwurf Ansprüche bündeln und durchsetzen. Wie schon jetzt werden die Verbraucher für die nach wie vor anfallenden Kosten wohl Prozessfinanzierer in Anspruch nehmen.

Für Verbraucher wird es dadurch einfacher – das neue System der Verbandsklagen bietet jedoch für Unternehmen nach wie vor Möglichkeiten, sich auch mit prozessualen Stolpersteinen zur Wehr zu setzen. Dies hat für Unternehmen meist den Vorteil, dass Vergleiche einfacher und tendenziell günstiger werden, je länger das Verfahren dauert.

1. Einfluss von außen

Verbraucherorganisationen sind nur klageberechtigt, wenn sie nicht unter dem Einfluss von Personen stehen, die ein Interesse an der Erhebung einer Verbandsklage haben (etwa Wettbewerber des beklagten Unternehmens). Die nach dem neuen Gesetz weiterhin zulässigen Prozessfinanzierer müssen – anders als bisher – ebenfalls unabhängig sowohl vom beklagten Unternehmen als auch von dessen Mitbewerb sein. Sofern Zweifel an diesen Voraussetzungen bestehen (etwa weil das beklagte Unternehmen solche bei Gericht darlegt), muss das Gericht diese dem Bundeskartellanwalt als Aufsichtsbehörde zur Prüfung vorlegen. Das Verbandsklageverfahren würde zwar parallel weiterlaufen, das Endurteil dürfte jedoch bis zur Entscheidung durch den Kartellanwalt nicht gefällt werden. Sofern sich herausstellt, dass die Verbraucherorganisation (oder der Finanzierer) tatsächlich nicht unabhängig oder frei von unzulässigen Einflüssen Dritter steht bzw. gestanden ist, ist die Verbandsklage zurückzuweisen und dem Unternehmen sind die Verfahrenskosten zu ersetzen.

2. Fehlen der "Gleichartigkeit"

Ansprüche von Verbrauchern dürfen nur gebündelt werden, wenn sie "gleichartig" sind. Die einzelnen Ansprüche (bei Abhilfeklagen müssen es zumindest 50 sein) müssen auf einen zumindest vergleichbaren Sachverhalt zurückgehen oder die im Wesentlichen gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen betreffen. Ob diese Grundvoraussetzung bei sämtlichen derzeit anhängigen Casino- oder Dieselklagen gegeben wäre, ist zumindest zweifelhaft. Gelingt es dem beklagten Unternehmen, das Gericht vom Fehlen dieser Gleichartigkeit zu überzeugen, wäre die Klage zurückzuweisen. Das Unternehmen kann daher in diesem Stadium versuchen, die einzelnen Ansprüche auseinanderzudividieren. Diese Entscheidung kann zu Beginn des Verfahrens erwirkt werden und gesondert angefochten werden, bevor im Verbandsverfahren überhaupt inhaltlich verhandelt wird. So können bei entsprechendem Instanzenzug viele Monate vergehen, bevor inhaltlich verhandelt wird.

3. Einwendung gegen einzelne Ansprüche

Sofern die Hürde der Zulässigkeit übersprungen und die Verbandsklage zulässig ist, wird als Kern der neuen Regelung über die gemeinsamen Tatsachen- und Rechtsfragen verhandelt. Darüber kann in einem Zwischenfeststellungsurteil entschieden werden. Anschließend kann das beklagte Unternehmen aber immer noch Einwendungen gegen jeden einzelnen Anspruch erheben (zum Beispiel eine Gegenforderung oder ein Mitverschulden des einzelnen Verbrauchers). Da die Bündelung des Verfahrens dazu führt, dass bloß ein einzelner Senat beim Handelsgericht Wien für das Verfahren zuständig ist, muss dieser im letzten Verfahrensschritt potenziell hunderte (allenfalls auch tausende) Einwendungen auf Einzelfallbasis abarbeiten, bevor es zu einer endgültigen Entscheidung kommt, mit der Verbrauchern auch tatsächlich Abhilfe (nämlich zum Beispiel Ersatzzahlungen) verschafft wird.

Der Gesetzesentwurf soll und wird in vielen Fällen jedenfalls zu einer Erleichterung für Verbraucherinnen und Verbraucher führen. Ob die neuen Abhilfeklagen letzten Endes gerade für zahlenmäßig wirklich große Fälle gut gemacht oder bloß gut gemeint sind, werden die nächsten Jahre zeigen. (Christian Lenz, Patrick Mittlböck, 24.5.2024)