Leclerc gewinnt erstmals sein Heimrennen Monte Carlo.
Ausgelassene Stimmung bei den Roten um Sieger Leclerc.
IMAGO/Paul Vaicle

Monte Carlo – Die Dominanz von Triple-Weltmeister Max Verstappen in der Formel 1 scheint zu bröckeln. Denn Ferrari-Pilot Charles Leclerc meldete sich mit seinem ersten Heimsieg beim Grand Prix von Monaco im WM-Kampf zurück und verkürzte den Rückstand auf den Red-Bull-Titelverteidiger, der nur Sechster wurde, auf 31 Punkte. "Manchmal ist es Verstappen, McLaren oder wir. Du weißt nicht, ob du Erster oder Sechster wirst. Das ist gut für den Sport", sagte Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur.

Als sich der Abend senkte über Monaco, gab Leclerc seinem Teamchef unter lautem Gejohle einen Stoß – und Vasseur fiel recht ungelenk ins türkisgrüne Wasser des Hafenbeckens. Sekunden später tauchte auch Leclerc ein, mit einem perfekten Köpfler, und damit hatte der Sieger des Großen Preises im Fürstentum auch dieses Versprechen eingelöst.

Leclerc schubste zuerst seinen Teamchef ins Hafenbecken, dann ging auch er baden.
REUTERS/Benoit Tessier

"Diese Nacht wird eine große Nacht", kündigte Leclerc noch an, Feiern war angesagt, kein Mitglied des Ferrari-Teams sollte schnell abreisen. Es war das laute Ende eines Tages, der bei Leclerc große Emotionen geweckt hatte – und in diesem Jahr noch als Initialzündung dienen könnte.

Denn der 26-Jährige galt durchaus als zwar hochbegabter Pilot, der in entscheidenden Momenten aber Nerven zeigt. Eine bemerkenswerte Statistik trug stets zu diesem Eindruck bei: Am Sonntag in Monaco stand Leclerc bereits zum 24. Mal auf der Poleposition, erst zum sechsten Mal gewann er am Ende auch ein Rennen.

Das Wochenende rund um den seit der Kindheit ersehnten ersten Heimsieg bot nun eigentlich viel Gelegenheit für Nervenflattern: Der Ferrari war ganz offensichtlich ein Siegerauto, der Pilot war ebenfalls in Form, das zeigten die Trainings. Die Hoffnungen an der Strecke wuchsen in den Himmel, alles schaute auf Leclerc – der bei jeder Qualifying-Ausfahrt und in jeder einzelnen Rennrunde "alles zu verlieren" hatte, wie er sagte. Auf einem Kurs, der selbst die kleinsten Fahrfehler oft nicht verzeiht.

Wie auf Schienen

Doch Leclerc steuerte drei Tage lang wie auf Schienen durch Monaco, und an dieser Erfahrung könnte das nötige Selbstvertrauen für den Rest des Jahres wachsen. Denn Weltmeister Max Verstappen, nur Sechster am Sonntag, wirkt in seinem Red Bull ja neuerdings angreifbar – und liegt nach einem Drittel der Saison nur noch 31 Punkte vor dem Monegassen.

Leclerc mit "Flashbacks" unterwegs zum Sieg in seinem Wohnzimmer.
REUTERS/Jennifer Lorenzini

Für Leclerc war all dies in Monaco noch Zukunft. Es galt zunächst, dieses Rennen zu verarbeiten. Sein 2017 verstorbener Vater und er selbst hätten stets diesen "gemeinsamen Traum" gehabt, sagte Leclerc, auch deshalb war es ein so großer Sieg. "In all meinen Rennen habe ich im Auto nie über solche persönlichen Dinge nachgedacht", sagte er, nun aber habe es in den letzten Runden "Flashbacks" gegeben, "an die gemeinsamen Momente, die Opfer, die er für mich gebracht hat". Er habe "kaum den Ausgang des Tunnels sehen" können, wegen der Tränen in den Augen. "Scheiße, Charles", habe er da gedacht, "das geht jetzt nicht."

Taktisches Bremsen

Ob tatsächlich eine Trendumkehr erfolgt ist, lässt sich nach dem achten von 24 Saisonrennen allerdings schwer beurteilen. Denn der Klassiker in Monaco kam fast ohne Überholmanöver aus, die ersten zehn Piloten der Startaufstellung fuhren auch in dieser Reihenfolge über die Ziellinie. Zusätzlich zählte taktisches Bremsen zur Strategie.

Ehrenvolle Aufgabe für Frankreichs Starkicker Kylian Mbappé.
REUTERS/Jennifer Lorenzini

"Wir sind vier Sekunden langsamer gefahren als üblich, weil wir alle die Reifen gemanagt haben", erklärte der fünffache Saisonsieger Verstappen im ORF. Auch deshalb gab es Kritik an der Traditionsstrecke, die vertraglich nur noch bis 2025 an die Formel 1 gebunden ist. "Ich bin fast eingeschlafen", monierte McLaren-Pilot Lando Norris, der Vierter wurde. Mercedes-Boss Toto Wolff griff zu unüblichen Maßnahmen. "Ich habe zwischendurch ein Joghurt und einen Espresso geholt. Das habe ich noch nie gemacht in den letzten zwölf Jahren", erzählte der Wiener.

Drei unterschiedliche Sieger

Erstmals seit fast drei Jahren gab es in der Königsklasse drei unterschiedliche Sieger in Serie aus drei verschiedenen Rennställen. Norris gewann in Miami, Verstappen knapp vor Norris in Imola und Leclerc im Fürstentum. Unklar ist, wer derzeit den schnellsten Boliden hat. "Wir hatten hier Probleme. Aber es wird wieder Strecken geben, auf denen wir besser sein werden", sagte Verstappen. In der WM könne noch viel passieren, betonte der Niederländer.

Wen Verstappen als größten Konkurrenten sieht? "Alle." In der Konstrukteurswertung führt Red Bull Racing mit 24 Punkten vor Ferrari, McLaren liegt 92 Zähler zurück. Der jahrelange Branchenprimus Mercedes musste sich in Monaco mit den Plätzen fünf und sieben für George Russell und Lewis Hamilton begnügen. "Von der Pace waren wir heute dabei. Nicht nur mit dem Bummelzug, sondern insgesamt wären wir schnell gewesen", sagte Wolff, dessen Team "einen großen Schritt" näher gekommen sei.

Außerdem sehe man derzeit, dass die Leistung von Red Bull ein wenig zurückgehe. "Es ist schwierig zu sagen. McLaren hat einen richtig guten Schritt nach vorne gemacht, Ferrari weiter zugelegt, und Red Bull ist vermutlich ein bisschen nach hinten gegangen", sagte Wolff angesprochen auf eine mögliche Trendwende. Der 52-Jährige stellte aber klar: "Insgesamt sind sie nach wie vor die Benchmark." (APA, sid, 27.5.2024)

Endstand des Formel-1-Grand-Prix von Monaco am Sonntag:
(Rennlänge: 78 Runden zu je 3,337 km = 260,286 km)

1. Charles Leclerc (MON) Ferrari 2:23:15,554 (Schnitt: 109,013km/h)
2. Oscar Piastri (AUS) McLaren +7,152
3. Carlos Sainz (ESP) Ferrari +7,585
4. Lando Norris (GBR) McLaren +8,650
5. George Russell (GBR) Mercedes +13,309
6. Max Verstappen (NED) Red Bull Racing +13,853
7. Lewis Hamilton (GBR) Mercedes +14,908
8. Yuki Tsunoda (JPN) Racing Bulls +1 Runde
9. Alexander Albon (THA) Williams +1 Runde
10. Pierre Gasly (FRA) Alpine +1 Runde
11. Fernando Alonso (ESP) Aston Martin Aramco +2 Runden
12. Daniel Ricciardo (AUS) Racing Bulls +2 Runden
13. Valtteri Bottas (FIN) Kick Sauber +2 Runden
14. Lance Stroll (CAN) Aston Martin Aramco +2 Runden
15. Logan Sargeant (USA) Williams +2 Runden
16. Zhou Guanyu (CHN) Kick Sauber +2 Runden

Ausgeschieden: Nico Hülkenberg (GER) Haas, Kevin Magnussen (DEN) Haas, Esteban Ocon (FRA) Alpine, Sergio Perez (MEX) Red Bull Racing

Schnellste Runde: Lewis Hamilton (GBR) Mercedes in der 63. Runde in 1:14,165 (Schnitt: 161,979 km/h)

WM-Stand (nach 8 von 24 Rennen und 2 von 6 Sprints):

1. Max Verstappen (NED) Red Bull Racing 169
2. Charles Leclerc (MON) Ferrari 138
3. Lando Norris (GBR) McLaren 113
4. Carlos Sainz (ESP) Ferrari 108
5. Sergio Perez (MEX) Red Bull Racing 107
6. Oscar Piastri (AUS) McLaren 71
7. George Russell (GBR) Mercedes 54
8. Lewis Hamilton (GBR) Mercedes 42
9. Fernando Alonso (ESP) Aston Martin Aramco 33
10. Yuki Tsunoda (JPN) Racing Bulls 19
11. Lance Stroll (CAN) Aston Martin Aramco 11
12. Oliver Bearman (GBR) Ferrari 6
13. Nico Hülkenberg (GER) Haas 6
14. Daniel Ricciardo (AUS) Racing Bulls 5
15. Alexander Albon (THA) Williams 2
16. Esteban Ocon (FRA) Alpine 1
17. Kevin Magnussen (DEN) Haas 1
18. Pierre Gasly (FRA) Alpine 1

Stand Konstrukteurs-WM (nach 8 von 24 Rennen und 2 von 6 Sprints):

1. Red Bull Racing 276
2. Ferrari 252
3. McLaren 184
4. Mercedes 96
5. Aston Martin Aramco 44
6. Racing Bulls 24
7. Haas 7
8. Williams 2
9. Alpine 2

Nächstes Rennen: Grand Prix von Kanada am 9. Juni in Montreal