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Auf der Flucht vor Gefechten nähert sich eine Frau mit erhobenen Händen einem Militär-Checkpoint in Port Harcourt.

Foto: AP/Dan Udoh
Port Harcourt/Nairobi - Nach kriegsähnlichen Szenen in den Straßen von Port Harcourt, dem Zentrum von Nigerias Ölindustrie, hat am Wochenende das Militär die Kontrolle übernommen. In der ganzen Stadt wurden Straßensperren errichtet, an denen Autofahrer ihren Wagen mit erhobenen Händen verlassen mussten.

"Die Soldaten stehen an jeder Straßenecke", bestätigte George Aneh, ein Taxifahrer in Port Harcourt. Viele Straßen waren am Wochenende leerer als sonst, die meisten Geschäfte blieben geschlossen, weil die Besitzer fürchteten, die Kämpfe zwischen Polizei, Armee und kriminellen Banden könnten wieder los gehen.

Bombardement

Mehr als 40 Menschen, so schätzen lokale Medien, sind bei den bewaffneten Auseinandersetzungen in der vergangenen Woche ums Leben gekommen. Bei den heftigsten Gefechten hatte das Militär am Donnerstag ein Stadtviertel angegriffen, in dem die Gangster vermutet wurden. Augenzeugen berichteten, die Luftwaffe habe dabei ganze Straßenzüge aus Kampfhubschraubern bombardiert.

Zeitgleich zündeten Bandenmitglieder in anderen Teilen der Stadt Sprengsätze, unter anderem im Regierungsviertel. "Gangster sind auf Motorrädern durch die Stadt gerast und haben mit automatischen Waffen auf alles geschossen, was sich bewegt hat", schilderte ein Augenzeuge die Lage.

Die Armee behauptet, George Soboma getötet zu haben, einen der Anführer der militanten Gruppen, die das ölreiche Niger-Delta seit Jahren unsicher machen. Ein Sprecher der ebenfalls militanten "Bewegung zur Emanzipation des Niger-Deltas", Jomo Gbomo, wies dies jedoch zurück: "Soboma geht es gut, er hat erst drei seiner neun Leben aufgebraucht." Gbomo warf seinerseits dem Militär und der Polizei vor, Unschuldige festzunehmen und gegenüber der Öffentlichkeit als Kriminelle hinzustellen.

Regierung und Militär scheinen diesmal entschlossen, Ernst zu machen mit dem Kampf gegen die bewaffneten Gruppen im Niger-Delta. Der neu gewählte Präsident Umaru Yar'Adua hatte nach seinem Amtsantritt Ende Mai eine harte Linie angekündigt. "Bis jetzt haben wir den Kriminellen Zuckerbrot und Peitsche angeboten, jetzt gibt es nur noch Peitsche", erklärte Celestine Omehia, Gouverneur des Bundesstaats River, zu dem Port Harcourt gehört. Nach einem Treffen mit Generälen kündigte Omehia an, das Militär bleibe für mindestens ein halbes Jahr in Port Harcourt stationiert. Seit Freitag gilt in der Stadt außerdem eine nächtliche Ausgangssperre.

Viele Angestellte der internationalen Ölkonzerne, die im Niger-Delta die Ölvorräte Afrikas - es sind die größten des ganzen Kontinents - ausbeuten, haben ihre Häuser seit Tagen nicht mehr verlassen. Für sie ist es in Nigeria auch unter "normalen" Verhältnissen schon gefährlich genug: Mehr als 200 Mitarbeiter der Ölindustrie waren allein in den vergangenen anderthalb Jahren entführt und oft erst nach wochenlanger Gefangenschaft gegen Lösegeld freigelassen worden.

Volk geht leer aus

Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten werfen den Konzernen und der nigerianischen Regierung seit Jahren vor, Öl und Gas auszubeuten, ohne dass die lokale Bevölkerung davon profitiert. Dörfer im Niger-Delta gehören zu den am wenigsten entwickelten im ganzen Land. Wegen der häufigen Lecks in den Pipelines ist der Boden vielerorts verseucht, abgefackeltes Gas verpestet die Luft.

Doch die militanten Gruppen, gegen die die nigerianische Armee jetzt kämpft, verfolgen nicht etwa das Ziel, die Lebensbedingungen der Ärmsten zu verbessern. Sie sind schlicht Kriminelle. Oftmals werden sie sogar von Politikern bei Bedarf als Schlägertrupps angeheuer. (Marc Engelhardt/DER STANDARD, Printausgabe, 20.8.2007)