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341mal Abdullah Gül hieß es am Montag. Die 99 leeren Sitze der CHP haben den türkischen Außenminister die längste Zeit den Schlaf geraubt. Mit Hilfe der MHP ist das Quroum gesichert.

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Onur Öymen ist seit 2003 Vizeobmann der CHP und ist damit einer von vier Stellvertretern von Obmann Deniz 0Baykal.

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99 Sitze blieben gestern leer im türkischen Parlament. Die Republikanische Volkspartei CHP hat ihren Standpunkt klar gemacht: ein Präsident Abdullah Gül kommt nicht in Frage. Während die restlichen Oppositionellen bereit waren mit ihrer Anwesenheit das erforderliche Quorum für den Ablauf der Wahl zu erfüllen, schalten Atatürks Erben auf Boykott. Ihre Kritiker bezeichnen sie als dogmatische Traditionalisten, die nur noch von Atatürks Ideologie zehren. Sie selbst sehen sich als moderne Sozialdemokraten, wie Onur Öymen, der stellvertretende Parteichef der CHP, im Gespräch mit Solmaz Khorsand erklärt.

derStandard.at: Was wird die CHP unternehmen, wenn Abdullah Gül spätestens am 28. August als 11. Präsident der Türkei endgültig bestätigt wird?

Öymen: Das ist zu früh zu sagen, aber es ist offensichtlich, dass Herr Gül nicht die geringste Unterstützung von einer anderen Partei im Parlament hat. Deswegen glaube ich, war er nicht der geeignete Kandidat. Außerdem ist er kein Kompromisskandidat.

derStandard.at: Ob er von einer Partei unterstützt wird, spielt keine Rolle. Beim dritten Anlauf (24. August), braucht er nur noch eine einfache Mehrheit, welche die AKP gewährleisten kann. Was machen Sie dann?

Öymen: Wir werden die Legitimität der Wahl nicht anfechten. Aber wir sagten bereits, dass die Handhabung der Präsidentschaftswahl nicht die Beste war.

derStandard.at: Was kann Herr Gül tun, um Sie davon zu überzeugen, dass er keine versteckte islamistische Agenda hat?

Öymen: Bisher hat er uns nicht überzeugt. Wir glauben nicht, dass sich jemand so schnell ändern kann. Als er seine anti-säkularen und antiwestlichen Aussagen getätigt hat, war er kein Kind mehr, sondern Parlamentsabgeordneter.

derStandard.at: Hoffen Sie auf eine militärische Intervention, wenn er gewinnt?

Öymen: Das erwarte ich nicht.

derStandard.at: Fühlen Sie sich betrogen von der Nationalistenpartei MHP, die mit ihrer Anwesenheit im Parlament der AKP das nötige Quorum sichert? Schließlich hat es im Wahlkampf geheißen, dass sie als etwaige Koalitionspartner der CHP herhalten könnte.

Öymen: Nicht betrogen, wir haben über keine möglichen Koalitionen mit der MHP in dieser Zeit gesprochen. Wir verstehen das nur nicht. Sie haben gesagt, dass sie gegen die Kandidatur von Herr Gül sind und dass seine Werte gegen unsere Republik sind. Gleichzeitig öffnen sie aber mit ihrer Zusage die Tore für Güls Präsidentschaft. Wenn er gewählt wird, ist das Dank der MHP.

derStandard.at: Zu dem Wahlergebnis: Sie haben in einem Interview gesagt, dass die Wähler irrational gehandelt hätten. Warum?

Öymen: Egal, wo sie in der Türkei hingehen, die Leute beschwerten sich über die Regierung. Aber die meisten Leute, die sich beklagten, haben sich wegen dem einen oder anderen Grund trotzdem für die Regierung entschieden. Man muss sagen, dass da viel beeinflusst wurde. Die Regierung hat den Leuten beispielsweise mitten im Sommer Kohle geschenkt.

derStandard.at: Also, der einzige Grund, mit dem Sie sich den AKP-Sieg erklären können, waren Wahlgeschenke unmittelbar vor der Wahl?

Öymen: Und natürlich auch die Religion. Sie haben Religion als politische Waffe verwendet. Sie behaupteten beispielsweise, dass die Opposition Herr Güls Präsidentschaft blockiert haben, weil er ein devoter Muslim ist, woraufhin religiöse Menschen die AKP gewählt haben.

derStandard.at: Inwiefern hat die CHP versagt?

Öymen: Wir hatten ein Kommunikationsproblem. Es war schwierig unsere Politik zu vermitteln. Dazu braucht man Massenmedien, die zum Großteil praktisch von der Regierung kontrolliert werden. Das heißt: Es wurde von unseren Pressekonferenzen nicht berichtet. Außerdem war unsere Zeit im Fernsehen sehr limitiert. Also das Hauptproblem war fehlende Objektivität der Medien.

derStandard.at: Aber inwieweit hat Ihre Partei selbst schuld an dem Wahlausgang?

Öymen: Darüber haben wir neun Stunden diskutiert. In einigen Bezirken hatten wir Probleme, aber in anderen hatten wir gute Ergebnisse. Man kann also nicht von einem allgemeinen Versagen sprechen.

derStandard.at: Zur Position von Parteichef Deniz Baykal. Es heißt immer wieder, die CHP hat trotz und nicht wegen Baykal gewonnen. Ist es Zeit sich von ihm zu verabschieden?

Öymen: Er ist ein ehrlicher, talentierter und erfahrener Politiker. In vielen sozialdemokratischen Parteien gibt es eine Oppositionsbewegung in der Partei. Dadurch glaubt man, dass alles was in der Türkei in den vergangenen Jahren falsch gelaufen ist, an unserer Partei und unserem Vorsitzenden liegt.

derStandard.at: Betrachtet man Kommentare in der türkischen Presse, heißt es immer wieder: die CHP sieht sich nicht als Regierungspartei, sondern fühlt sich in ihrer Oppositionsrolle sehr wohl.

Öymen: Das liegt daran, dass die Journalisten nicht die Politik kritisieren.

derStandard.at: Sie und auch Politiker innerhalb der eigenen Partei kritisieren auch, dass die CHP dogmatisch an ihrem kemalistischen Erbe festhält.

Öymen: Wir haben sehr viel in der Partei erneuert. Unsere Gegner in der Partei und in den Medien sagen nie etwas über unsere Politik, weil sie da wenig kritisieren können. Das Einzige, was sie kritisieren können ist das Verhalten der Kandidaten.

derStandard.at: Ihre Partei bezeichnet sich zwar als sozialdemokratisch, wird aber von einem großen Teil von der Elite der türkischen Bevölkerung gewählt. Wie links ist die CHP noch?

Öymen : In vielen europäischen Ländern wählen wohlhabende Menschen die Sozialdemokraten. Das heißt nicht, dass uns die Armen nicht gewählt haben. Ich sehe keinen Unterschied zwischen meiner Partei und einer sozialdemokratischen Partei in Europa. Unser Programm ist nicht viel anders als das von anderen sozialdemokratischen Parteien. Nur dass unsere Partei von Kemal Atatürk, dem Vater der Republik, gegründet wurde. Manche glauben, nur weil wir Atatürks Prinzipien verteidigen, weichen wir von den sozialdemokratischen Prinzipien ab. (Solmaz Khorsand, derstandard.at/21.8.2007)