Wien – Gewalttätige Jugendliche sind kein neues Phänomen. Doch angesichts der Häufung von brutalen Übergriffen in der jüngeren Zeit gerät die oft gebrauchte Erklärung, es handle sich um Einzelfälle, ins Wanken. Die Psychologin und Psychotherapeutin Rotraud Perner spricht sogar von einem neuen Gewalttrend, ausgelöst von einer "Erlebnisgesellschaft", in der "der Hunger nach sensationellen Gefühlen" das Streben nach Leistung abgelöst habe. "Und eines dieser Gefühle kann auch sein, über das Leben von anderen zu entscheiden", erklärt die Expertin für Persönlichkeitsbildung im Gespräch mit dem Standard.

Hang zur Gewalt

Mehrere Faktoren verstärkten den Hang zur Gewalt: "Einerseits der unterschwellige Trend zum Faschismus, in dem wieder von "unwertem Leben" die Rede ist", so Perner. Andererseits berge auch das Aufeinanderprallen von Kulturen Gewaltpotenzial. Auch der Medienwelt sei das Streben nach Solidarität und sozialer Kompetenz abhanden gekommen.

"Dick, dumm und gewalttätig"

Der deutsche Gehirnforscher und Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, Manfred Spitzer, ist überhaupt der Meinung, dass Bildschirmmedien Kinder "dick, dumm und gewalttätig machen". In einem Interview mit dem heimischen Fachmagazin Kriminalpolizei empfiehlt der Psychiater Familien mit Kindern, den Fernseher wegzuwerfen. Seine Haltung begründet Spitzer mit der Flut an Gewalt, die tagtäglich die Programme füllt.

15.000 Morde

Nach einer deutschen Untersuchung hat jedes Kind bis zu seinem 14. Lebensjahr 15.000 Morde im TV gesehen. Spitzer: "Wenn unser Gehirn aus einzelnen Erfahrungen nun die Regeln dahinter lernt, dann kann es ja gar nicht ausbleiben, dass wir Folgendes verinnerlichen: Es gibt viel Gewalt, und um mich im Leben zu behaupten, muss auch ich gewalttätig sein." Um die hohe Gewaltdichte – auch im Kinderprogramm – einzudämmen, fordert der Psychiater, dass TV-Anstalten und Produzenten für jeden einzelnen medialen Gewaltakt eine hohe Steuer zahlen sollen.

Unkommentierte Gewalt

Auch Perner sieht in der medial verbreiteten Gewalt ein Problem, "weil sie meistens unkommentiert bleibt". Es gebe Kinder, die deswegen schon mit zehn Jahren völlig verroht seien. "Ethik muss wieder modern werden", meint die Psychotherapeutin. "Aber nicht moralinsauer, sondern peppig, die Jugend ansprechend." Im Oktober startet passend zum Thema an der Donau-Universität Krems unter Perners Leitung der erste multidisziplinäre Lehrgang "Präventionsmanagement". (Michael Simoner/ DER STANDARD Printausgabe 23.8.2007)