James E. Hansen hätte gern neue Satelliten und weniger politischen Einfluss.

Foto: NASA
STANDARD: Sie waren einer der ersten Wissenschafter, der vor dem Klimawandel warnte. Wie schaut Ihr Befund des Weltklimas heute aus?

Hansen: Wir kriegen nun die Folgen davon präsentiert, was wir jahrelang mit der Umwelt getan haben. Das Klimasystem steht auf der Kippe. Der Zuwachs an Treibhausgasen bringt die Gletscher und die arktische Eisdecke zum Schmelzen. Der Meeresspiegel kann aufgrund der zusätzlichen Wassermenge im Laufe des Jahrhunderts um bis zu sieben Meter steigen. Um das zu verhindern, müssen wir die globale Erwärmung auf weniger als ein Grad Celsius plus reduzieren. Das wird schwierig. Denn um dieses Ziel zu erreichen, müssten wir die Emissionen reduzieren. Und ob das gelingt, ist sehr fraglich.

STANDARD: Aber es gibt doch zahlreiche Absichtserklärungen zum Klimaschutz, angefangen mit Kyoto-Protokoll...

Hansen: Ja, Absichtserklärungen. Darüber hinaus passiert wenig bis gar nichts. Schöne Worte, auf die keine konkreten Taten folgen. Stattdessen müssen wir in den USA mit rückläufigen Budgets für die Wissenschaften im Allgemeinen und für Erdbeobachtungen im Besonderen kämpfen. Ich frage mich, wie man Wissen über die Folgen des Klimawandels sammeln will, wenn man zum Beispiel die Satelliten, die zu diesem Zweck ins All geschossen wurden, nicht austauschen kann, wenn sie in die Jahre gekommen sind.

STANDARD: 2005 und 2006 haben Sie nicht nur über zu wenig Geld, sondern auch über Zensur geklagt. NASA-Chef Sean O'Keefe, also Ihr ehemaliger Chef, habe Ihnen einmal nahegelegt, nicht über die Beeinflussung des Weltklimas durch den Menschen zu reden, man wisse darüber noch zu wenig. Das Weiße Haus hat alle Berichte zum Thema Klimawandel kontrolliert, man hat Ihnen sogar Konsequenzen angedroht. Dürfen Sie heute frei reden?

Hansen: Es war schon damals, als mich O'Keefe warnte, offensichtlich, dass vom Menschen ein Gefahrenpotenzial ausgeht, weshalb es für mich logisch war, darüber zu reden und daran zu forschen. Heute ist diese Vermutung mehrfach bestätigt worden. Ich habe damals gesagt, dass noch nie so darauf geachtet wurde, was man als Wissenschafter sagen darf und was nicht. Dazu stehe ich auch heute. Die Politik hat alles kontrolliert, was zum Thema Klimawandel an die Öffentlichkeit ging. Eine derartige Beeinflussung der Wissenschaft hatte ich zuvor nie erlebt.

STANDARD: Welcher Ungeist führt zu einer solchen Handlungsweise?

Hansen: Unglücklicherweise agieren US Regierungen immer häufiger so, als würden sie glauben, dass von der Regierung angestellte Wissenschafter für die Politik und nicht für das US-amerikanische Volk arbeiten. Das ist ein großes Problem, denn in einer Demokratie sollte man meinen, dass die Öffentlichkeit nicht nur gut, sondern auch ehrlich informiert wird. Wissenschafter sollten daher ihre Arbeit so gut sie können darstellen - ohne politische Beeinflussung. Ich muss aber auch sagen: Im vergangenen Jahr hat sich zumindest meine Situation in der Nasa deutlich verbessert. Ich bin wohl schon zu bekannt. Aber viele Wissenschafter in der Nasa und anderen staatlichen Forschungsorganisationen wie den National Institutes of Health haben das Problem nach wie vor.

STANDARD: Ist die US-Regierung gezwungen, das Klima-Thema offener zu behandeln, weil es auch populärer wurde - auch dank Al Gore und seinem "Klima-Entertainment", wie Kritiker seine Auftritte bezeichnen?

Hansen: Gore hat sicher einiges zur Popularisierung des Klima-Problems beigetragen. Nichtsdestotrotz ist er in der Beschreibung dessen, was getan werden muss, doch ein wenig oberflächlich. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. 8. 2007)